TSchlaf war Nebensache: So suchten die Marineflieger aus dem Nachbarkreis 1978 die „München“

Entsendung der Crew in das Suchgebiet bei den Azoren: Rolf Huber ganz links. Foto: cnv
Langstreckenrekorde, der erste Absturz einer Breguet Atlantic, der Zugang der Sea Lynx-Bordhubschrauber und die dramatische Suche nach der München: Herausragende Ereignisse in der Geschichte der Nordholzer Marineflieger zwischen 1974 und 1983.
Nordholz. Wir begleiten das Jubiläumsjahr des Marinefliegergeschwaders 3 (60 Jahre) mit einem Blick auf die Chronik und Gesprächen mit Zeitzeugen aus sechs Dekaden.
„Das ganz große Problem bei der Suche nach der ,München‘ war das Wetter“, sagt Rolf Huber aus Altenwalde als allererstes, wenn er an die dramatischen Tage kurz vor Weihnachten 1978 zurückdenkt.
Am 13. Dezember berichtete unsere Zeitung zum ersten Mal über den in einem Orkan bei den Azoren mit 28 Personen an Bord vermissten Lash-Carrier (ein Vorläufer der modernen Containerschiffe, auf denen die Ladung in schwimmfähigen Leichtern transportiert wurde). Am 12. Dezember kurz nach 4 Uhr hatte die „München“ SOS gefunkt. Tags darauf entdeckte eine Breguet Atlantic-Besatzung aus Nordholz zwei der 83 von der „München“ geladenen Leichter in der wilden See.

Rolf Huber sind die Ereignisse noch so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. Foto Reese-Winne Foto: Reese-Winne
Rolf Huber: „Hans Schäffler (laut Berichten von damals mit seiner Crew XII) hatte man als Erstes losgeschickt, man wusste noch gar nichts.“ Die amerikanische Basis Lajes auf den Azoren kannten die Piloten gut. Rolf Huber und seine Crew I sollten nun das Suchgebiet von Norden her aufrollen, mit einem Zwischenstopp in St. Morgan/Cornwall, wo auch noch flugs der Kompass repariert werden musste.
„Wir waren sofort im 100-Prozent-Modus, in voller Alarmbereitschaft, und hatten alles scharf gestellt, was Signale auffangen konnte.“ Hinweise auf wahrgenommene Signale prasselten von allen Seiten von Schiffen und Leitstellen auf sie ein, aber kein einziges davon war das Entscheidende.

Das war die letzte bekannte Position des Frachters "München". Foto: cnv
Sieben Maschinen durchkämmten Suchgebiet
Die Wetterverhältnisse verlangten den Crews alles ab: „Wir kamen gerade so unter die Wolkendecke, die Wellen waren 10, 15, 20 Meter hoch.“ Die Flughöhe betrug bei den Suchschlägen meist nur 33 Meter.
Militärgeschichte
T 60 Jahre MFG 3: Ehemaliger Kommodore (98) berichtet über Pionierjahre
Das war riskant, die üblichen Sicherheitsregeln waren außer Kraft gesetzt; die Kommandanten entschieden, wie weit sie gehen konnten. „Wer nicht draußen war, lag vier Stunden in der Koje, das Flugzeug wurde gleich fertig gemacht, dann ging es wieder raus für die nächsten zehn Stunden.“
Insgesamt durchkämmten sieben Maschinen aus Nordholz das Orkangebiet, das zuerst so groß wie Bayern war und später erheblich erweitert wurde. Auch die Mechaniker und Bodenkräfte in Nordholz und Lajes arbeiteten bis zum Umfallen.

Blick in den Gefechtsstand in Nordholz während der "München"-Suche. Foto: CN-Archiv
„Schlimm war, dass eines Tages ein Privatflugzeug mit Presseleuten - Bunte, Stern, Spiegel - auftauchte“, erinnert sich Rolf Huber. „Die haben zum Teil sogar versucht, sich in die Flugzeuge zu schmuggeln, katastrophal.“
Doch die „München“ gab bis auf vier leere Rettungsinseln, drei Leichter, eine Funkboje und zwei Rettungsringe nichts von sich preis. Am 20. Dezember waren alle Hoffnungen so gut wie verschwunden, dennoch sollte - auch auf Betreiben des Bundeskanzlers Helmut Schmidt - noch bis Heiligabend gesucht werden.
Am 23. Dezember kehrten die Maschinen nach Nordholz zurück. „Es war bedrückend“, erinnert sich der Pilot, „wir hatten uns unter widrigsten Umständen so eingesetzt und doch keinen Erfolg erzielt.“ Die Fotos aus dem CN-Fotoarchiv zeigen die Rückkehrer nach der Landung: Erschöpft, mit leerem Blick; schon gar nicht für das Adventsgesteck auf dem Tisch und den Weihnachtsbaum in der Ecke.

