TGeheimnisvoller Sonnenuntergang in Balje – die Elbe gibt ein Rätsel auf

Sonnenuntergang an der Ostemündung. Foto: Klempow
Sonnenuntergang in Balje: Das abendliche Schauspiel an der Kreis-Küste wirft Fragen auf. Von Wracks und Untiefen, einem Schnäppchenwald, Licht und der nautischen Dämmerung.
Balje. Der Weg zur angepeilten Position führt erstmal durch den Wald. Die Blätter rauschen um kurz nach 21 Uhr im Wind. Lars Lichtenberg, Chef des Natureum Niederelbe, und Katharina Jothe, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, kommen mit zum Sonnenuntergang. Ohne sie wäre der Tagesabschied an der Kreis-Küste auch nicht möglich - der wohl westlichste Punkt des Landkreises liegt auf dem Gelände des Natureums. Die beste Sicht dürfte der Vogelbeachtungspavillon bieten.
Kurios artenreicher Wald am Wasser
Dämmerlicht hüllt den dichten Wald ein. „Der artenreichste im Landkreis Stade“, sagt Lars Lichtenberg. Ach, nee. Hier? Wo Oste und Elbe münden? „Na, ja“, sagt Lars Lichtenberg und grinst. „Der Landkreis hat damals ein Schnäppchen gemacht und den Bestand einer insolventen Baumschule aufgekauft.“ Gepflanzt wurde schon vor dem Bau des Natureums.

Lars Lichtenberg ist Leiter des Natureum Niederelbe.
Der Waldpfad endet vor einem Holz-Pavillon auf einer kleinen, eingezäunten Wiese. Der Wind kommt mit Wucht vom Wasser. Umwerfend ist der Blick.
Oste als grauer, schneller Strom
Elbe und Oste treffen sich hier. Über dem Osteriff an der Mündung kräuseln sich weiße Schaumkronen. Die Oste strömt. Grau, gewaltig und schnell. Auflaufend Wasser. 170 Meter breit ist das schnurgerade Flussbett. Rechts daneben die grüne Weite des Hullens, das Wildvogelreservat Nordkehdingen.
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Die Küste Schleswig-Holsteins mit Neufelderkoog und den Windrädern im Kaiser-Wilhelm-Koog ist geradeaus gut zu sehen. Acht Kilometer Wasser liegen dazwischen: Oste, Elbe und noch ein bisschen Wattenmeer.
Von wegen strahlender Sonnenschein
Der Horizont teilt Meer und Himmel. Die Kimm, würden Nautiker sagen. Noch 30 Minuten bis zum Sonnenuntergang. Angesagt war in der Wetter-App strahlender Sonnenschein. Hält sich nur das Küstenwetter nicht dran.
Wolkenberge setzen im Westen die Sonne dramatisch in Szene. Unter dem geballten Grau schimmert goldenes Licht. Es spiegelt sich auf dem Ostewatt. Lachmöwen segeln und rufen im Wind. Ein Austernfischer pfeift, Gänse rasten, ein Fischreiher gleitet majestätisch durch die Luft. Schön. Und von vorne gibt es jetzt eine Breitseite Regen. Rückzug in den Pavillon.

Die Vogel-Beobachtungsstation Balje steht auf dem nördlichsten Bereich des Natureum-Geländes. Foto: Klempow
Sperrwerk auf dem Trockenen gebaut
Der Pavillon markiert den nördlichsten Punkt des Natureum-Geländes. Die Landzunge ragt erhöht und deichlos zwischen Oste und Ostewatt Richtung Norden. Warum ist das so? Die Halbinsel ist erst entstanden, „als das Ostesperrwerk gebaut wurde“, sagt Lars Lichtenberg, „es wurde nach der Sturmflut 1962 praktisch auf dem Trockenen gebaut“.

