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T„Plötzlich wird dir der Stöpsel gezogen“: Long Covid im Kreis Stade

Für sie ist Covid nicht vorbei: Percy Schmüser, Astrid Eckstein, Nadine Beckmann-Kruse, Ann Christin Kläke und Magdalena Schwenke von der Long-Covid-Selbsthilfegruppe.

Für sie ist Covid nicht vorbei: Percy Schmüser, Astrid Eckstein, Nadine Beckmann-Kruse, Ann Christin Kläke und Magdalena Schwenke von der Long-Covid-Selbsthilfegruppe. Foto: Richter

Vor fünf Jahren, am 4. März 2020, meldete der Landkreis Stade den ersten Corona-Fall. Bei manchen Menschen ist die Krankheit bis heute nicht vorbei. Das hier sind fünf davon.

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Von Anping Richter
Montag, 03.03.2025, 19:20 Uhr

Landkreis. Die Corona-Zeit ist etwas, an das viele nicht gerne erinnert werden, weiß die Staderin Nadine Beckmann-Kruse. Doch sie und ihre Mitstreiter von der Long-Covid-Selbsthilfegruppe spüren die Folgen noch heute täglich am eigenen Leib. Beim Atmen, beim Denken, beim Aufstehen, durch Schmerzen. Den fünf Menschen aus dem Kreis Stade ist die Krankheit auf den ersten Blick nicht anzusehen. Doch keiner von ihnen ist zurzeit erwerbsfähig.

Wenn der Akku plötzlich vollkommen leer ist

„Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, wenn einem als junger Mensch plötzlich der Stöpsel gezogen wird,“ sagt die 35-jährige Staderin Ann Christin Kläke. Nach ihrer Erkrankung fing sie wieder an, in Vollzeit als Ingenieurin zu arbeiten. „Aber abends war ich völlig platt. Ich konnte mir manchmal nicht einmal mehr Essen kochen, geschweige denn Freunde treffen oder irgendetwas unternehmen.“

Dann erkrankte sie erneut - daraufhin ging gar nichts mehr. Kläke hat an einer Studie teilgenommen, bei der ein vielversprechender Wirkstoff namens BC 007 erprobt wurde. Doch finanzielle Engpässe führten zur vorzeitigen Beendigung. Andere Studien seien in der Frühphase: „Das kann noch Jahre dauern.“

Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, wenn einem als junger Mensch plötzlich der Stöpsel gezogen wird.

Ann Christin Kläke

Treten Covid-19-typische Symptome über einen Zeitraum von vier Wochen nach der Infektion auf, wird das als Long Covid bezeichnet. Halten sie drei Monate nach der Erkrankung an, sprechen Fachleute vom Post-Covid-Syndrom. Frauen sind wesentlich öfter betroffen als Männer. Lungenprobleme, Konzentrationsstörungen (Brain Fog/Gehirnnebel) und Schmerzen sind Symptome, mit denen viele zu kämpfen haben. Doch insgesamt werden mehr als 200 Symptome unter Post Covid zusammengefasst.

Bei der Arbeit im Pflegeheim infiziert

Die 48-jährige Magdalena Schwenke aus Ritschermoor war in der Pflegeausbildung, als sie sich im August 2020 ansteckte: „Im Pflegeheim waren zu dem Zeitpunkt auf allen Etagen Kranke.“ Eine Impfung gab es noch nicht.

Die 38-jährige Nadine Beckmann-Kruse war Krankenschwester am Elbe Klinikum in Stade. Sie hatte 40 Tage durchgearbeitet, als sie sich im Januar 2021 bei einer Patientin ansteckte. Die Mutter von drei Kindern erkrankte schwer und musste stationär in die Kardiologie aufgenommen werden.

Der 54-jährige Percy Schmüser aus Buxtehude arbeitete als Filialleiter bei Carglass, als es ihn im Februar 2021 erwischte. Er hatte viel Kundenkontakt. Wo er sich angesteckt hat, weiß er bis heute nicht genau.

Ann Christin Kläke steckte sich im Juni 2022 an, die 58-jährige Astrid Eckstein aus Mulsum im November 2022. Sie alle haben bis heute Long Covid. Ausgerechnet in einer Reha-Einrichtung hat Astrid Eckstein sich erst kürzlich sogar erneut angesteckt: „Ich bin frisch genesen.“

Im Jahr 2023 gab es wissenschaftlichen Untersuchungen aus den USA zufolge weltweit 400 Millionen Long-Covid-Patienten, und auch Personen, die nach einer ersten Infektion kein Long-Covid-Syndrom entwickelt hätten, blieben bei weiteren Infektionen gefährdet. Eine Warnung, die oft verhallt. „Viele haben die Schnauze voll von Corona, keiner will das hören, keiner will es wissen“, sagt Percy Schmüser. Viele seien ungläubig.

