TSo geht die Polizei im Kreis Stade gegen Rechtspopulismus vor

Cord Varrelmann von der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“. Foto: Richter
Aus der Vergangenheit lernen, um sich für die rechtspopulistische Gegenwart zu wappen: Darum geht es bei der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“. Polizeihauptkommissar Cord Varrelmann erklärt, wie das funktioniert.
Landkreis. „Die Polizei, dein Freund und Helfer“: Das steht für ein Leitbild der Polizei, das in der Weimarer Republik entstand. In der noch ganz jungen Demokratie sollte sie zeigen, dass sie im Dienste der Bürger stand. Denn die waren, anders als im Königreich Preußen, der Souverän.
Darauf will sich die Polizei Niedersachsen besinnen, erklärt Cord Varrelmann, Personalrat bei der Polizeiinspektion (PI) Stade. Dazu gehöre auch, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen: „Wir müssen uns fragen, wie es damals passieren konnte, dass die demokratisch legitimierte Polizei der Weimarer Republik innerhalb kürzester Zeit zur Stütze des nationalsozialistischen Unrechtsstaats wurde.“
Polizeiakademie warnt vor Rechtspopulismus
Die Polizeiakademie Niedersachsen weist darauf hin, dass der rechte Populismus und die daraus folgende Gewalt gegen Andersdenkende und vermeintlich Fremde unsere Gesellschaft und unsere freiheitliche Demokratie gefährdet, und zwar in einem Maße, wie es noch vor wenigen Jahren nicht denkbar gewesen wäre. Aus diesem Grund haben Personalräte der Polizei Niedersachsen 2019 die Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“ ins Leben gerufen.
Damals hatte der Fall des 19-jährigen Aman Alizada , der bei einem Polizeieinsatz in Stade erschossen worden war, gerade eine Diskussion über Polizeigewalt ausgelöst. Auch das jahrelange Versagen im Zusammenhang mit dem NSU (Nationalsozialistischen Untergrund) und das Thema „Racial Profiling“, also die Frage, ob die Polizei die Hautfarbe als Entscheidungsgrundlage für Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen heranzieht, spielten eine Rolle.
Dealer-Kontrolle nach kriminalistischen Kriterien
„Nach 40 Dienstjahren weiß ich, wer dealt“, sagt Cord Varrelmann. Doch es gebe nirgends eine Anordnung, Menschen bestimmter Hautfarben oder bestimmte Gruppen zu kontrollieren. Allein die kriminalistische Erfahrung solle dafür die Entscheidungsgrundlage sein. „Wir müssen nach innen horchen: Wie sind wir aufgestellt? Wie ist eigentlich unsere Haltung?“
Die Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“ arbeitet in dem Wissen, dass rechte Populisten die Polizei in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu instrumentalisieren versuchen, erklärt die Polizeiakademie. Wenn rechtspopulistische Denkweisen ihren Einzug in die Polizei fänden, sei auch das Vertrauen der Menschen in die Polizei in Gefahr.
„Reichsbürger“-Prozess
Laut Urteil: Ex-Polizist radikalisierte sich und verlor Job
2020 nahm die Initiative unter der Schirmherrschaft des damaligen Niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius ihre Arbeit auf. Zunächst ging es darum, Menschen zu erreichen, die bereit sind, sich für die Werte einer demokratisch gelebten Polizeikultur einzusetzen: 80 Demokratiepaten in ganz Niedersachsen, die jeden Einzelnen erreichen sollen. Einer von ihnen ist Cord Varrelmann.
In der PI Stade mit ihren 330 Mitarbeitern gehört er zu einem Team, das etwa zehn Fortbildungen und Workshoptage pro Jahr anbietet. „Der Besuch ist freiwillig, bei uns in der PI haben das 80 Prozent bereits durchlaufen“, sagt Varrelmann. Ein Projekt für dieses Jahr: ein Bildungsurlaub in Polen mit Besuch in Auschwitz. Stolperstein-Touren oder Besuche in der Gedenkstätte Lager Sandbostel gab es bereits. Dabei werden zum Beispiel historische Quellen studiert und bewertet. „Dabei wird klar: Auch damals gab es Handlungsoptionen“, sagt Varrelmann.
Ein Beispiel: das Reserve-Polizei-Bataillon 101, das im Zweiten Weltkrieg aktiv am Holocaust beteiligt war. Angehörige des Bataillons waren an der Ermordung von mindestens 38.000 Juden direkt beteiligt und wirkten an der Deportation von mindestens 45.000 Juden in die Vernichtungslager mit. „Es gab aber auch Polizisten, die gesagt haben: Ich kann das nicht. Sie mussten nicht mitmachen“, berichtet Varrelmann.
Polizei arbeitet mit Diskriminierungsbarometer
Daraus seien zwei Lehren zu ziehen. Erstens: Das darf nie wieder passieren. Zweitens: Wir haben immer Handlungsoptionen und prüfen sie, auch heute. Ein Instrument zur Selbstüberprüfung sei das Diskriminierungsbarometer: „Damit können Teilnehmer der Fortbildungen sehen, wie sie aufgestellt sind in Bezug auf strukturellen Rassismus und nicht-diskriminierende Sprache.“
Das spielt auch bei der Einstellung eine wichtige Rolle, sagt Jan Kurzer, Leiter der PI Stade: „Manche Dinge klopfen wir ab: Wie steht es um die politische Integrität, die Haltung, das Menschenbild, die interkulturelle Kompetenz? Wie steht die Person zu Antidiskriminierung?“
Wenn es Beschwerden gibt, landen sie in der Regel bei ihm. Dann bestellt er den Betroffenen ein und fragt den Vorgesetzten, ob das schon früher vorgekommen sei. Auch eine Aufarbeitung in einem Kreis von „Polizei schützt Demokratie“ wäre in einem solchen Fall möglich. „Bisher haben wir bei der Polizeiinspektion Stade aber kein Problem mit strukturellem Rassismus festgestellt“, sagt Jan Kurzer.