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Erika Reinecke

TPionierin der Physiotherapie macht mit fast 80 Jahren Schluss

Erika Reinecke ist gerade 80 geworden, aber erst seit einem halben Jahr in Rente.

Erika Reinecke ist gerade 80 geworden, aber erst seit einem halben Jahr in Rente. Foto: Klempow

Erika Reinecke gehörte zu den Ersten, die eine Physiotherapie-Praxis auf dem Land aufgemacht haben. Heute ist ihre gesamte Familie im eigenen Gesundheitszentrum in Himmelpforten beschäftigt. Fast 50 Jahre lang hat sie mit ihren Händen Schmerzen gelindert.

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Von Grit Klempow
Dienstag, 16.04.2024, 18:33 Uhr

Himmelpforten. Erika Reinecke hat vor ein paar Wochen ihren 80. Geburtstag gefeiert. Aber im Ruhestand ist sie erst seit letztem Jahr. Wer mit 79 noch immer Lust auf seinen Beruf hat, der muss ihn lieben. Erika Reinecke hat das fast 50 Jahre gemacht. Mitte der 70er Jahre hatte sie die Praxis für Physikalische Therapie in Himmelpforten zusammen mit ihrer Kollegin Maria Vollmers eröffnet, eine der ersten auf dem Land.

Erika Reinecke kann gut mit Menschen. Ihr Lächeln ist herzlich, ihre Art gerade heraus. Sie kann zuhören und mitlachen - und sie kann gut schnacken. Aber diesen Beruf loszulassen - das konnte sie nicht so gut.

Aufgewachsen auf einem kleinen Hof in Engelschoff

Dass sie ihr Examen an der Massageschule in Hamburg-Eilbek ablegen würde, war vor 50 Jahren nicht selbstverständlich und vorher auch nicht abzusehen. Immerhin hatte sie da schon einen Meisterbrief an der Küchenwand.

Sie wuchs auf einem kleinen Hof in Engelschoff auf, machte nach der Volksschule eine Lehre in der ländlichen Hauswirtschaft und besuchte später für ein Jahr das Internat der Landfrauenschule Stade. Ihr Verlobter musste sich vor Besuchen bei der Direktorin anmelden. Kaum war die Schule 1964 abgeschlossen, „hab ich gleich meinen Friedrich Wilhelm geheiratet“.

Meisterin der Hauswirtschaft

Sie zog zu ihrem Mann und seiner Familie auf den Hof in Neukuhla, die Mädchen Asta und Heide kamen zur Welt. Aber die junge Frau wollte es wissen und hängte noch den Lehrgang für die Meisterprüfung in der Hauswirtschaft dran. War sie unterwegs, kümmerte sich Oma Hilde um die Mädchen.

Wenig später kam doch alles ganz anders. Gesundheitliche Probleme zwangen die Eheleute, den Hof aufzugeben. Wilhelm Reinecke fing bei Opel Cordes in Stade an. Die Hände in den Schoß zu legen oder sich auf die Hausarbeit zu beschränken - das war nichts für Erika Reinecke.

Seine Rückenprobleme ließ ihr Mann in Stade behandeln - „Menschenskind, das fehlt hier eigentlich“, sagte sie sich und machte ruckzuck die Aufnahmeprüfung an der Massageschule in Hamburg. Die bestandene Zwischenprüfung zur Masseurin und medizinischen Bademeisterin im April 1973 „haben wir tüchtig gefeiert und dann habe ich mir gleich meine erste Massagebank gekauft“.

Erika Reinecke 1979 in den Räumen der neu gebauten Praxis.

Erika Reinecke 1979 in den Räumen der neu gebauten Praxis. Foto: privat

Sie fing im Stader Krankenhaus an und fand mit der Krankengymnastin Maria Vollmers-Fiedler eine Mitstreiterin. Sie machten sich selbstständig, gründeten eine GbR und mieteten Räume im Haus der Reineckes an. Aus dem Wohnzimmer wurde der Krankengymnastikraum. Im ehemaligen Schlafzimmer hatten drei Massage-Kabinen Platz, in der Ecke „der Fango-Pott“.

An allen Ecken und Enden wurde am Anfang in der Praxis für Physikalische Therapie improvisiert, und doch boten sie Kranken- und Schwangerschaftsgymnastik, Rückbildung und Säuglingsturnen, orthopädisches Turnen und klassische Massagen an. Außerdem Bindegewebsmassagen, Heißluftbestrahlungen und Extensionen.

„Man hat mich gleich für voll genommen“

„Die Himmelpfortener sind sofort gekommen“, erzählt Erika Reinecke. „Man hat mich gleich für voll genommen.“ Die Praxis florierte, es gab sogar eine neue Bushaltestelle vor der Tür. 1979 waren die neuen Räume der Therapie-Station fertig, auch das Team wuchs.

25 Jahre leiteten die Frauen die Praxis gemeinsam. Sie machten stetig Fortbildungen, Erika Reinecke unter anderem in der Sportphysiotherapie. Sie war auch beim Hamburg-Marathon dabei, um die erschöpften Teilnehmer nach dem Lauf zu massieren.

Das Schild schnitzte einst ein Patient für die Himmelpfortener Praxis.

Das Schild schnitzte einst ein Patient für die Himmelpfortener Praxis. Foto: privat

Der Sport ist ihr ein Anliegen. Im MTV Himmelpforten leitet sie noch immer montags die Trimm-Dich-Gruppe, seit fast 60 Jahren ist sie im Verein. Bekannt ist Erika Reinecke nicht nur als Übungsleiterin. Sie engagiert sich im Seniorenbeirat und gehört zum Vorstand. Und sie spielte viele Jahre mit Witz, Geist und Charme plattdeutsches Theater in Himmelpforten. Sie mag Stücke, die nicht so viel „Dööskram oder Klamauk“ haben. Wenn Erika Reinecke laut denkt oder gestenreich erzählt, dann macht sie das oft auf Platt. Manchmal beendet sie einen Satz mit einem kurzen, bestimmten „So!“, das wie ein sehr freundliches Basta klingt.

Tochter und Enkelkinder sind längst Teil der Praxis

Die Praxis heißt heute Gesundheitszentrum Reinecke. Längst tragen die nächsten Generationen Verantwortung. Tochter Asta stieg 1993 ein. Inzwischen sind deren vier älteste Söhne auch dabei - augenscheinlich funktioniert die familiäre Professionalität.

Bis Juni letzten Jahres war auch Erika Reinecke noch an zwei Nachmittagen für ihre Patienten da. „Batz und auf der Stelle“ aber hörte sie auf, als Rheuma ihren Händen zusetzte. „Es tat asig weh“, sagt sie. Aus dem anvisierten Abschied, „am liebsten mit Brimborium“ im Dezember, zum 50. Jahrestag ihres Examens, wurde nichts.

Inzwischen hat sie es verknust. Neun Enkel und zehn Urenkel bilden den großen Kreis der Familie. Zu tun hat sie genug, sie ist viel unterwegs. „Na ja“, sagt sie trocken, „andere arbeiten mit 80 ja auch nicht mehr.“

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