Das Luftbild zeigt die Ostemündung mit der Beobachtungsstation im nördlichsten Zipfel des Natureum-Geländes, dem neuen Ostestrom östlich des Natureums und dem Altarm mit dem Ostesee links des Geländes. Foto: Google Maps
Aus dem Bodenaushub für das neue Flussbett wurde die neue Halbinsel des heutigen Natureums mit dem zehn Hektar großen Küstenpark. Aus dem alten Ostearm wurde der Ostesee, der für die Wasserski-Anlage bekannt ist. Der See gehört ebenso wie die einstige Mündung zum Naturschutzgebiet Hadelner und Belumer Außendeich und damit zum Landkreis Cuxhaven.
Wrack der sagenumwobenen Gottfried
Auf der Elbe zeichnen sich Silhouetten ab. Die letzten Sonnenstrahlen sind die Kulisse für die Neuwerk. Das Alleskönner-Schiff gehört dem Bund und ist als Eisbrecher, Tonnenleger, Schadstoffbekämpfer oder Notschlepper unterwegs. Im Einsatz scheint sie nicht zu sein, sie bleibt auf Position.
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Die Grinna fährt dagegen die Elbe rauf Richtung Hamburg. Damit lässt sie die Nordergründe, Untiefen und Sandbänke zwischen Balje und Cuxhaven, hinter sich. So manches Wrack soll dort noch im Schlick verborgen liegen. Die sagenumwobene Gottfried ist hier verschollen. 1882 sank sie in der Elbmündung. Irgendwo muss sie noch liegen. Oder nicht? „Wenn man das wüsste“, sagt Katharina Jothe und sieht auf die dunkle Wasserfläche. Dann wäre ein großes Rätsel der Elbmündung gelöst. Erst im Mai sei eine Kanone in Cuxhaven entdeckt worden, sagt Jothe. Vielleicht ist sie ein Hinweis auf das Schiff mit den ägyptischen Kunstschätzen an Bord, das einst im Sturm sank.
Die Elbe ist als Revier noch immer anspruchsvoll
Der Wind ist kräftig, aber weit entfernt von einem Sturm. Wie fährt es sich heutzutage in der Elbmündung? Eine Frage, die Jörg Pollmann im Nachhinein beantworten kann. Er war Kapitän auf Großer Fahrt. „So wie es heute betonnt ist und ausgewiesen ist, war es früher nicht. In der Segelschiffszeit musste man schon deutlich mehr aufpassen, weil der Kurs nicht so genau zu fahren war wie mit einem Motorschiff“, erklärt er. Anspruchsvoll ist die Elbe immer noch. Die Srömungen, die Verkehrsdichte, die Kursänderungen und die Fahrrinne, die sich von 400 Metern auf 270 Meter Breite bei Hamburg verjüngt. Auch heute noch können sich Sände und Untiefen durch Winter-Sturmfluten verschieben.

Eine Minute nach Sonnenuntergang. Foto: Klempow
Nun senkt sich in Balje erstmal die Juli-Sonne. Der Wind arrangiert die Wolken neu. Nur noch wenige Minuten bis zum offiziellen Sonnenuntergang. Laut astronomischem Kalender um 21.52 Uhr. Damit sieht Buxtehude laut Kalender schon keine Sonne mehr, Cuxhaven ist mit dem Untergang erst zwei Minuten später dran.
Warum die Sonne in Balje später als in Buxtehude untergeht
Warum ist das so? Auch das weiß Kapitän Pollmann. Er ist einer der Experten im Planetarium der Alten Seefahrtschule in Grünendeich. „Wenn Sie jetzt am Nordpol wären, würde die Sonne gar nicht untergehen und am Südpol gar nicht aufgehen, da sitzen Sie komplett im Dunkeln.“ Je nördlicher die Lage, desto später der Sonnenuntergang.
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In Balje sinkt die Sonne hinter dem Horizont. Zu sehen ist das nicht - Wolken und Regen ziehen einen Vorhang vor das abendliche Schauspiel. Und trotzdem erleuchten wenig später noch immer Sonnenstrahlen das Himmelsgrau.

Der Abendhimmel in der Dämmerung - noch ist es die bürgerliche. Foto: Klempow
Die Frage an den Nautiker: Gibt es eine Definition von Sonnenuntergang? Ja, sagt Pollmann. Diese erste Phase nennt sich „Bürgerliche Dämmerung“. Dann steht die Sonne 6 Grad unter dem Horizont. Es ist noch so hell, dass das Licht zum Lesen reicht. Sechs Grad machen beim Blick auf den Horizont ungefähr drei Fingerbreit aus.
Drei Phasen der Dämmerung
Sinkt sie noch tiefer, bricht „die nautische Dämmerung an. Das ist der Zeitraum, in dem gleichzeitig der Horizont und die ersten Sterne zu sehen sind“, so Pollmann. Darauf folgt die dritte Phase, die astronomische Dämmerung. Die Sonne steht 12 bis 18 Grad und damit bis zu zwei Handbreit unter der Horizontlinie. „Dann wird es richtig dunkel.“ Was folgt? „Dann ist Nacht“, sagt Pollmann trocken.

Die Dämmerung färbt den Himmel und die Oste blau. Foto: Klempow
Noch eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang leuchtet der Himmel über Balje. Nur das LNG-Terminal Brunsbüttel strahlt heller. Langsam färbt das Dämmerlicht den Ostestrom blau und verwischt die Konturen. Auf dem Rückweg verschluckt der artenreichste Wald des Landkreises das Licht. Zwischen den Natureum-Bäumen ist die Nacht schon angekommen.

Die Vogel-Beobachtungsstation Balje steht auf dem nördlichsten Bereich des Natureum-Geländes. Eine Sendemast registriert die Mini-Transponder von Vögeln und gehört zur Vogelwarte Helgoland. Foto: Klempow

Eine Viertelstunde nach Sonnenuntergang beim Blick durch die Scheiben des Pavillons. Foto: Klempow
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