Nach 33 Jahren im Job voll ausgebremst

Schmüser war 33 Jahre bei Carglass und hatte sich beruflich etwas aufgebaut. Die Krankheit zwang ihn, zurückzufahren: „Von 120 Prozent auf Null.“ Nach 78 Wochen lief das Krankengeld aus und ging nahtlos in ALG I über. Heute wache er nachts mit Zukunftsangst auf.

Schmüser, der an Asthma und einer eingeschränkten Lungenfunktion leidet, macht sich nicht nur um seine Gesundheit und um das Einfamilienhaus Sorgen, das noch abgezahlt wird: „Auch für meine Tochter tut es mir leid. Ich würde gerne etwas mit ihr unternehmen können.“

Dadurch, dass die Krankheit ihnen nicht anzusehen ist, würden Long-Covid-Patienten oft „auf die Psycho-Schiene geschoben“, sagt Astrid Eckstein. Deshalb sei sie sogar ein wenig froh, dass ihre Stimme durch die Krankheit beeinträchtigt ist - so glaube man ihr eher. Magdalena Schwenke sagt, dass sie sich oft hilflos fühlt: „Wie ein kleines Kind im Körper einer erwachsenen Frau.“

Eine Tiefenentladung ist riskant

Ann Christin Kläke erklärt das Erschöpfungs-Problem mit dem Bild eines Akkus, der statt 100 Prozent Ladung nur noch 20 bietet: „Da muss man rechnen: Fünf Prozent für Haare waschen, fünf für Essen kochen. Dann noch ein Spaziergang - schon ist man im Minus und riskiert eine Tiefenentladung.“ Die sei gefährlich, denn der Akku lade sich kaum noch auf.

Um etwas Schönes zu unternehmen, eine Geburtstagsfeier zum Beispiel, nehmen sie das manchmal in Kauf, sagt Astrid Eckstein: „Hinterher müssen wir das aber ausbaden.“ Auch das Presse-Gespräch wird sie erschöpfen, sagen alle fünf. Sie hätten das bewusst in Kauf genommen.

Zentral für Long-Covid-Patienten sei es, einen Spezialisten zu finden, der sich auskennt und der ihnen glaubt, sagt Nadine Beckmann-Kruse. Oft dauere das lange: „Im Prinzip müssen wir für diese Erkrankung unsere eigenen Spezialisten sein.“

Die Betroffenen würden sich eine Long-Covid-Ambulanz im Kreis Stade wünschen. In der Medizinischen Hochschule (MHH) in Hannover gibt es eine. Dorthin wurde Percy Schmüser von seinem Lungenarzt geschickt. Nun gibt ihm die Aussicht auf eine Atemtherapie Hoffnung: Sie soll helfen, seine Lungenmuskulatur wieder aufzubauen.

Wertvoller Austausch über Ärzte und Therapien

Die Selbsthilfegruppen-Mitglieder sind froh, einander zu haben. In der Gruppe können sie sich über Ärzte, Fachärzte und Therapien austauschen. Sie wünschen sich, dass der Staat mehr in die Grundlagenforschung investiert: „Bisher haben sie dafür 15 Millionen Euro über drei Jahre zur Verfügung gestellt. Das ist zu wenig.“

Die Entwicklung eines Medikaments sei um ein Vielfaches teurer und lohne sich für die Pharmaindustrie nur, wenn die Grundlagenforschung bereits aufzeige, in welche Richtung es weitergehen muss. Die Investition würde sich lohnen, ist die Krankenschwester Nadine Beckmann-Kruse überzeugt: „Wir sind ja nicht nur fünf Leute in Stade, sondern Hunderttausende in Deutschland. Wir fehlen.“

Wo Betroffene Unterstützung finden

  • Im Landkreis Stade gibt es aktuell fünf Gruppen zu Long Covid und Post-Vac-Syndrom. (Unter dem Begriff Post-Vac-Syndrom werden Beschwerden nach einer COVID-19-Impfung beschrieben, die zum Teil vergleichbar mit den Symptomen bei Long Covid sind.) Die Stader Gruppe, die hier ihre Erfahrungen teilt, ist unter post-covid-shg@gmx.de erreichbar. Betroffene, die bei einer Gruppe mitmachen oder mehr Infos erhalten möchten, können sich bei der Selbsthilfekontaktstelle Kibis des Paritätischen unter 04141/ 3856 oder per Mail unter kibis-stade@paritaetischer.de melden. www.long-covid-plattform.de
  • Tabea, der Verein für ergänzende unabhängige Teilhabeberatung im Landkreis Stade, berät in allen Fragen zu Rehabilitations- und Teilhabeleistungen. Sprechstunde ohne Termin in Stade: Mittwoch 9 bis 12 Uhr und Donnerstag 15 bis 18 Uhr. www.tabea-stade.de

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