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Verdacht

TReichsbürger als Mitglied? Schützen-Bezirksverband nimmt Bremerhavener Verein ins Visier

Das Symbolfoto zeigt einen Hobbyschützen auf dem Schießstand. Unter Bremerhavens Schützen gibt es Ärger.

Das Symbolfoto zeigt einen Hobbyschützen auf dem Schießstand. Unter Bremerhavens Schützen gibt es Ärger. Foto: imago

Der Bezirksschützenverband Bremerhaven-Wesermünde lässt das Delegiertentreffen platzen – aus Angst, dass ein verärgerter Verein die Veranstaltung „sprenge“. Der Verdacht: Ein „Reichsbürger“ werde geschützt. Das weist der SV Lehe entschieden zurück.

Von Maike Wessolowski Sonntag, 17.03.2024, 10:00 Uhr

Bremerhaven.

Ärger beim Bezirksschützenverband Bremerhaven-Wesermünde: Aus Sorge um die Sicherheit der etwa 120 Delegierten hat Präsident Marc Ruhwedel den für Freitag geplanten Bezirksdelegiertentag abgesagt.

Der Grund: Er habe einen anonymen Hinweis aus den Reihen eines bestimmten Vereins bekommen. Demnach wollten 40 Mitglieder des Vereins die Veranstaltung im übertragenen Sinne „sprengen“, um „ihre Meinung und Sichtweise auf diese Art durchsetzen.“

Der besagte Verein ist der SV Lehe. Dessen Vize-Chef Bernd Kabelitz ist entsetzt über die Vorwürfe: „Wir wollten ganz normal mit fünf Delegierten kommen. Solche Pläne gibt es nicht. Das wäre mir bekannt geworden.“

Streit um Machtfragen oder konkreten Vorwurf?

Hintergrund für diese Eskalation ist ein andauernder Konflikt zwischen dem Verband und dem Verein. Auf den haben beide Parteien eine unterschiedliche Sichtweise.

Auf Nachfrage der „Nordsee-Zeitung“ fokussiert Ruhwedel den Konflikt auf einen konkreten Anlass: Im SV Lehe soll es mindestens ein Mitglied geben, das der Reichsbürger-Szene zuzuordnen sei und aus Verbandssicht keinen Zugang zu Waffen haben sollte. Aus Sicht des Verbands reagiere der Verein aus Bremerhaven nicht angemessen auf diesen Fall.

Der zweite Vorsitzende, Bernd Kabelitz, hingegen berichtet, dass seit einem Jahr ein Streit zwischen dem Vereinsvorsitzenden des SV Lehe und dem neuen Bezirkspräsidenten schwele, der auch auf den Verein übergreife. „Da geht es um Machtfragen.“

Vermittlungsversuche waren erfolglos. Man habe sich sogar an den Landesverband gewandt, der sich aber nicht einmischen wollte.

Rund 120 Delegierte hätten sich am Freitag treffen sollen

Der neu gewählte Bezirkspräsident Ruhwedel erklärt, dass seit einem Jahr E-Mails zwischen dem SV Lehe und dem Bezirksschützenverband Aktenordner füllten.

Der Präsident leitet den Verband, der eine regionale Unterorganisation des Deutschen Schützesbundes (DSB) darstellt. Alle im DSB organisierten Vereine sind Mitglied in Bezirksverbänden. In Bremerhaven-Wesermünde sind es 58 Vereine mit tausenden Mitgliedern. Pro 65 Mitglieder im Verein wird ein Delegierter zum Tag entsandt. Rund 120 hätten sich also am Freitag treffen sollen.

Doch Ruhwedel sagte den Termin ab. Er begründet das in einer Rundmail: Seit einem Jahr gebe es „massive Probleme“ mit dem Verein, der dort namentlich nicht genannt wird. Im Gespräch betont Ruhwedel, dass die meisten der 300 Mitglieder sicher ganz normale Schützenbrüder und -schwestern seien.

Solchen Menschen keinen Zugang zu Waffen gewähren

Konkret gehe es um ein Mitglied, das anderen Schützen einen „Reichsbürgerausweis“ gezeigt haben soll. Eben jenem Schützen habe das Ordnungsamt wegen Bedenken die Waffenbesitzkarte entzogen.

Der Verband wolle, so Ruhwedel, „auf keinen Fall Menschen mit einer solchen Gesinnung Zugang zu Waffen gewähren“. Er habe den Ausschluss des Mitglieds gefordert. Das habe der SV Lehe nicht getan.

