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Cold Case

TRätsel um Nancy Köhn: Polizei kennt den Mörder - hat aber keine Beweise

Was mit Nancy Köhn geschehen ist? Auf diese Frage gibt es auch nach 15 Jahren keine Antwort.

Was mit Nancy Köhn geschehen ist? Auf diese Frage gibt es auch nach 15 Jahren keine Antwort. Foto: Polizei

Nancy Köhn ist verschwunden - spurlos. Die Kripo ist nicht nur sicher, dass sie ermordet wurde. Die Kripo ist auch überzeugt, den Täter zu kennen. Aber ihm ist die Tat auch nach 15 Jahren nicht nachzuweisen.

Von Egbert Schröder und Thorsten Brockmann Mittwoch, 03.04.2024, 13:50 Uhr

Hechthausen . Im März 2009 wird die damals 26 Jahre alte Nancy Köhn zum letzten Mal in Hechthausen gesehen. „Tor zum Cuxland“ nennt sich die Gemeinde an der Grenze zum Stader Landkreis. Nancy Köhn lebt hier in einem Haus am Ortsrand zusammen mit ihrem Freund.

Aus Mecklenburg-Vorpommern sind sie hergezogen ein paar Jahre zuvor, um sich im Hechthausener Ortsteil Bornberg ihren Traum vom Leben auf dem Land zu erfüllen. Aber der Traum zerplatzt. In der Beziehung kriselt es, es gibt Streit.

An einem Tag in jenem März telefoniert die junge Frau mit ihrer Mutter, um ihren Besuch zu Ostern anzukündigen. 160 Kilometer Autofahrt zurück in die Heimat. Ihre Mutter ahnt nicht, dass es das letzte Lebenszeichen ihrer Tochter ist, denn bald nach dem Gespräch muss sie verschwunden sein.

Diesen Verdacht hat die Polizei

Bis heute gibt es keine Hinweise, was mit Nancy Köhn passiert sein muss. Es gibt keine Spuren. Nur Vermutungen. Die Polizei ist überzeugt, den Täter zu kennen. Aber mehr als ein Anfangsverdacht ergibt sich nie gegen den Lebensgefährten, die 26-Jährige getötet und ihre Leiche beseitigt zu haben. 15 Jahre Ungewissheit - abgeschlossen ist der Fall für die Kriminalpolizei in Cuxhaven aber nicht.

Rückblende: Obwohl Nancy Köhn ihren Besuch angekündigt hat, wundert sich ihre Familie im mecklenburgischen Hagenow nicht, dass Ostern ohne sie vergeht. Erst vier Monate später erstattet der Bruder von Nancy Köhn bei der Polizei eine Anzeige, dass seine Schwester vermisst wird.

Monatelang fällt das Verschwinden niemandem auf

Zuvor war er nach Hechthausen gefahren, wo er den 31 Jahre alten Lebensgefährten seiner Schwester angetroffen hatte. Mehrfach hatte er erfolglos versucht, Nancy per Telefon oder SMS zu kontaktieren - WhatsApp gab es noch gar nicht. So setzt er sich in sein Auto, fährt in das Dorf an der Oste und stellt den ehemaligen Freund zur Rede. Der reagiert auf die Frage, wo sich denn seine Schwester aufhalte, mit einer Gegenfrage: „Ist die denn nicht bei euch?“

Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf. Kurze Zeit später gibt es den ersten Hinweis: Im April 2009 - also einen Monat nach ihrem Verschwinden - war auf einem Parkplatz an einer S-Bahn-Station im Hamburger Stadtteil Allermöhe ein blauer Ford Mondeo mit CUX-Kennzeichen sichergestellt worden. Besitzerin: Nancy Köhn.

Aber der Kombi kann der Polizei keine Hinweise mehr liefern, was vorgefallen ist. Das Auto wurde von den Behörden in Hamburg verschrottet, weil die Eigentümerin nicht auffindbar war und Post an sie unbeantwortet blieb. Mit dem Auto könnten wichtige Beweise, dass Nancy Köhn ermordet wurde, in der Schrottpresse verschwunden sein.

Das war einmal das Auto von Nancy Köhn - es wurde in Hamburg verschrottet, und mit dem Wagen vielleicht auch die einzigen Spuren, wo sie abgeblieben ist.

Das war einmal das Auto von Nancy Köhn - es wurde in Hamburg verschrottet, und mit dem Wagen vielleicht auch die einzigen Spuren, wo sie abgeblieben ist. Foto: Polizei

Für die Polizei verdichten sich die Hinweise, dass die 26-Jährige nicht mehr lebt: „Die vorliegenden Erkenntnisse der Polizei lassen befürchten, dass Nancy Köhn ihren gewohnten Lebensraum nicht freiwillig verlassen hat und einem Unfall oder einer Straftat zum Opfer gefallen sein könnte“, heißt es damals aber offiziell.

Die Polizisten wissen längst, dass es in der Beziehung des Paares kriselte. Später gibt der Mann zu, dass er im März 2009 nur noch der „Ex“ gewesen sei. Immer wieder habe es Streit gegeben. Die Beziehung sei „zerbrochen“ und Nancy verschwunden. Nach einer letzten Auseinandersetzung habe er sie nicht mehr gesehen und auch nie wieder etwas von ihr gehört.

Dass Nancy Köhn ohne eine einzige Spur zu hinterlassen verschwindet und der Kontakt abbricht, das ist ihm anscheinend egal. Die junge Frau mit dem runden Gesicht und dem zusammengebundenen Haar ist unauffindbar.