Nur noch Erschöpfung und Trauer: Im Staffelgebäude schilderten die Besatzungsmitglieder die Eindrücke der ununterbrochenen Suche im Atlantik. Foto: CNV-Archiv (lu)
Gefragter Fachmann für Flugunfall-Analyse
Grenzerfahrungen hat Rolf Huber in seiner Karriere auch sonst reichlich gesammelt. Am eigenen Leib, etwa bei einem Triebwerksausfall über dem Atlantik mit Notlandung in letzter Minute auf den Bermudas, und in sechs Jahren als Geschwaderflugsicherheitsstabsoffizier (FSO). Nur dem Kommodore unterstellt, war seine Aufgabe die Flugunfalluntersuchung und -verhütung. In diese Zeit fiel auch der Absturz und Totalverlust der 61+07 vor den Augen entsetzter Geschwaderkollegen.
Huber wurde aber auch in die Zivilluftfahrt oder zu Unfällen ausländischer Militärmaschinen gerufen. Ein spektakuläres Foto zeigt eine im Ijsselmeer treibende holländische Breguet, die bei der Bergung quasi auseinanderfiel, weil niemand das Gewicht des Wassers darin ausreichend berechnet hatte. „Die Arbeit war äußerst interessant, aber auch sehr fordernd“, so Rolf Huber, „Ziel war nicht die Klärung der Schuld, sondern der Ursache.“
Neben den mit äußerster Präzision zu fliegenden militärischen Aufträgen stand über allem die SAR (Search and Rescue)-Bereitschaft: „Eine Atlantic musste binnen einer Stunde in der Luft sein. Im Sommer kamen wir quasi nicht aus der Fliegerkombi raus.“ Für den Notfall hatten die Maschinen ein Rettungsmittel-Ensemble namens „Lindholm-Kette“ an Bord. Dazu gehörte ein 21-Mann-Schlauchboot; dazu bestimmt, neben einem Havaristen abgeworfen zu werden.
Unvergesslich ist für Rolf Huber die ausgeprägte Kameradschaft jener Tage: „Ein sehr tolles, familiäres Verhältnis. Es wurde sich geholfen.“ Zwischen den Besatzungen herrschte im Wettbewerb um den Titel der besten Crew des Jahres dennoch eine gesunde Konkurrenz.

Erheblicher Schaden; ausgelöst durch Vogelschlag. Foto: MFG 3
1974 bis 1983: Was noch geschah (aus den Geschwaderchroniken)
28. 6. 1974: Vogelschlag zerstört einen Bugausguck, ein Besatzungsmitglied wird verletzt.
4. 9. 1974: Großalarm um eine angeblich abgestürzte Atlantic: Augenzeugen hatten in Bremerhaven ein außergewöhnlich tief fliegendes Flugzeug in Richtung Weser entschwinden sehen. Das Geschwader vermisste jedoch keine Maschine. Die Suche blieb ergebnislos.
31. 12. 1974: Die letzte Piaggio P 149 verlässt das Geschwader. Insgesamt haben sechs „Piggis“ hier 5000 Flugstunden erbracht.
17. bis 18. 4. 1975: 20 Stunden und 20 Minuten sind Kapitänleutnant Dieter Batzdorf und Crew (insgesamt 13 Besatzungsmitglieder) in der Luft, das ist der längste Flug eines Bundeswehrflugzeugs. Die Frage: Ab welcher Dauer werden Einsätze ineffizient? Es geht über Helgoland nach Nordnorwegen und in die Barentsee. Nach 13 Stunden kehrt die Maschine um. Bilanz: Einsätze länger als zwölf Stunden seien nicht effizient, sondern für Mensch und Material zunehmend strapaziös.
13. 6. 1975: Großübung der San-Staffel in Midlum-Kransburg. Das aufgestellte Behelfshospital enthält Räume für Schockbehandlung, Röntgen, OPs, zahnärztliche Behandlung, Überwachung, Pflege und einen Truppenentgiftungsplatz.
17. 9. 1975: Willy Brandt landet in Nordholz; am 27. 9. kommt Bundeskanzler Helmut Schmidt.
28. 4. 1976: Die 50.000 Atlantic-Flugstunde; August 1976: Zehn Jahre „Atlantic“-Simulator.
21. 2. 1977: Wegen der anstehenden Abschaffung der Bundeswehrsportfluggruppen gründen 19 Mitglieder eine zivile Sportfluggruppe.