Bernd Kabelitz war selbst 35 Jahre lang ehrenamtlich im Bezirksverband engagiert und weist die Vorwürfe, man „bewaffne Rechte“ entschieden zurück.

Zugang zu Waffen und Training verweigert

Er bestätigt, dass einem Mann, seit 25 Jahren unauffälliges und fleißiges Vereinsmitglied, die Waffenbesitzkarte entzogen wurde. Als der Verein davon erfährt, handelte er nach eigener Aussage sofort: Das Mitglied wurde suspendiert, hat keinen Zugang zu Vereinswaffen oder Training.

Grund soll ein privater Unfall und eine darauf nicht gezahlte Geldstrafe gewesen sein. In solchen Fällen können die Behörden die Zuverlässigkeit des Mitglieds anzweifeln und die Waffenbesitzerlaubnis einziehen.

Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass das besagte Mitglied keine neue Erlaubnis zum Besitz von Waffen bekommt, trotz makellosen Führungszeugnisses, schildert Kabelitz.

Germaniten sehen sich als „Ureinwohner“

Bekannt wurde dem SV Lehe dann auch der Verdacht: Der Mann sei Mitglied von Germanitien, einem Pseudostaat, dessen Mitglieder sich als indigenes Volk sehen und besondere Rechte einfordern. Sie werden dem Spektrum der Reichsbürger zugeordnet.

Weiterhin habe der Mann keinen Zugang zu Vereinswaffen oder Training. „Wenn er im Verein eine Cola trinkt, werfen wir ihn nicht raus. Aber mehr können wir an dieser Stelle nicht tun“, sagt Kabelitz.

Der SV Lehe sei ein Sportverein, der nichts dulde, was die Ausübung des Sports gefährde. Man habe Mitglieder aus vielen Nationen. Russen und Ukrainer stünden hier sogar Seite an Seite. „Wir wollen nicht, dass Politik in den Verein getragen wird.“

Für den Vereinsvize gilt die Unschuldsvermutung

Wie geht es weiter? Für Kabelitz, ehemaliger Lehrer, gilt die Unschuldsvermutung. „Wir haben dem Mitglied nahegelegt, sich einen Anwalt zu nehmen und die Sache juristisch zu klären.“ Sollte in einem halben Jahr keine Bewegung in die Sache gekommen sein, müssen man neu bewerten.

Was ist mit dem Delegiertentag? „Von Behördenseite wurde uns auf Nachfrage eine Absage des Delegiertentags empfohlen und angeregt, die Veranstaltung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen“, erklärt Ruhwedel.

Dann aber mit Unterstützung eines Sicherheitsdienstes. Die Kosten werden auf alle Vereine umgelegt werden müssen. Der Verfassungsschutz sei über den Fall informiert worden. Die Behörde hat dies am Freitag auf NZ-Nachfrage weder bestätigt noch verneint.

Offenbar wollen sich Verband und Verein bald trennen

Das Tischtuch scheint zerschnitten: Ruhwedel hofft, dass der Verein aus dem Bezirksverband austritt. Das plant der SV Lehe zum Jahresende. Er möchte nahtlos in den Bund Deutscher Sportschützen eintreten.

Für die 300 Mitglieder bedeutet das, dass es keine Kreis- oder Bezirksmeisterschaften mehr geben wird, weil diese Wettkampfstruktur im neuen Verband nicht existiert. Die einzelnen Disziplinen seien im neuen Verband aber alle vertreten.

Es gibt eine lokale Beratungsstelle, die Vereine unterstützt

Dem mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (MBT) Bremen und Bremerhaven ist der Fall eines möglichen Reichsbürgers im Verein von einem Netzwerkpartner vor einiger Zeit bereits benannt worden. MTB bietet Vereinen in solchen Fällen auf Nachfrage der Vereine Beratung und Unterstützung an.

MBT-Sprecher André Aden erklärt: Egal, ob Schützenverein, Schrebergarten oder Fußball: „Wenn Vereine Mitglieder haben, die offen die Reichsflagge hissen, einen Reichsbürgerausweis herumzeigen oder entsprechende demokratiefeindliche Ideologien offen äußern, können wir helfen, Lösungen zu finden.“ Vereine könnten sich beispielsweise mit Änderungen in der Satzung schützen.

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