TSeltene Krankheit: Tims Geschichte vom Kampf gegen den Krebs

Tim Böckmann mit Dr. Matthias Priemel vom UKE. Foto: Fehlbus
Die Diagnose ist ein Schock für die ganze Familie: Osteosarkom. Gerade einmal 150 Menschen jährlich erkranken in Deutschland daran. Einer von ihnen ist Tim Böckmann aus Brest.
Brest. Tim Böckmann ist im Krankenhaus in Hamburg-Eppendorf. Wieder einmal. 133 Tage hat er hier seit seiner Diagnose vor gut einem Jahr stationär verbracht. Tim Böckmann ist jetzt 19 Jahre alt. Seit er 18 ist, weiß er, dass er Knochenkrebs hat. Seitdem hat sich seine Sichtweise auf das Leben verändert.
„Wir sollten keinen unserer Träume aufschieben“
Statt tanzen, feiern und um die Häuser ziehen konzentriert sich Tim auf ernste und auf die wirklich schönen Dinge im Leben. „Wir sollten keinen unserer Träume aufschieben“, sagt er. Da hat er die nächste OP schon vor sich.
Es ist nicht sicher, wie seine Lebensgeschichte weitergehen wird, das weiß Tim. Er und seine Familie möchten aber, dass sie erzählt wird. Weil es ihnen wichtig ist, zu sagen, dass es tolle Menschen gibt, die Ärzte sind und helfen wollen. Weil es unglaubliche Wendungen im Leben gibt und Stiftungen, die kaum einer kennt. Weil jeder auf seinen Körper hören sollte, wenn dieser um Hilfe ruft. Und weil es nichts Stärkeres gibt, als gemeinsam daran zu glauben, dass alles am Ende gut wird.
Als Zimmermann: Klar ist das Muskelkater
Es fängt 2023 an. Tim ist in der Ausbildung, er will Zimmermann werden. Ein Beruf, in dem man etwas erschafft. Es ist eine Arbeit, die Mut braucht in schwindelerregender Höhe und Kraft für schwere Holzbalken. So glaubt er zuerst, dass er Muskelkater hat, als ihm die Schulter wehtut. Manchmal auch das Bein, wenn er morgens aus dem Bett steigt. „Aber das war dann immer schnell wieder weg“, sagt er.
Auch Mutter Nicole glaubt an die Erklärung mit dem Muskelkater, bis sie irgendwann so ein „blödes Bauchgefühl“ hat, wie sie sagt. Sie will einen MRT-Termin vereinbaren. Am liebsten sofort und jetzt.
„Mit so einer Diagnose hat doch kein Mensch gerechnet“
In der Region bis Harburg sind alle Termine auf Monate vergeben. So landet sie in Hamburg-Eidelstedt. „Ich weiß noch, dass die Frau am Telefon sagte, dann müssen sie aber um 7 Uhr hier sein. Und ich habe geantwortet: Kein Problem, meine Männer sind Frühaufsteher.“
Tim startet früh morgens mit Vater Horst Böckmann von Brest aus. „Da sind die beiden ahnungslos hingefahren“, sagt Nicole Böckmann rückblickend, „mit so einer Diagnose hat ja nun kein Mensch gerechnet.“ Tim erinnert sich: „Der Arzt hat uns in sein Büro gebeten und uns direkt die Nummer von Dr. Priemel gegeben.“
Seltenes Osteosarkom: Erster Termin bei Dr. Priemel
Heute weiß die Familie, wie wichtig der Termin war, bei dem Radiologen, der schon ein Osteosarkom, eine besondere Art des Knochenkrebses, gesehen hat. Der sofort reagiert und sie zur richtigen Stelle weiterleitet.
Der Arzt habe gleich gesagt: „Da glüht was“, sagt Vater Horst Böckmann. Tumore sind hell auf dem CT, ein Osteosarkom aber selten. Nur 150 Menschen in Deutschland erkranken pro Jahr neu an dieser Knochenkrebsform. Tim hat noch etwas Selteneres: ein Osteosarkom an zwei Stellen gleichzeitig im Körper, synchron entstanden. Als sie ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) kommen, ist allerdings nur das Sarkom in der Schulter bekannt. Gerade einmal zwei Tage nach dem ersten Befund haben Böckmanns einen Termin in Eppendorf.

