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TProzess um falsche Ärztin: Mit dieser Masche betrog sie zwei Kliniken

Im Meppener Krankenhaus hat die falsche Ärztin sich in der Unfallchirurgie beworben - erfolgreich.

Im Meppener Krankenhaus hat die falsche Ärztin sich in der Unfallchirurgie beworben - erfolgreich. Foto: Böckermann

Die Täuschung einer Hochstaplerin wirft ein Schlaglicht auf die Sicherheitslücken im Gesundheitssystem. Wie konnte der Betrug im Cuxland und in Meppen gelingen?

Von Tobias Böckermann Dienstag, 18.02.2025, 11:45 Uhr

Cuxland. Der Prozess gegen die falsche Ärztin aus Meppen ist am Montag fortgesetzt worden. Im Mittelpunkt standen zwei Fragen: Wie konnte der Betrug gelingen? Und warum gibt es kein Zentralregister für Mediziner und ihre Approbationsurkunden?

Chefärzte und Personalverantwortliche sagen aus

Vor dem Landgericht Osnabrück waren die damals Personalverantwortlichen sowie Chefärzte der beiden Krankenhäuser geladen, an denen sich die junge Frau im Jahr 2022 als angebliche Medizinerin eingeschlichen hatte.

Zunächst zu den Vorgängen im Ameos-Klinikum Seepark Geestland in Debstedt bei Bremerhaven: Der Chefarzt jener Abteilung, in der die heute 23-jährige Frau tätig war, berichtete über deren Einstellung. Demnach war die Angeklagte damals in einer mobilen Einrichtung tätig, in der Patienten gegen das Coronavirus geimpft wurden.

Eine Medizinerin aus diesem Impfteam stellte den Kontakt zum Chefarzt her, die angebliche Ärztin stellte sich vor und legte eine Approbationsurkunde – also die beglaubigte Berufszulassung – vor. „Die sah genauso aus wie meine“, sagte der Chefarzt. „Nur ist meine 25 Jahre älter.“ Beide hatten ihr Dokument in Hamburg erhalten oder eben angeblich erhalten.

Die Angeklagte muss sich in Osnabrück vor Gericht verantworten.

Die Angeklagte muss sich in Osnabrück vor Gericht verantworten. Foto: von der Ahé

Die Bewerberin wurde eingestellt und durfte als „teilnehmende Beobachterin“ die Abläufe im Klinikum kennenlernen. „Allerdings fiel den Kollegen bald auf, dass sie sich nicht weiterentwickelte. Die Lernkurve fehlte“, sagte der Mediziner jetzt vor Gericht. Außerdem habe sie auch nach längerer Zeit die wenigen dort gängigen Medikamente nicht richtig dosieren können – was nicht unerheblich zu sein scheint, wenn man in der Anästhesie arbeitet und mit Betäubungsmitteln hantiert.

Kündigung noch in der Probezeit

Als dann viele teils unentschuldigte Fehltage aufliefen und die junge Frau davon berichtete, ihr Freund setze sie unter Druck und sei gewalttätig, habe man ein Gespräch in der hauseigenen Psychiatrie vermittelt. Von da an sei sie nur noch mitgelaufen. Am Ende habe man der Frau noch in der Probezeit gekündigt. Sie habe zwar ihre Unschuld beteuert, sei aber weder gegen die Kündigung vorgegangen noch habe sie danach Beweise beigebracht, doch Ärztin zu sein.

Die damals zuständige Regionalgeschäftsführerin bei Ameos bestätigte die Abläufe aus ihrer Sicht. Sie selbst habe nach dem Auffliegen des Betruges Strafanzeige bei der Polizei gestellt – vor allem, um andere Kliniken vor einer mutmaßlichen Hochstaplerin zu warnen. Denn es sei nicht möglich, einfach eine Rundmail an alle Krankenhäuser zu schreiben oder eine zentrale Stelle zu informieren. Ein Problem, von dem noch zu berichten sein wird.

Ähnliches, aber deutlich dramatischer, berichtete der Chefarzt der Unfallchirurgie im Meppener Ludmillenstift. Seine Abteilung sei mit acht Oberärzten und zehn Assistenzärzten sowie weiterem Personal sehr groß, sagte der 63-Jährige. Es habe aber nie Mangel an Medizinern gegeben: „Die Stellen waren immer besetzt.“ Dennoch sei die Bewerbung der jungen Frau interessant gewesen und sie habe zwei Tage hospitieren dürfen.

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Bewertung der fachlichen und formalen Eignung

Der Chefarzt beschrieb die üblichen Abläufe vor einer Einstellung. Demnach bewerte er gemeinsam mit seinem Team die fachliche Eignung der Kandidaten, die Personalabteilung kümmere sich um die formale Eignung und die schriftlichen Unterlagen. „Ich habe keine Personalverantwortung und stelle niemanden ein. Aber ohne mein Okay wird auch kein Mediziner eingestellt“, sagte der Meppener.

Fachliche Mängel seien nicht aufgefallen – weder bei der Bewerbung noch später in der mehrwöchigen Beschäftigung im Ludmillenstift. Die junge Frau sei sehr selbstbewusst aufgetreten, habe zunächst nur assistiert und dann in der Zentralen Notaufnahme kleinere Fälle übernommen – „Aber niemals komplett eigenverantwortlich. Es waren immer Oberärzte da, die gehört werden mussten.“

Mediziner erleidet Herzstillstand

Klar sei aber eines: „Die Angeklagte hat dem Ludmillenstift Meppen und mir persönlich schweren Schaden zugefügt.“ Neben der Rufschädigung der Klinik habe er selbst einige Wochen nach dem Ereignis einen Herzstillstand erlitten, den er nur durch glückliche Umstände überlebt habe. Dem Vernehmen nach war der Mediziner durch einen zufällig anwesenden Berufskollegen gerettet worden.