Im November 2009 erhöht die Kriminalpolizei den Druck auf den ehemaligen Lebensgefährten, will ihn aus der Reserve locken, hofft, dass er einen Fehler macht.

Löcher für die Leichenspürhunde

Die Staatsanwaltschaft genehmigt eine spektakuläre Aktion: Polizisten suchen auf dem mehr als 2000 Quadratmeter großen Grundstück des Paares nach der Leiche der Frau, heben mehr als 1000 Löcher aus, damit Leichenspürhunde Witterung aufnehmen können.

Zugleich setzt die Polizei Spezialgerät ein. Auch ein Teich auf dem Grundstück wird auf eine Tiefe von drei Metern ausgehoben. Doch die Suche bringt keine Hinweise: Das Rätselraten um Nancy Köhn geht weiter.

Rund 20 Beamte hatten im November 2018 auf dem Grundstück des Paares, auf dem das Haus stand, rund 1000 Löcher ausgehoben, damit Leichenspürhunde Witterung aufnehmen konnten. Doch die Aktion brachte keinen Erfolg.

Rund 20 Beamte hatten im November 2018 auf dem Grundstück des Paares, auf dem das Haus stand, rund 1000 Löcher ausgehoben, damit Leichenspürhunde Witterung aufnehmen konnten. Doch die Aktion brachte keinen Erfolg. Foto: Unruh

Auch eine bundesweite Berichterstattung in der Sendung „Aktenzeichen XY - ungelöst“ verläuft im Sande. Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Lebensgefährten werden eingestellt. Hinweise, dass er sie getötet hat, gibt es nicht, trotzdem er in seinen Vernehmungen widersprüchliche Angaben macht. Ihn anzuklagen, dafür reichen die Widersprüche aber nicht aus.

Es sei nicht beweisbar, dass Nancy Köhn einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sei - gibt die Staatsanwaltschaft damals ihre Einschätzung wieder. Heute klingt das längst ganz anders: „Beim Anfangs-Tatverdacht sind wir uns sehr, sehr sicher“, sagt Stephan Hartmann, der das zuständige Fachkommissariat bei der Polizei in Cuxhaven leitet.

Die Begleitumstände um das Verschwinden von Nancy Köhn lassen für die Kripo nur den Schluss zu: Der Täter ist im unmittelbaren persönlichen Umfeld der Frau zu suchen.

Ein seltener Zufall

Die Kripo hat die Akten im Vermisstenfall Köhn schon mehrfach wieder geöffnet. 2012 scheint sich eine Erfolg versprechende Spur nach Schleswig-Holstein aufzutun. Ein Außendienstmitarbeiter einer Vertriebsfirma meldet sich bei der Polizei und meint, das Auto der Vermissten mit dem CUX-Kennzeichen nach dem Verschwinden der jungen Frau auf einem Waldparkplatz an der Landesstraße 121 zwischen Aukrug und Nortorf gesehen zu haben - vollgestopft mit blauen Säcken.

Die Ermittler sind alarmiert, sie starten eine große Suchaktion nach einer Leiche in dem Waldstück - und beenden sie ohne neue Erkenntnisse. Das ZDF berichtet in seiner Sendung „Aktenzeichen XY - ungelöst“ über die Beobachtung des Mannes, dazu mehrere Tageszeitungen in Schleswig-Holstein.

Tatsächlich melden sich 25 Zeugen, die den blauen Ford Mondeo auch gesehen haben - und eine Frau, 38 Jahre alt, aus dem Landkreis Cuxhaven, dass wohl nach ihr gesucht werde. Das gleiche Auto, ein beinahe identisches Nummernschild. Sie war 2009 im Raum Neunmünster und Aukrug unterwegs - ein unglaublicher Zufall. Die scheinbar heiße Spur erweist sich als gar keine.

Mit diesem Fahndungsplakat sucht die Polizei nach der vermissten Nancy Köhn.

Mit diesem Fahndungsplakat sucht die Polizei nach der vermissten Nancy Köhn. Foto: Polizei

Wo könnte die Leiche sein?

Im Juli 2019 beschließt die Polizeidirektion Oldenburg, in sogenannten Cold Cases, also kalten Fällen, deren Akten längst geschlossen sind, noch einmal neu zu ermitteln. Mehr als zwei Jahre lang beschäftigten sich fünf Polizisten auch noch einmal mit Nancy Köhn und der Frage, wo ihre Leiche gelandet sein könnte.

„Wir haben versucht, beim Tatverdächtigen ein Verhalten zu provozieren, was uns in die Lage versetzt, neue Beweise zu sammeln“, sagt Hartmann. Aber der frühere Lebensgefährte von Nancy Köhn lässt sich nicht aus der Reserve locken und die Polizisten bekommen keine Antworten auf ihre Fragen.

Dem Mann ist nichts zu beweisen, „und wir müssen hinnehmen und akzeptieren, dass unsere Methoden und Möglichkeiten endlich sind“, sagt der Polizist.

Ende 2022 beendet die Gruppe der Ermittler erneut ihre Arbeit, „wir haben alles ausgeschöpft, was polizeilich möglich war“, sagt Stephan Hartmann. Immer neue Möglichkeiten durchzugehen, was passiert sein könnte und nicht zu beweisen ist, „das bringt nichts mehr“. Die Akten sind beiseite geräumt, „aber eines Tages“ sagt der Polizist, „werden wir wieder ins Rennen gehen“.

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