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Vor 45 Jahren

TSoldat walzt mit Leopard-Kampfpanzer Autos platt und zerstört Kreishaus-Eingangshalle

Der Leopard nach der Attacke auf das Bremervörder Kreishaus.

Der Leopard nach der Attacke auf das Bremervörder Kreishaus. Foto: Bonath

Ein liebeskranker Soldat brettert mit einem Panzer Marke „Leopard 1“ durch den halben Kreis Rotenburg und macht nieder, was ihm vor die Ketten kommt. Das war vor 45 Jahren. Ein Rückblick.

Von Wieland Bonath Mittwoch, 01.05.2024, 17:00 Uhr

Landkreis Rotenburg. Diese Geschichte ging damals durch den halben Medienwald der Republik: Der 21-jährige niederländische Unteroffizier Ron van der H., stationiert in der Kaserne Seedorf zwischen Zeven und Bremervörde, startete nachts mit einem Kampfpanzer Leopard 1 zu einer wilden Amokfahrt als ,,Rachetour“, um seine 15-jährige Geliebte Beate H. nicht zu verlieren. Eine Geschichte, die sich am 24. Juli zum 45. Mal jährt und wahrscheinlich einmalig bleiben wird.

Übrig blieben an jenem Dienstag, 24. Juli 1979: Die zerstörte Eingangshalle des Bremervörder Kreishauses an der Amtsallee, fünf plattgewalzte Pkw, zwei demolierte Wohnungen an der Gnarrenburger Straße in Bremervörde, eine Reihe von zersplitterten Bäumen und ein deformiertes Nebentor der Seedorfer Kaserne. Gesamtschaden: mehrere 100.000 D-Mark und glücklicherweise keine Verletzten oder gar Tote.

Fröhliche Runde mit reichlich Alkohol

Und genau hier in Seedorf hatte der aus Den Haag stammende Zeitsoldat Ron van der H. in fröhlicher Runde bei reichlich Alkohol mit Kameraden des Aufklärungsbataillons plötzlich einen Aussetzer. Er dachte offensichtlich an seine Beate, die ohne ihn gerade auf der spanischen Ferieninsel Ibiza Urlaub machte. Er dachte an deren Eltern und an den ständigen Streit mit ihnen darüber, dass die 15-Jährige immer wieder ausbüxte, um in seiner Nähe in Seedorf zu sein. Und seinen Zorn mag weiter angeheizt haben, dass sich die Eltern mit dem Kreisjugendamt geeinigt hatten, Beate für anderthalb Jahre in ein Internat nach Bendestorf im Kreis Harburg zu schicken. Dabei wollten Ron und Beate im Oktober ihre Verlobung feiern.

Mit Volldampf über die Bundesstraße

Plötzlich, es war gegen 1 Uhr, schnappte der 21-Jährige über und lief auf das Kasernengelände zu den abgestellten Panzern. Obwohl der Unteroffizier als Soldat des holländischen Aufklärungsbataillons sonst mit amerikanischen Panzern fuhr, gelang es ihm, den Leoparden (Eigenname ,,Atlantis“) zu starten. Mit Volldampf - Höchstgeschwindigkeit des Stahlriesen ist bei 830 PS 65 km/h - mangelte er ein Nebentor der Kaserne um. Ron van der H. bog mit dem 42 Tonner nach links auf die fast verkehrsfreie Bundesstraße 71 ein, ab in Richtung Bremervörde.

Die wenigen Kilometer auf der schnurgeraden Strecke bis Seedorf waren nach ein paar Minuten erreicht. Weiter ging die Rache-Fahrt nach Selsingen. Dort lenkte der 21-jährige Soldat „Atlantis“ nach links auf die Kreisstraße 1 in Richtung Sandbostel. Die Straßen wurden enger und kurvenreicher. Alarm war inzwischen ausgelöst, Streifenwagen der Schutzpolizei und der niederländischen Militärpolizei nahmen die Verfolgung auf.

Wie im Krieg

Quietschende Panzerketten, Blaulicht, Warnschüsse, Bäumen wurden umgefahren - das Ganze erinnerte an Krieg. Nach einer Strecke von circa 20 Kilometern, die auch durch das Dorf Minstedt führte, waren der Stadtrand von Bremervörde bzw. die Gnarrenburger Straße, erreicht. Ron van der H. wusste: Hier wohnen die Eltern von Beate, hier wollte er in dieser Nacht seinen Zorn ablassen und seine Wut mit der ganzen Wucht des Panzers über die verhinderte Liebe zu seiner Freundin demonstrieren.

Der Unteroffizier nahm zunächst einen Landrover der niederländischen Militärpolizei, der quer auf der Straße stand, ,,auf‘s Korn“. Die Militärpolizisten konnten sich im letzten Moment retten. Ihr Fahrzeug wurde zur Seite gedrückt. Der 21-Jährige stieß gegen zwei Häuser. Bei einem der Gebäude handelte es sich um die Wohnung der Eltern seiner Freundin. Der Unteroffizier fuhr bis in das Wohnzimmer des Hauses.

Als Ron van der H. nach getaner ,,Arbeit“ weiter durch die Stadt in Richtung Kreishaus donnerte, warteten am Kreishaus schon Schutzpolizei, Militärpolizei, Feuerwehr und ein Krankenwagen.

Ein Trümmerfeld, die Eingangshalle des Verwaltungsgebäudes.

Ein Trümmerfeld, die Eingangshalle des Verwaltungsgebäudes. Foto: Bonath

Bis in die Eingangshalle des Kreishauses

Es nützte nichts: Ron van der H. fuhr mit ,,Atlantis“ durch den Haupteingang des 1966 eingeweihten Kreishauses bis in die Eingangshalle. An der Treppe blieb der Leopard stehen in der Mitte von Trümmern der heruntergefallenen Deckenverkleidung. Vergeblich versuchte Ron van der H. noch, den Panzer zu wenden. Der junge Mann stieg durch die Panzerluke aus, lief die Treppe empor und stand plötzlich auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes. ,,Dort“, so der niederländische Presseoffizier, ,,hat er dann geschimpft.“

Der Kommandeur des 21-Jährigen, Oberstleutnant van Lingen, sprach auf den jungen Mann ein. Gegen 3 Uhr stellte der sich widerstandslos der Militärpolizei.

Als Beate H. von der Ferieninsel Ibiza zurück nach Bremervörde kam und von dem Ganzen hörte, trennte sie sich von ihrem Freund. Sie soll als 60-Jährige heute in Hameln wohnen.

Ron van der H. blieb, so unsere Informationen, nach der Verhandlung vor dem Militärgericht bei der niederländischen Armee. Er, inzwischen im Ruhestand, brachte es angeblich bis zum Colonel.

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