Dr. Matthias Priemel hat das Knie und das Schultergelenk von Tim Böckmann operiert. Hier ist die Knieprothese deutlich zu sehen. Foto: Fehlbus
„Haben Sie morgen um 8 Uhr was vor?“, habe die Sekretärin sie gefragt, sagt Nicole Böckmann: „Nein, wir haben diese Woche jetzt gar nichts mehr vor“, habe sie geantwortet. „Und da haben wir morgens dann bei Dr. Priemel gesessen.“
Der stellvertretende Ärztliche Direktor am UKE und Leiter der muskuloskelettalen Tumorchirurgie ordnet zuerst ein umfassendes CT an. „Dann haben wir über die Chemo und die weiteren Untersuchungen gesprochen“, sagt Tim. Für ihn gilt bis heute: „Wenn Dr. Priemel sagt, dass das richtig ist, fühle ich mich sicher.“
Chemotherapie vor der Operation
Dr. Matthias Priemel, Privatdozent, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Facharzt für Allgemeinchirurgie, ist 56 Jahre alt. Vor der Einführung der Chemotherapie, sagt er, habe man beim Knochenkrebs möglichst viel wegoperiert. Beine, Arme wurden auch amputiert.
Die Ergebnisse dieser Behandlungen waren niederschmetternd: Statt das Leben der Patienten zu sichern, schienen die radikalen Operationen eher die Metastasierung zu fördern. „Mit der Einführung der Chemotherapie vor der Operation ist die Überlebenschance auf 50 bis 75 Prozent gestiegen“, sagt Priemel, heute führe man vor allem erhaltende Operationen durch.

Mutter Nicole, Tim und Vater Horst Böckmann sehen sich gemeinsam das Familien-Fotoalbum an, in dem auch Bilder von großen Narben und schweren Operationen ihren Platz gefunden haben. Foto: Fehlbus
Für Tim Böckmann standen Ende September 2023 die ersten Chemotherapien an, dafür musste er immer stationär ins UKE. Der Tag, an dem die Haare ausfielen, war bei weitem nicht der schlimmste, sagt Tim, während er im Fotoalbum der Familie blättert.
Nicole Böckmann hat Fotos von jedem Lebensabschnitt nach dem Tag der Erkrankung zwischen diesen zwei blauen Buchdeckeln eingeklebt. Unter jedem steht ein Datum. Sorgsam notiert, verbunden mit persönlichen Eindrücken. Sie hat Tagebuch geführt. Es ist der verschriftliche Ausnahmezustand einer Familie mit zwei Kindern, die andere Pläne hatte. Auch Tims Bruder Jonas stellt seine Tagespläne um, um zu helfen, wann immer er kann.
Ob es passt, danach hat sie keiner gefragt. „Ich funktioniere, manchmal weine ich. Aber es ist doch wichtig, immer positiv zu denken“, sagt Nicole Böckmann. Sie strafft ihren Rücken, fast ist ein Lächeln zu erkennen: „Ich bin so stolz auf Tim, wie er das annimmt, und dass er seinen Humor nicht verliert.“
Sohn tröstet die Mutter: Es sind doch nur die Haare
So ist es auch an dem Tag, an dem unter der Dusche die ersten Haarbüschel in der Wanne liegen. „Es ist so weit, Mama, die Haare fallen aus“, sagt Tim damals. Für sie sei das ganz furchtbar gewesen, gibt Mutter Nicole zu. Ihr Sohn tröstete sie: „Mama, das ist doch nicht so schlimm, das sind doch nur die Haare.“ Es ist dennoch der Beginn einer schweren Zeit.
Weltkinderkrebstag
T Nähende Trostspender: Durch sie bekommt der Krebs ein Gesicht
Im Oktober 2023 wird noch eine Szintigrafie gemacht, eine nuklearmedizinische Untersuchungsmethode, bei der radioaktiv markierte Stoffe Veränderungen im Körper sichtbar machen. Hier stellt sich heraus, dass in einem Knie auch ein Tumor sitzt.
Nächster Teil
Im nächsten Teil der Geschichte von Tim Böckmann geht es um die Phase nach der Chemotherapie. Da findet die erste Operation an der Schulter statt, der schnell die zweite am Knie folgen wird.
Danach hat die Familie aus der Samtgemeinde Harsefeld die Reha im Blick, liest viel auf der Seite der Deutschen Sarkom Stiftung. Auch Dr. Matthias Priemel prägt diese Zeit maßgeblich mit.

Dr. Matthias Priemel prüft, wie weit Tim Böckmann den Arm abwinkeln kann. Foto: Fehlbus

Wieder im UKE: Dr. Matthias Priemel auf dem Weg zu Tim Böckmann. Foto: Fehlbus