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Wirtschaft

TRettungsboote aus Krautsand: Neue Generation übernimmt bei Hatecke das Ruder

Große Kreuzfahrtschiffe müssen auf den Ernstfall vorbereitet sein. Das Rettungsboot stammt aus dem Landkreis Stade.

Große Kreuzfahrtschiffe müssen auf den Ernstfall vorbereitet sein. Das Rettungsboot stammt aus dem Landkreis Stade. Foto: Hatecke

Die Bootswerft Hatecke aus der Gemeinde Drochtersen ist Weltmarktführer beim Bau von Rettungsbooten. Gerade hat die fünfte Generation die Geschäftsführung in dem Familienunternehmen übernommen.

Von Lutz Friedrich Boden Donnerstag, 10.07.2025, 11:50 Uhr

Krautsand. Das 1903 von Wilhelm Hatecke ursprünglich in Dornbusch gegründete Unternehmen ist heute im klassischen Sinn ein sogenannter „Hidden Champion“, wobei die heutige Geschäftsleitung diesen Begriff für ihr Unternehmen nicht gerne angewendet sieht. Was all diese Unternehmen, von denen es in Niedersachsen nach einer Untersuchung etwa 100 geben soll, eint, ist, dass sie sich in einem Nischenmarkt mit ihren Produkten weltweit erfolgreich durchsetzen, dass ihr weltweiter Gesamtumsatz in der Regel unter fünf Milliarden Euro liegt, dass sie der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt sind und dass es oft inhabergeführte Familienunternehmen sind.

Fünfte Generation übernahm im April die Geschäftsleitung

Ein Familienunternehmen ist die Hatecke GmbH in Drochtersen, bei der zum 1. April 2025 die bereits fünfte Generation die Geschäftsleitung übernommen hat, im besten Sinne. Denn auch für die junge Generation ist es nicht nur selbstverständlich, sondern von besonderer Bedeutung, dass die Familienwerte, wie Wertschätzung und Zusammenhalt, auch im Unternehmen gelebt werden. Das bezieht sich insbesondere auf die Mitarbeiter, die die Geschäftsleitung jederzeit auch mit privaten Problemen ansprechen können, und, wie Dr. Hannes Hatecke, CEO und Sprecher der Geschäftsleitung, erklärt, ihnen dann oft mit Ideen geholfen worden sei. Man sieht sich aber auch in der Verantwortung gegenüber den Kunden, der Umwelt und natürlich der Gesellschafterfamilie.

Als Wilhelm Hatecke am 1. April 1903 seinen Handwerksbetrieb, eine Schiffszimmerei und Werft, gegründete, hat er sicher in seinen kühnsten Träumen nicht gedacht, dass sein Sohn Ernst und seine Enkel den Betrieb in den kommenden 100 Jahren zu einem kleinen mittelständischen Konzern mit Weltgeltung ausbauen. Nach genau 122 Jahren hat nun mit Dr.-Ing. Hannes Hatecke, seinem jüngeren Bruder Markus und seinem Cousin Krischan Oltmann die fünfte Generation das Ruder übernommen. Alle drei haben aber schon seit Jahren im Unternehmen gearbeitet.

Die Werft bleibt in Familienhand: Markus Hatecke, Dr. Hannes Hatecke und Krischan Oltmann (von links) stehen für die fünfte Generation und leiten das Unternehmen.

Die Werft bleibt in Familienhand: Markus Hatecke, Dr. Hannes Hatecke und Krischan Oltmann (von links) stehen für die fünfte Generation und leiten das Unternehmen. Foto: Hatecke

Die drei haben sich die Aufgaben folgendermaßen aufgeteilt: Dr. Hannes Hatecke ist als CEO für den weltweiten Vertrieb, den IT-Bereich und die Konstruktion neuer Produkte zuständig. Markus Hatecke verantwortet als COO (Chief Operating Officer) die Produktion und den Personalbereich, während Krischan Oltmann als CFO (Chief Financial Officer) das Finanzwesen und den After-Sale-Bereich leitet, der in der Marescape GmbH, einem Komplettanbieter von Sicherheitsdienstleistungen Off- und On-Shore, neu strukturiert wurde und dessen Geschäftsführer er auch ist.

