TSie ist die Igel-Expertin - und stößt in der Rettungsstation an Grenzen

Andrea Breimeier ist die Igelstation in Hagenah. Ihr Ehrenamt macht sie zur Alltagsheldin - bringt sie aber auch an Grenzen. Foto: Klempow
Die Igel in der Pflegestation von Andrea Breimeier sind schwer krank. Und es werden immer mehr. Dem Wildtier Igel geht es schlecht. Die Alltagsheldin kämpft um jeden einzelnen.
Hagenah. Plastik-Boxen stehen dicht an dicht, auf jedem Regal, aber auch darunter. Andrea Breimeier seufzt leise. Gedacht war der Raum der Igel-Station für zehn Tiere. Es sind wieder mehr. Heute sind keine weiteren Aufnahmen in der Station der Igelrettung Stade/Bremervörde möglich. Die kleinen Wildtiere, einige nur eine Handvoll groß, müssen intensiv betreut werden. Mehr geht gerade nicht für die Alltagsheldin.
Da sind Igel wie Rufus. Ein Bild des Jammers. Nur langsam wachsen Stacheln nach. „Ich habe hier sehr schwer kranke Igel“, sagt Andrea Breimeier. Sie sind verwurmt, von Parasiten befallen, fast verhungert oder verdurstet.
Igelin mit Hungerknick
Igelin Loretta verkrümelt sich in ihrer Box. Ein älteres Tier, zu klein und zu dünn für sein Alter. Mit dem Finger zeichnet Andrea Breimeier die eigentliche Kontur seines Körpers in die Luft. „Gesunde Igel sind rund, sie haben keinen Nacken.“ Loretta hat ihn, den Hungerknick.
Ständig klingelt das Telefon der Station - das Wildtier Igel braucht Hilfe. Kranke und darbende Igel begegnen den Menschen inzwischen zu Hauf am Tag. Dabei sind Igel doch nachtaktiv. Wenn sie tagsüber zu sehen sind, ist das ein schrilles Alarmzeichen.
Sie hat Expertenwissen
„Morgens stehe ich hier und denke, was für eine dankbare Aufgabe“, sagt Andrea Breimeier. Dennoch ist diese Aufgabe riesig. Andrea Breimeier erfüllt sie mit ihrem Wissensschatz. Sie hat jedes Seminar besucht, das es zum Thema Igel-Wildtierhilfe gibt, hat sich Rat von erfahrenen Pflegestellen geholt. Sie ist jetzt ihre eigene Expertin.
Tiere in Not
Igel haben es zunehmend schwerer: Wer rettet sie?
Im letzten Jahr hat sie in ihrer Station in Hagenah 207 Igel versorgt. Undenkbar ohne Hilfe. Die Igel-Pflegerin ist dankbar für ihre Unterstützer. Da waren der Handwerker, der die Station ausgebaut hat, diejenigen, die Igel-Boxen putzen oder die Frau, die ihr ein Verwaltungsprogramm eingerichtet hat. Jetzt hat sie in der digitalen Igelstation immer den Überblick über jedes Tier, die aktuellen Pflegeprotokolle und die entlassenen Igel. Es ist genug zu tun. Es ist immer mehr zu tun.
Vollzeit-Beschäftigung im Ehrenamt
Igelfinder kommen nach Anmeldung. Sprechstunde ist ab 16.30 Uhr. Drei Stunden dauert das Versorgen der Tiere morgens, abends kommen zwei Stunden dazu, zwischendurch Social Media und Verwaltung - ein Vollzeitjob im Ehrenamt.
Ihr Wille, den bedrohten Wilden so professionell wie möglich zu helfen, ist Andrea Breimeiers Antrieb. Vier geschulte Helferinnen in Oldendorf, Hüll, Elm und Hagenah übernehmen Igel in Pflege, wenn diese stabil genug dafür sind. Danach geht es an die Auswilderung. Die ist immer das Ziel.
Wildtiere werden ausgewildert
„Igel sind keine Haus- sondern Wildtiere“, betont die Alltagsheldin. Im besten Fall helfen die Finder bei der Auswilderung - wenn die Umgebung sich eignet. Zurück in einen Garten mit Mäh-Roboter ist keine Option. Wird der Igel andernorts ausgewildert, muss er sich in einem Gehege mit Schlafplatz und Futterhaus an die Umgebung gewöhnen. Andrea Breimeier ist für jeden dankbar, der sich eines der Auswilderungsgehege leiht und das kleine Wildtier wieder sukzessive in die Freiheit entlässt.