Der damals verantwortliche Personalchef des Ludmillenstifts berichtete, die Bewerbung der jungen Frau sei wegen des geringen Alters natürlich aufgefallen, aber auch deshalb, weil sich nur selten deutsche Ärzte für die Unfallchirurgie bewürben. Den Lebenslauf habe er genauso wie der Chefarzt kritisch hinterfragt. „Allerdings klang die Erklärung mit einer Extrembegabung und einigen übersprungenen Klassen in den USA plausibel.“

Aber wie konnte die Frau mit einer offensichtlich nicht besonders gut gefälschten Approbationsurkunde bei gleich zwei Krankenhäusern eingestellt werden? Am ersten Prozesstag hatte eine Sachverständige aus Hamburg berichtet, die Urkunde sei an mehreren Stellen fehlerhaft.

Und hier gibt es offenbar ein typisch deutsches Datenschutzproblem. Alle vier Krankenhausvertreter berichteten, es gebe keine zentrale Stelle, an der man problemlos überprüfen könne, ob eine Approbationsurkunde echt sei. „In England ist das anders“, sagte der Ameos-Chefarzt. „Dort habe ich als Mediziner eine Nummer, die jedermann im Internet prüfen kann.“

Anfragen scheitern am Datenschutz

In Deutschland gebe es das nicht und kritische Anfragen an zuständige Behörden würden oftmals mit dem Hinweis auf Datenschutz nicht beantwortet. Außerdem gebe es keine einheitlichen Approbationsurkunden, sondern je Bundesland eine eigene - „mit Stempeln, mit Siegel oder einer Prägung“. Das zu prüfen, sei nicht die Aufgabe und nicht die Möglichkeit von Medizinern, sagten die Mediziner im Zeugenstand. Und die Personalverantwortlichen verließen sich offenbar auf Vorprüfungen aus Vorzimmern oder ihnen fiel die Fälschung schlicht nicht auf.

Der Meppener Chefarzt erläuterte, immerhin habe die falsche Ärztin vor ihrem Engagement in Meppen im Klinikum in Debstedt gearbeitet. Dort sei die Fälschung wohl ebenfalls nicht aufgefallen, was seine eigenen Zweifel etwas minderte. Zudem habe er selbst in seinem Bekanntenkreis einen jungen Mann, der mit 15 Abitur gemacht und mit 20 zu Ende studiert habe. „Es erschien also nicht unmöglich.“

Wegen mangelnder Eignung entlassen

Tatsächlich war die Angeklagte ja in Debstedt wegen mangelnder Eignung entlassen worden. Dass die Approbationsurkunde gefälscht war, war erst Monate später bekannt geworden, weil ein Bekannter des Freundes der Frau Alarm geschlagen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits in Meppen angestellt, ohne dass man dort von dem vorherigen Betrug wusste. Auch in Meppen wurde dann Anzeige erstattet.

Eine Folge hat der Betrug immerhin: Beide Krankenhäuser verlangen von Bewerbern inzwischen eine Datenschutzentbindungserklärung, damit sie zumindest versuchen können, zweifelhafte Dokumente und Qualifikationen zu prüfen.

Die ursprünglich für den Montag vorgesehene Vernehmung des Ex-Lebensgefährten der Frau wurde auf einen späteren Prozesstag verschoben. Er möchte laut Gericht auch als Zeuge nicht ohne Anwalt erscheinen.

Die Eingriffe im Einzelnen

  • Fall 1: Am 22. September 2022 hatte sich ein Patient bei der Arbeit in den kleinen Finger geschnitten. Die Angeklagte soll den Finger lokal betäubt und die Wunde dann mit sechs Stichen vernäht haben. Aufgrund mangelnder Fachkenntnisse und unsachgemäßer Anwendung chirurgischen Nähwerkzeuges habe sie riskiert, bei dem Patienten dauerhafte Nervenschäden zu verursachen, so der Staatsanwalt.
  • Fall 2: Am 23. September 2022 kam eine Patientin mit einer entzündeten Wunde in die Notaufnahme. Sie hatte sich eine Woche zuvor in den Finger geschnitten. Zur lokalen Betäubung soll die falsche Ärztin zwei Spritzen gesetzt haben, Fäden gezogen, Wundflüssigkeit entfernt und die Wunde erneut genäht haben.

  • Fall 3: Am 1. Oktober 2022 begab sich eine 82-Jährige mit Platzwunden über dem Auge und der Oberlippe in die Notaufnahme. Die Angeklagte soll wieder örtlich betäubt und die Wunde über der Oberlippe mit neun Stichen genäht haben. Die Wunde am Auge soll sie in Anwesenheit eines anderen Arztes geklebt haben.

  • Fall 4: Am selben Tag soll sie bei einem weiteren Patienten eine Schnittwunde am linken Daumen betäubt und vernäht haben. Als der Patient sie darauf hingewiesen habe, dass die Betäubung nachlasse, soll sie eine weitere Spritze in den Daumen gesetzt und die Wunde mit sechs Stichen vernäht haben.

  • Fall 5: Ebenfalls am 1. Oktober 2022 versorgte sie eine Schnittwunde am Daumen eines Patienten. Sie soll vier Spritzen in den Finger gesetzt und die Wunde vernäht haben.

  • Fall 6: Am selben Tag behandelte sie einen Patienten mit Schnittwunden im Gesicht – sie soll unter anderem die Wunde oberhalb der Augenbraue genäht haben.

  • Fall 7: Am 25. Oktober 2022 soll sie einen Patienten mit Schnittwunde am Mittelfinger betäubt und die Wunde mit drei Stichen vernäht haben.
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