TRentenberatung bald nur noch digital? Experte kritisiert DRV scharf

Ältere Menschen bevorzugen beim Thema Rente noch das persönliche Beratungsgespräch (Symbolbild). Foto: Christin Klose
Die Deutsche Rentenversicherung setzt auf Videochats und ignoriert das Bedürfnis von Senioren nach persönlichem Kontakt. Horneburg feilt jetzt an einer Lösung.
Horneburg. Je näher das Ende des eigenen Berufslebens rückt, desto mehr beschäftigen sich Menschen mit dem Thema Rente. Um das komplexe deutsche Rentensystem mit all seinen bürokratischen Hürden zu durchschauen, braucht es neben Geduld meist auch fachliche Beratung.
Allein im Regionalzentrum der Deutschen Rentenversicherung (DRV) in Stade gingen 2023 insgesamt 10.701 Anliegen ein, wie DRV-Pressesprecherin Gabriele Wallbaum dem TAGEBLATT mitteilt. Die Berater in der Schiffertorsstraße unterstützen dort an fünf Tagen pro Woche Ratsuchende in Sachen Rente, Prävention, Rehabilitation und Altersvorsorge. Wer ein persönliches Gespräch sucht und nicht nach Stade kommen kann, landet schnell bei Hans-Jürgen Nicolai.
Viele Senioren bevorzugen persönliche Beratung
Seit 25 Jahren arbeitet der ehemalige Leiter der Barmer Krankenkasse am Standort Stade als Versicherungsberater für die DRV. Die Beratungsanfragen im Landkreis Stade seien in den letzten Jahrzehnten immens angestiegen. „Früher war das Aufkommen an zwei Nachmittagen stemmbar“, sagt Nicolai. Das sei inzwischen undenkbar. 50 bis 70 Beratungen wickelt der Ruheständler monatlich im Durchschnitt ab, fühlt sich fast wieder wie ein Vollzeitbeschäftigter. Viele Anfragen könne er schon telefonisch beantworten. „Vielen Menschen ist ein persönliches Gespräch wichtig“, betont Nicolai.
Das bestätigt auch Sarah von Bargen, ehrenamtliche Seniorenbeauftragte in der Samtgemeinde Horneburg. Einmal monatlich bietet die Juristin eine Sprechstunde im Mehrgenerationenhaus an, um ältere Menschen bei ihren Fragen und Anliegen zu unterstützen. Das Thema Rente sei den Menschen wichtig, sagt von Bargen. Ihr Ziel sei es daher, die Ratsuchenden an die richtige Stelle zu vermitteln - in Rentenangelegenheiten etwa an Versicherungsberater Hans-Jürgen Nicolai.
DRV setzt auf Beratung per Videochat statt Hausbesuche
Doch die Lage im Landkreis habe sich verschlechtert, sagt Nicolai. Alle Anfragen, die nicht im Stader Regionalzentrum aufgefangen werden können, landen bei ihm und zwei weiteren Kollegen. „Das Arbeitsaufkommen ist mit drei ehrenamtlichen Versicherungsberatern nicht mehr zu bewältigen“, sagt Nicolai. Das Regionalzentrum selbst bietet keine Hausbesuche an und verweist auf die Ehrenamtler.
Das Arbeitsaufkommen ist mit drei ehrenamtlichen Versicherungsberatern nicht mehr zu bewältigen.
Hans-Jürgen Nicolai, ehrenamtlicher Versicherungsberater der DRV
„Die Anliegen unserer Kundinnen und Kunden werden auf den verschiedensten Zugangswegen bearbeitet“, sagt DRV-Sprecherin Gabriele Wallbaum auf TAGEBLATT-Anfrage. So werde die Präsenzberatung fortlaufend durch neue Beratungsmöglichkeiten per Telefon oder Videochat ausgeweitet.
Ehrenamtliche Versicherungsberater haben keine eigenen Büros
Hans-Jürgen Nicolai sieht diese digitale Erweiterung skeptisch. „Für die betroffenen Altersgruppen sind Videochats und Online-Beratung ungeeignet“, sagt der Versicherungsberater. Viele würden mit den technischen Herausforderungen nicht zurecht kommen und kapitulieren. „Hier fehlt die Rücksichtnahme auf Ältere“, betont Nicolai.
Hausbesuche und Beratungsangebote direkt vor Ort seien wichtig, da Senioren oft nicht mehr selbstständig mobil sind. „Und nicht jeder hat Kinder, die ihn zu Terminen fahren können“, sagt Nicolai. Jüngst regte der Versicherungsberater in einem Treffen der Seniorenvertretungen im Landkreis an, dass mehr kommunale Räumlichkeiten für Beratungen verfügbar gemacht werden müssten. „Aktuell muss ich teils auch meine Privaträume nutzen, da ich kein Büro besitze“, sagt Nicolai.
Horneburg arbeitet an neuer Renten-Sprechstunde
Zwei Kommunen im Landkreis scheinen hierauf bereits reagiert zu haben. So soll Nicolai ab Anfang des kommenden Jahres in Horneburg und Buxtehude eine Möglichkeit für Sprechstunden erhalten, wie er dem TAGEBLATT verrät. Daniela Subei, Leiterin des Mehrgenerationenhauses in Horneburg, bestätigt die Pläne. „Wir sind in der Planung, wie eine regelmäßige Sprechstunde im MGH umgesetzt werden kann“, sagt Subei auf TAGEBLATT-Nachfrage.
Sie begrüßt es, dass somit ein Weg gefunden würde, um ältere Menschen mit ihren Fragen noch besser zu unterstützen. Auch die Horneburger Verwaltung würde durch solch ein zusätzliches Beratungsangebot entlastet werden. Hans-Jürgen Nicolai wirkt zufrieden mit dieser Aussicht. Langfristig müsse sich die Deutsche Rentenversicherung jedoch Gedanken über ihr Beratungsangebot machen. „Mir macht die Arbeit noch Spaß, aber ich werde das auch nicht mehr ewig machen“, sagt der 77-Jährige.