TSeniorin lebt mit geflüchtetem Syrer unter einem Dach

Irma Pape hat im Obergeschoss ihres Hauses in Selsingen einen Geflüchteten aus Syrien untergebracht. Die Rentnerin gibt gerne anderen etwas ab. Vor ihrem Haus pflegt sie ein Verschenke-Häuschen, in das Vorbeigehende gut erhaltene Kleidung, Bücher und Krimskrams stellen oder herausnehmen. Foto: Hahn
Irma Pape aus Selsingen lebt allein, doch fühlt sich selten einsam. Die Seniorin hat eine besondere Wohnform gefunden und wirbt für ihre Vorteile.
Selsingen. Es ist nicht das erste Mal, als Irma Pape im Oktober 2023 die beiden Zimmer im Obergeschoss ihres Hauses für einen Fremden hergibt. Als 2016 nach langer Suche in Selsingen kein passender Wohnraum für einen jungen Mann gefunden ist, beschließt sie gemeinsam mit ihrem Mann, der damals noch lebte, den jungen Syrer bei sich aufzunehmen. Bis 2018 wohnte er dort, lebt inzwischen zum Studieren in Hannover. „Unsere Erfahrungen waren sehr positiv“, sagt sie. Doch wie kam es dazu?
Sich vorher kennenzulernen, ist das Wichtigste
Das Ehepaar kannte ihn vor seinem Einzug bereits ein Jahr durch mehrere Treffen in der Flüchtlingsunterkunft in Selsingen. Das weltoffene Paar hatte eher zufällig Kontakt dorthin. „Sobald die Geflüchteten einen Aufenthaltstitel haben, werden sie aufgefordert, sich eine Wohnung zu suchen. Deshalb suchte er so dringend. Meine Tochter brachte uns letztlich auf die Idee. Wenn es in Selsingen keinen geeigneten Wohnraum gibt, schaffen wir einen“, erinnert sie sich.
Neue Situation bewog die Seniorin, erneut ihre WG zu öffnen
Einige Jahre standen die Zimmer zuletzt leer, zwischenzeitlich verstarb Irma Papes Mann. „Im November 2023 stand eine Hüft-OP bei mir an. Ich bekam Zweifel, ob ich hier noch alles alleine hinbekomme und hatte manchmal auch ein wenig Angst, alleine in diesem Haus zu sein.“ Im Oktober 2023 sprach sie Walter Fromm an.
Er setzt sich seit vielen Jahren für Geflüchtete in Selsingen ein. „Würdest du deine Zimmer wieder vermieten? Ich wüsste da jemanden. Das ist ein guter Mensch, ich kenne ihn schon ein Jahr“, gibt Irma Pape seine Worte wider. Sie vertraut Walter Fromm und verabredet einen Kennenlerntermin.
Beim Kennenlernen sofortige Sympathie
Walter Fromm begleitete den damals 20-Jährigen Diyar zu Irma Papes Haus und blieb eine halbe Stunde, während die damals 80-jährige Rentnerin noch zwei Stunden mit dem gut Deutsch sprechenden Syrer plauderte. „Wir waren uns sofort sympathisch“, sagt sie.
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Regeln für das Zusammenleben sind wichtig
Irma Pape äußert den Wunsch, dass er ihr mit den Arbeiten ums Haus hilft. Dazu ist Diyar gerne bereit. Manchmal mäht er den Rasen oder führt kleinere Reparaturen aus. Die beiden teilen Waschmaschine und Küche. „Ich hatte keine Bedenken. Ich esse immer schon um sechs. Da stört es mich nicht, wenn er abends hier brutzelt. Er räumt auch alles wieder auf“, lacht sie. Auch ihm macht ihr Drang, den ordnungsgemäßen Zustand ihrer Küche zu kontrollieren, nichts aus. „Man darf nicht so pingelig sein und man muss Vertrauen haben“, fasst Irma Pape die erforderlichen gegenseitigen Wesenszüge zusammen.
Skepsis aus ihrem Umfeld ignoriert: Pape beweist, dass es Vorurteile sind
Es gab auch kritische Stimmen aus Irma Papes Umfeld: „,Oh, pass auf, dann kannst du dein Portemonnaie nicht mehr offen liegen lassen!‘ Habe ich von anderen gehört. Dabei haben junge Männer aus Syrien Respekt und Anstand gegenüber älteren Menschen. Am 20. November zog Diyar bei mir ein, am 29. war ich nach meiner OP mehrere Wochen zur Reha“, erinnert sie sich über ihre Erleichterung, ihr Haus nicht unbewohnt zu lassen während ihrer Abwesenheit.

Irma Pape ist weltoffen und lebt die Willkommenskultur. Foto: dpa/Pleul
Ankommen in einer fremden Kultur
Diyar stammt aus dem Gebiet des syrischen Kobanê, von wo die Familie 2014 floh.
Vor rund zwei Jahren gelang ihm dann die Flucht über die Balkanroute. Schnell lernte Diyar Deutsch und nutzte dies, um auch mit Irma Pape viele Gespräche zu führen. Zum Zuckerfest zum Ende des muslimischen Ramadans bekochte Diyar Irma, deren Tochter nebst Schwiegersohn und alle aßen fleißig mit. „Mein Schwiegersohn war erst skeptisch, dass ihm die Baklava bestimmt viel zu süß sei. Am Ende hat er Diyars Reste mitgenommen und alleine gegessen.“
Auch Diyar ist aufgeschlossen für deutsche Kultur
Anlass für Unstimmigkeiten bietet der ruhige Diyar seiner Vermieterin keinen. Er empfängt keinen Besuch und konzentriert sich darauf, Deutsch zu lernen und hier Fuß zu fassen. „Sein oberstes Ziel ist, zu lernen. Einen Schulabschluss machen und Informatik studieren“, sagt sie.
Während der junge Mann mehrmals täglich betet, verfolgt Irma Pape jede Woche den Gottesdienst, manchmal auch im Fernsehen. „Wenn Diyar dann sonntags hier Hausarbeit verrichten will, bremse ich und sage, nein, sonntags machen wir nicht sauber“, lacht Irma Pape und ergänzt auf Nachfrage, sie selbst habe nie eine Zurückweisung durch ihn erfahren, wenngleich sie gelegentlich an ihre Regeln erinnere. „Vielleicht begleitet er uns Weihnachten in die Kirche“, freut sie sich über sein Interesse.
Welche Vorzüge hat das Zusammenleben noch?
„Ich fühle mich sehr viel sicherer hier in dem Haus und bin selten alleine. Und er hilft mir wirklich viel, kann alles an kleinen Reparaturen. Und wir lachen sehr viel zusammen,“ sagt die Seniorin und möchte andere ermutigen, leerstehende Zimmer für eine WG zu öffnen.