Aber warum ist die Station so überbelegt? Viele Winterschläfer sind krank ins Frühjahr gestartet. „Zwei Drittel aller Igel haben Hauterkrankungen“, sagt Andrea Breimeier. Es war im Winter zu feucht und zu warm, und die Immunlage der stacheligen Wilden ist schlecht. Eine Folge des Insektenmangels - ihnen fehlt die Nahrung. Knapp 200 Käfer frisst ein adultes Igel-Männchen pro Nacht.
In den letzten Wochen gab es aufgrund der kühlen Nächte noch keine Bodeninsekten. Aber die Igel waren durch die Wärme tagsüber schon geweckt - und hungrig. Fatal. Dann noch die Verwurmung durch die Fehlernährung. Auch das hat Folgen: Igelinnen schaffen gerade noch die Geburt, haben aber oft keine Kraft mehr, ihren Wurf zu säugen. Kranke und unterernährte Jungigel später im Jahr sind die Folge.
Alle Igelstationen sind überlastet
Aber wohin mit all den leidenden Tieren? Das ist die Zwickmühle in der Andrea Breimeier immer wieder steckt. Wenn sie selbst an ihre Grenzen kommt und jedem Tier doch gerecht werden will. Alle Igel-Stationen sind überlastet.
Helfen kann dennoch jeder, der einen Garten hat. Mit wilden Ecken, Reisighaufen und Büschen als Versteck und Ruheplatz wird der zum Igel-Domizil. Wer einen Käferkeller mit vermoderndem Holz anlegt, bietet dort auch Insekten einen Platz.
Offene Beete, das Gras auch mal höher stehen zu lassen, Igeltore als Durchschlüpfe in Zäunen und das ganzjährige Zufüttern und Wasserstellen helfen dem Igel - wenn die ganze Nachbarschaft mitmacht, umso mehr. Zwei Klappen vor Ein- und Ausgang der Futterhäuser sorgen dafür, dass Ratten fernbleiben. Als ideales Igel-Menü empfiehlt Andrea Breimeier eine Insektenmischung: Vier Teile Mehlwürmer und ein Teil Soldatenfliegenlarven. „Es schimmelt nicht, Katzen interessieren sich nicht dafür und die Igel fressen es richtig gern.“
Artenvielfalt und Naturschutz
Aktion: Warum der Rasenmäher im Mai im Schuppen bleiben soll
Die Igel bestimmen den Alltag der Alltagsheldin. Sie kann nicht jeden retten - aber sehr viele. Weil sie selbst auch immer wieder persönlich zurücksteckt. Illusionen macht sie sich nicht. „Was wir hier tun, ist mehr Tier- als Artenschutz. Artenschutz braucht politische Stellschrauben“, sagt Andrea Breimeier. „Was wir machen, ist die letzten ihrer Art zu retten, bis sich die Situation für die Umwelt verbessert.“ Jeder Igel zählt für sie - aber die Überlastung der Station zeigt auch deutlich: Es geht nicht mehr um Einzelfälle.
Igel-Futterhäuser (55 Euro) oder ein Starter-Set aus Futterhaus, Futter und Näpfen (70 Euro) sind über die Igelstation erhältich. Kontaktaufnahme per WhatsApp: 0170/ 3130562.
Info: Serie Alltagshelden
Die Serie Alltagshelden ist in Zusammenarbeit zwischen TAGEBLATT und Stage Entertainment Hamburg entstanden. Sie porträtiert Frauen und Männer, die ehrenamtliche Arbeit leisten für die Gesellschaft und dabei selten im Rampenlicht stehen. Sie sind Helden des Alltags - so wie auch „Hercules“ im gleichnamigen Musical ein Held mit sozialer Ader ist. In Anerkennung und als Dankeschön für ihr Engagement sind diese Alltagshelden und die, die sie während der TAGEBLATT-Aktion vorgeschlagen haben, eingeladen, sich das Musical in Hamburg mit jeweils einer Begleitung anzusehen. Mehr Infos: www.stage-entertainment.de

Hautkrankheiten - zwei Drittel aller Igel sind nach Einschätzung von Andrea Breimeier krank aus dem Winterschlaf gekommen. Foto: klempow

Ben - zu klein und humpelnd - ist auf dem Weg der Besserung. Foto: Klempow
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