Auf dem Weg zum Weltmarktführer

Wilhelm Hatecke, der Gründer, war in der Historie des Unternehmens der einzige Handwerker als Schiffszimmermeister. Erlernt hat er seinen Beruf in der Werft seines Vaters Barthold Herrmann Hatecke, der 1861 in Freiburg (Elbe) eine Werft gegründet hatte. Wilhelm Hateckes Sohn Ernst war dann der Erste, der Schiffsbau studiert hat, wie auch alle anderen nach ihm. Dies könnte ein Grund für die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens in den letzten hundert Jahren sein, denn alle Hateckes, die die Geschäfte führten, hatten sprichwörtlich immer die Nase im Wind und ein Gespür für neue Entwicklungen im Schiffbau, die sie sich dann auch frühzeitig zu eigen gemacht haben. So haben sie auch nie vor herausfordernden Projekten zurückgeschreckt, wie 1933, als ein Konsul Bieber aus Frankfurt am Main einen Heringslogger in eine Hochsee-Motorjacht umgebaut haben wollte. Die Werft hatte schon einige Logger in Frachtmotorschiffe umgebaut und so Erfahrung gesammelt. Im Juni 1934 wurde die Jacht dann vom Stapel gelassen und auf den Namen „Orinoco“ getauft.

Nach dem Ersten Weltkrieg, während dem der Werftbetrieb ruhte, weil Wilhelm Hatecke auf die Kaiserliche Werft nach Kiel dienstverpflichtet wurde, begann man mit dem Bau von hölzernen Fischkuttern und wenig später mit dem Bau von hölzernen Segelbooten vom Typ „Windbraut“. Mitte der 1920er Jahre kam dann die Reparatur von stählernen Küstenschiffen dazu. Mit der Übernahme der Werft durch Ernst Hatecke 1937 endet die Reparatur der Küstenschiffe. In den Folgejahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs konzentriert sich die Werft auf den Bau von hölzernen Beibooten wie Helgoländer Börtebooten, Marine-, Verkehrs- und Rettungsbooten. Während des Weltkriegs ist man zusätzlich mit Marinebeibooten beschäftigt. Mit Weltkriegsende baut die Werft für einige Jahre hölzerne Fischkutter, hölzerne und stählerne Rettungs- und Arbeitsboote. Ab 1953 beginnt der Bau von Rettungsbooten und Sonderfahrzeugen aus Leichtmetall. Kurze Zeit später baut man bereits die ersten Boote aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), einer damals noch relativ neuen Technik.

Sturmflut richtet schwere Schäden an

Bis Anfang der 60er Jahre wurden zudem hölzerne Verkehrsboote sowie voll verleimte Kutter für die Bundesmarine produziert. Im Februar 1962 richtet die schwere Sturmflut auch auf dem Werftgelände in Dornbusch schwere Schäden an. Zu diesem Zeitpunkt hat die Werft 20 Beschäftigte und wird von Helmut Hatecke übernommen. 1963 wurde ein GFK-Beiboot für die Binnenschifffahrt entwickelt, das bis 1970 mehr als 200-mal gebaut und verkauft worden ist. Mit der GFK-Technik wurde der Grundstein für die weitere Entwicklung der Rettungsboote gelegt. So wurde bereits 1967 ein geschlossenes Rettungsboot aus GFK mit Berieselungs- und Luftanlage für ein Tankschiff der Bundesmarine gebaut. Daneben wurden bis 1982 mehr als 100 GFK-Segeljachten vom Typ Hornet gebaut, die teilweise heute noch auf dem Wasser sind.

Hatecke baute das erste deutsche Freifall-Rettungsboot im Jahr 1983.

Hatecke baute das erste deutsche Freifall-Rettungsboot im Jahr 1983. Foto: Hatecke

Im Jahr 1971 wurde die Werft auf Krautsand errichtet und die Produktion der GFK-Boote dorthin verlegt. Für die Olympischen Spiele in Kiel wurden 1972 15 GFK-Pinassen, oder wie es im deutschen Sprachgebrauch üblicher ist, Barkassen, produziert. Ab 1981 standen dann die Rettungsboote eindeutig im Mittelpunkt der unternehmerischen Entwicklung. So wurde die Entwicklung und der Bau von teil- und vollgeschlossenen Rettungsbooten forciert und erstmals ein erfolgreicher Brandversuch an einem geschlossenen Tankerrettungsboot unternommen. Bereits ein Jahr später begannen die Entwicklung und der Bau eines Freifall-Rettungsbootes mit Ablaufbahn. Im Herbst 1983 wurde dieses Freifall-Rettungsboot dann erprobt und erhielt als Erstes die Zulassung der See-Berufsgenossenschaft. Dieses Boot wurde noch im gleichen Jahr auf einem Neubau der Sietas-Werft, der MS „Robert“, mit einer Stahlablaufbahn installiert. Damit war der Startschuss gefallen für den rasanten Aufstieg der Werft zu einem Weltmarktführer für Rettungsboote.

