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Schicksalsschlag

TPlötzlich ist es still: Was sich für Katja Vogel alles verändert hat

Katja Vogel lernt, sich neu im Leben zurechtzufinden.

Katja Vogel lernt, sich neu im Leben zurechtzufinden. Foto: NZ/ Masorat

Katja Vogel steht mitten im Leben: Die verheiratete Mutter von zwei Kindern muss lernen, ohne Gehör klarzukommen. Dies stellt die Langenerin vor Herausforderungen. Große Unterstützung hat sie von der Sozialarbeiterin Kirsty Altendorf erfahren.

Von Julia Dührkop Sonntag, 05.10.2025, 10:50 Uhr

Geestland. Es wurde immer leiser in der Welt von Katja Vogel. Dass sie schlechter hörte, fiel zuerst bei der Arbeit auf. Stress, Hektik und Nebengeräusche sind in einer Arztpraxis nicht ungewöhnlich. Doch Katja Vogel reagierte nicht mehr auf Zurufe ihrer Kollegen.

„Ich bin sofort zum Akustiker, um einen Hörtest zu machen“, sagt sie. Mittelgradige Schwerhörigkeit wurde ihr bescheinigt. Das war vor zwei Jahren. Jetzt ist sie taub.

Katja Vogel, 37 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern, steht mitten im Leben, als sie ihr Gehör verliert. Völlig unvermittelt. Ein Gen-Defekt ist schuld. Ob es ein Infekt war, der ihn auslöst, oder „einfach eine Laune der Natur“, wie sie sagt, bleibt offen.

Die Symptome wurden nicht ernst genommen

„Ich habe es zuerst nicht ernst genommen“, sagt sie. Doch sie verzweifelt, als sie spürt, dass ihr Gehör immer schlechter wird. „Ich habe an der Technik der Hörgeräte gezweifelt.“ Ihre Not wird größer, denn die Symptome werden nicht erkannt. Erst bei einer Untersuchung in der Medizinischen Hochschule Hannover wurde die Ursache herausgefunden.

Sie wollte weiter in ihrem Job funktionieren. Dass nicht nur ein paar Hilfsmittel nötig waren, um mit dem Hörverlust im Leben zurechtzukommen, vermittelt ihr Kirsty Altendorf.

Katja Vogel im Gespräch mit Kirsty Altendorf (von links).

Katja Vogel im Gespräch mit Kirsty Altendorf (von links). Foto: NZ/ Masorat

Die Sozialberatung für gehörlose und schwerhörige Menschen ist ein Angebot der Neue Arbeit Lüneburg, die mit Kirsty Altendorf auch eine Ansprechpartnerin in Cuxhaven hat. Sie begleitet Menschen in dieser schwierigen Lebensphase.

Durch die Taubheit stürzte Katja Vogel in die Krise

„Was brauchst Du?“ ist ihre erste Frage. „Pragmatisch unterstützen“ ist die Devise von Kirsty Altendorf, die selbst schwerhörig ist und zusätzlich Gebärden einsetzt. Sie weiß nicht, wie lebensverändernd der Hörverlust sein würde. „Meine Arbeit hat mir Struktur gegeben.“ Katja Vogel ist dauerhaft krankgeschrieben. Ohne Gehör kann sie nicht als medizinische Fachangestellte arbeiten.

Alles ist ein Kraftakt: Anträge formulieren, Bescheinigungen anfordern, Kostenübernahmen schreiben. Nichts ist selbstverständlich. Immer wieder zu erklären, was Gehörlosigkeit bedeutet, ist anstrengend. Ihr kommt zugute, dass sie hörend aufgewachsen ist. Mit einer Logopädin arbeitet sie daran, dass ihre Stimme weiter funktioniert, auch wenn sie sich selbst nicht mehr hört.

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Unverständnis und Zweifel im Umgang zehren an den Nerven

Kränkungen passieren immer wieder. „So sehen Sie gar nicht aus“, hört sie auf dem Amt. Immer wieder versuchen Mitarbeiter der Krankenkassen, Katja Vogel telefonisch zu erreichen, und wundern sich, dass sie nicht ans Telefon geht, obwohl sie die Diagnose kennen. Statt eine inhaltliche Mail zu schreiben, fragen sie, warum sie nicht auf Anrufe reagiere, sie sei doch krankgeschrieben. Es ist zermürbend. Kirsty Altendorf vermittelt in diesen Situationen.

Katja Vogel übt anhand von Karten die Gebärdensprache.

Katja Vogel übt anhand von Karten die Gebärdensprache. Foto: NZ/ Masorat

„Du musst Deine Welt finden“, gibt ihr die Sozialarbeiterin auf den Weg. So richtig verstand sie es erst während der Reha-Kur. Ihre anderen Sinne schärften sich. „Ich sehe viel mehr“, beschreibt sie die Veränderung. Die Nase ist viel empfindlicher. „Hier riecht es schlecht“, meinte sie in der Reha, aber die anderen machten ihr klar, dass es ein natürlicher Prozess sei.

Die Familie muss ein neues Miteinander im Alltag finden

Das Zusammenleben in der Familie muss neu gelernt werden. Damit sie sich nicht erschrickt, wenn ihr Mann nach Hause kommt, bedient er kurz den Lichtschalter. „Ich sehe, aber oft auch, wenn sich die Tür hinter mir öffnet, durch die Reflexionen im Bilderrahmen“, sagt sie. Auch wenn die Kinder die Mama testen wollen und Musik laut aufdrehen, spürt sie die Vibrationen auf der Tischplatte.

Ein Poster zur Veranschaulichung des Fingeralphabets.

Ein Poster zur Veranschaulichung des Fingeralphabets. Foto: NZ/ Masorat

Eine Besonderheit in der Familie ist, dass die Kinder, 12 und 13 Jahre alt, Hörgeräte tragen. Doch es hilft tatsächlich nicht, um im Umgang mit der Gehörlosigkeit der Mutter schneller klarzukommen: „Sie haben sich mit den Hörgeräten arrangiert und können gut hören.“

Den Gebärdenkurs mit Unterstützung bewilligt bekommen

Neben Englisch und einer zweiten Fremdsprache müssen die Kinder und ihr Ehemann eine weitere Sprache lernen. Neun Monate hat die Familie Vogel auf die Bewilligung eines Hausgebärdenkursus gewartet. Sie solle einen Volkshochschulkurs besuchen, wurde ihr geraten. Dieser greife viel zu kurz, so Altendorf. Gebärdensprache bedeutet, Grammatik und das Zusammenspiel mit der Mimik zu verstehen.

Sender und ein Empfänger mit Licht- und Vibrationsalarm sind ein Teil der Hilfsmittel, mit denen Katja Vogel ihren Alltag organisiert.

Sender und ein Empfänger mit Licht- und Vibrationsalarm sind ein Teil der Hilfsmittel, mit denen Katja Vogel ihren Alltag organisiert. Foto: NZ/ Masorat

Für Behördengänge und Arztbesuche steht ihr ein Gebärdendolmetscher zu. Damit sie alles gut vermitteln kann, lernt sie Gesten auf Karten. Zusätzlich übt sie, von Lippen zu lesen. Doch 70 Prozent des Inhalts gingen verloren, sagen Studien. „Es ist anstrengend“, sagt Katja Vogel, „ich bin sehr müde.“

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