TSexueller Kindesmissbrauch: So ist die Lage in Stade und das wird getan

Von sexuellem Kindesmissbrauch sind Mädchen und Jungen betroffen. Foto: Annette Riedl/dpa Foto: Annette Riedl/dpa
Sexueller Kindesmissbrauch ist für viele immer noch ein Tabuthema. Doch er ist traurige Alltagsrealität, auch in Stade. Ein Besuch bei der Beratungsstelle.
Stade. Jeden Tag werden in Deutschland 54 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch, berichtet das Bundeskriminalamt, das im Jahr 2024 über 16.000 Fälle verzeichnete. In Stade wurden im vergangenen Jahr 33 Fälle gemeldet.
„Aber das sind nur die, die der Polizei bekannt werden“, erklärt Katarzyna Piotrowski, Leiterin der Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch in Stade. Allein dort werden jährlich etwa doppelt so viele Kinder und Jugendliche beraten - im Durchschnitt jedes Jahr 60.
Dunkelzahl an Opfern ist groß
„Nicht alle diese Taten werden angezeigt; beispielsweise, wenn die Täter noch strafunmündig oder auch Geschwister sind“, sagt Piotrowski. Das Dunkelfeld ist noch größer.
„Die Täter versuchen mit allen Mitteln, ihre Taten zu vertuschen“, sagt Piotrowski. Laut einer repräsentativen Studie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit hat jede siebte bis achte erwachsene Person in Deutschland in ihrer Kindheit und Jugend sexuelle Gewalt erlitten.
Fast zwei Drittel der betroffenen Kinder kennen die Täter oder Täterinnen, weil es Familienangehörige, Freunde oder Bekannte sind. Auch deshalb war sexueller Kindesmissbrauch lange ein gesellschaftliches Tabuthema.
Wie Helga Hansen für die Stader Beratungsstelle kämpfte
Erste Beratungsangebote entstanden in den 80er Jahren. Helga Hansen, die bei der Stadt Stade in der Familienhilfe tätig war, machte sich dafür stark, ein eigenes Angebot für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Aus ihrer Arbeit wusste sie, dass es großen Bedarf gab, und sie konnte ihre Forderung mit Fallzahlen untermauern.

Das Puppenhaus lädt zum Spielen ein. Die Kinder gestalten es oft so, wie sie auch leben, wissen Katarzyna Piotrowski (links) und Christina Beer. Foto: Richter
Im Dezember 1994 entschied der Stader Rat, eine städtische Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche einzurichten, die schon im April 1995, geleitet von Helga Hansen, ihre Arbeit aufnahm.
Die Sozialpädagogin Katarzyna Piotrowski wurde vor sechs Jahren ihre Nachfolgerin. Vor zwei Monaten hat sie mit Christina Beer, ebenfalls Sozialpädagogin, Verstärkung bekommen.
Beer wird ihren Schwerpunkt auf die Präventionsarbeit legen. Sie ist Ansprechpartnerin für Programme und Theaterstücke zum Thema, führt auf Anfrage Projekte in den Schulen durch und steht für Fortbildungen und Fachberatungen zur Verfügung.
Wichtiger Schwerpunkt: Klärungsarbeit bei Verdacht
Katarzyna Piotrowski, die eine therapeutische Zusatzausbildung hat, legt ihren Schwerpunkt vor allem auf die therapeutische Arbeit und die psychosoziale Prozessbegleitung von Familien und Kindern.
Sie arbeitet das Geschehene mit betroffenen Kindern und Jugendlichen auf. Eltern begleitet sie, verweist sie für Therapie aber an niedergelassene Therapeuten.
Wichtig ist die Klärungsarbeit: Besteht der Verdacht, dass ein Kind sexuell missbraucht wurde, kann die Beratungsstelle eingeschaltet werden.
Sie führt ein Erstgespräch mit den Eltern oder bietet eine Fachberatung für Erzieher oder Lehrkräfte an.
„Dabei fragen wir: Was könnten Erklärungsansätze sein?“ Kann der Verdacht nicht ausgeräumt werden, folgt ein Gespräch mit dem Kind, zunächst in Anwesenheit der Eltern. Das ist schon mit kleinen Kindern möglich, erklärt Piotrowski: „Sobald sie sich artikulieren können.“
Die Räume in der Salzstraße und die Materialien sind auf diese Arbeit ausgerichtet - unter anderem lädt ein gut ausgestattetes Puppenhaus zum Spielen ein. „Die Kinder gestalten das Haus und das Spiel so, wie sie auch leben“, erklärt Piotrowski.
Es sind nicht immer nur Mädchen betroffen
Sie weist darauf hin, dass Missbrauch noch immer ein Tabuthema ist und es viele Vorurteile gibt: „Aber es sind nicht immer nur Mädchen betroffen und die Täter sind nicht immer Männer.“ Deshalb sei Präventionsarbeit so wichtig.
„Eigentlich kommt nach jedem Theaterstück ein Kind auf uns zu, um eine eigene Erfahrung zu schildern“, berichtet Christina Beer. Mal gehe es um „eine Freundin“, mal um den Onkel, der „komisch kuscheln will“.
Die Theaterstücke soll Kinder bestärken, sich auf ihre Gefühle zu verlassen und sich Erwachsenen anzuvertrauen. Im Oktober präsentiert die Beratungsstelle in den Stader Kitas das Stück „Grüni und Grunilla“, in dem ein Frosch nicht geküsst werden will. Im Februar geht es in die Grundschulen, wo „Finger weg von Julia“ gezeigt wird.
Kita-Kreiselternrat fordert Angebot für alle Kinder im Kreis
Die Angebote der Stader Beratungsstelle sind kostenlos - allerdings nur für Menschen aus dem Stadtgebiet. Ein Antrag des Kita-Kreiselternrats (KER) zielt darauf ab, dass Eltern im ganzen Kreisgebiet die Angebote in Anspruch nehmen können.
Aktuell besteht ein Vertrag des Landkreises mit der Awo-Beratungsstelle Lichtblick. „Dort wird Unterstützung für Kinder erst ab dem 11. Lebensjahr angeboten“, schreibt Katharina Brüggemann vom KER-Vorstand im Antrag und fordert eine Ausweitung des Angebots für alle Kinder durch eine Kooperation mit der Stader Beratungsstelle und womöglich personelle Verstärkung. Die Beratungen in den zuständigen Gremien stehen noch aus.

Von sexuellem Kindesmissbrauch sind Mädchen und Jungen betroffen. Foto: Annette Riedl/dpa Foto: Annette Riedl/dpa
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