Mitte der 80er Jahre wurde die Produktion durch neue Größen der Freifall-Rettungsboote (mit Platz für bis zu 50 Personen), geschlossenen Rettungsbooten und schnellen Bereitschaftsbooten stetig erweitert, weshalb auf dem Gelände in den Folgejahren neue Werkhallen und ein neues Bürogebäude entstanden. Die Mitarbeiterzahl stieg zunächst auf 70. Anfang des neuen Jahrtausends wurde ein teilgeschlossenes Rettungsboot mit Platz für 150 Personen für Fahrgast- und Fährschiffe entwickelt und gebaut. Bis zum 100-jährigen Firmenjubiläum wurde die Produktion stetig erweitert, sodass dann mit rund 100 Mitarbeitern jährlich etwa 200 Freifall- und geschlossene Rettungsboote, 150 Bereitschaftsboote sowie 120 Ablauf- und sogenannte Davitanlagen hergestellt wurden.

Coronakrise und Airbus-Einstellungskampagne

Heutzutage haben die neuen Geschäftsführer ein kerngesundes Unternehmen mit rund 300 Mitarbeitern und vollen Auftragsbüchern übernommen, nachdem die Werft auch die Coronakrise überstanden hatte. Wie Hatecke erklärt, war diese Zeit für das Unternehmen durchaus existenzbedrohend, da zum einen die Reedereien der Kreuzfahrtschiffe keine Kunden hatten und deshalb auch keine Aufträge für neue Schiffe erteilt haben, und zum anderen hat Hatecke wie auch viele andere Unternehmen im Landkreis unter einer Mitarbeiter-Einstellungskampagne von Airbus gelitten, da man zehn Prozent seiner Mitarbeiter dadurch verloren hat.

Zwischenzeitlich ist die Zahl der Mitarbeiter wieder auf 300 angestiegen und die Kreuzfahrtbranche boomt. Die Passagierzahlen sind heute sogar höher als vor Corona. Entsprechend sind die Werften mit Aufträgen für neue Kreuzfahrtschiffe mindestens bis 2030 ausgebucht, und somit auch Hatecke, denn zum Glück für die Hatecke-Werft ist der Bau von Kreuzfahrtschiffen eine europäische Domäne im Gegensatz zum Bau von Handelsschiffen, bei dem die Chinesen dominieren.

Zu verdanken ist der stabile Zustand des Unternehmens Peter Hatecke, der 1991 zusammen mit seinem Bruder Jan die Geschäftsführung von seinem Vater Helmut übernommen hatte. Von 2005 an hat Peter Hatecke dann als alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter das Unternehmen erfolgreich durch die Weltfinanzkrise und die Corona-Zeit geführt. Jetzt hat er zwar die Verantwortung an seine Söhne Hannes und Markus sowie an seinen Neffen Krischan abgegeben, steht dem Trio aber weiter gerne beratend zur Seite.

Drei Weltrekorde für die Krautsander Werft

Während Corona hat die Werft von der Polizeibehörde in Schleswig-Holstein den Auftrag erhalten, ein Polizeiboot zu bauen, das um 50 Prozent schneller fährt als ihre bisherigen Boote, die auch schon 30 Knoten erreichten. Dieser Auftrag war von der Zeitvorgabe sehr sportlich, wurde aber bestens erfüllt. Nach etwas mehr als einem Jahr konnte das Boot ausgeliefert werden, das mit 47 Knoten die Vorgabe sogar noch übertrifft. Inzwischen ist bereits das fünfte Boot ausgeliefert. Kurz vor Corona hat die Hatecke-Werft im Jahr 2017 einen Prototyp eines großen Rettungsbootes (PEL 14) erfolgreich getestet und war damit Weltrekordhalter in der weltweit größten Gesamtkapazität für Rettungsboote mit mehr als 450 Personen, zudem Weltrekordhalter bei der kürzesten Einschiffungszeit für Rettungsboote mit mehr als 150 Personen und – dritter Weltrekord – Erschaffer einer unübertroffenen Effizienz hinsichtlich des benötigten Platzbedarfs an Bord pro Person im eingebauten Zustand.

Daneben konnte im gleichen Jahr auch die erfolgreiche Installation eines ersten hydraulischen Hatecke Davits (einer Aussetzungsvorrichtung für Rettungsboote auf einem Schiff) für ein 150-Personen-Rettungsboot bei einem in Deutschland gebauten RoRo-Passagierschiff gefeiert werden.

„Hatecke next Generation“

Neben dem Übergang der Unternehmensanteile an die junge Generation bedeutet das für die Werft einen neuen Kultur- und Wertewandel hin zu mehr Eigenverantwortung und Mitgestaltung durch jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter. Unterstützt wird die Transformation durch ein strukturiertes, mehrjähriges Maßnahmenprogramm, das die digitale Transformation, die Steuerung von Risiken und die Optimierung von Prozessen als auch die Attraktivität als Arbeitgeber sicherstellt. Die Dekarbonisierung des Fertigungsstandortes und des Produktportfolios sind prioritärer Teil der Maßnahmeninitiative. Dadurch soll in einem anspruchsvollen und volatilen Marktumfeld die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit des Familienunternehmens sichergestellt werden, ohne die Geschäftspartner oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überfordern. 

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