Spektakuläre Bilder vom Flugtag am 12. Juni 1977: Acht Breguets präsentierten sich den Zuschauern am Boden und in der Luft. Foto: MFG 3 Foto: MFG 3
12. 6. 1977: Großflugtag und Tag der offenen Tür mit einer Achter-Breguet-Formations, den Black Devils (Fallschirmspringer aus Belgien) und der italienischen Kunstflugstaffel „Frecche Tricolori“ (1988 beim Flugtag in Ramstein verunglückt).
4. 1. 1978: Einweihung der Flugzeugwaschhalle.
Januar 1978: Eine fehlgeleitete Spenderniere wird in einer Atlantic von Kopenhagen nach Hamburg geflogen.
22. 2. 1978: Einweihung der neuen Feuerwache.

Entsetzen löste der erste schwerwiegende Flugunfall einer Breguet Atlantic aus: Die 61+07 stürzte über der Landebahn ab und geriet in Brand. Foto: MFG 3 Foto: MFG 3
25. 4. 1978: Flugunfall der Breguet Atlantic 61+07: Die Maschine stürzt beim Landeanflug auf das Rollfeld, überschlägt sich seitlich, verliert eine Tragfläche und das Leitwerk und bleibt brennend liegen. Die Piloten und der Bordmechaniker des Übungsflugs klettern selbstständig aus dem Wrack, einzig der Mechaniker ist verletzt.

Die dreiköpfige Besatzung kam ohne schwere Verletzungen davon. Foto: MFG 3 Foto: MFG 3

Die Maschine konnte nicht repariert werden. Foto: MFG 3
4. bis 23. 12. 1978: Dramatische Suche nach dem Frachter „München“.
Januar/Februar 1979: Nordholzer und Altenwalder Soldaten helfen bei der Schneekatastrophe.
31. 5. 1979: Laut Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags soll die Sea Lynx der Bordhubschrauber für sechs im Bau befindliche Fregatten sein - mit Nordholz als Landbasis.
7. 9. 1979: Bundesverteidigungsminister Hans Apel in Nordholz.
5. 10. 1979: Bundeskanzler Helmut Schmidt zu Besuch.
8. 8. 1980: Ex-First Lady Mildred Scheel, Vorsitzende der Deutschen Krebshilfe, landet auf dem Weg zum Krabbenfischertag in Cuxhaven in Nordholz.
1. 10. 1980: Kapitän zur See Eduard Wismeth folgt Kapitän zur See Josef Lambertz als Kommodore.
23. 10. 1980: Erstes Waschhallenfest.
Atlantic-Crew findet überfälliges deutsches U-Boot
5. 2. 1981: Eine Atlantic-Crew findet das überfällige deutsche U-Boot „29“.
März 1981: Sonderkontrolle aller Maschinen, nachdem Korrosion an den Umlenkhebeln der Flugsteuerung zum Absturz zweier holländischer Breguets geführt hat.
21. 6. 1981: Tag der offenen Tür und Besichtigungstag, über 30.000 Besucher.
September 1981: Übernahme der ersten drei Bordhubschrauber Sea Lynx Mk 88; 1.10.: Aufstellung der 3. Staffel.
November 1981: Flugübungen auf dem Notlandeplatz auf der A 27 bei Midlum.
1. 3. 1982: Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß landet mit seinem Privatflugzeug in Nordholz.
14. 5. 1983: Eröffnung des Sonderlandeplatzes Nordholz-Spieka; die zivile Sportfluggruppe zieht dorthin um.
10. 11. 1982: Übernahme der ersten beiden „kampfwertgesteigerten“ Atlantics (61+01 und 61+20).
29. 3. 1983: Übergabe der Geschwaderchronik (1300 Seiten über die ersten 18 Jahre in 16 Bänden).
27. 4. 1983: Übernahme des 12. und letzten Bordhubschraubers.
17-24. 11. 1984: Langstreckennavigationsflug der Crew VIII unter Korvettenkapitän Dirk Fahlbusch: Erstmals überfliegt eine „Atlantic“ den Äquator.

Logo Serie 60 Jahre MFG 3 Foto: cnv