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Fundstück

T„Spezialoperation“: Archäologen machen tonnenschwere Entdeckung in Wingst

Ein Minibagger war nötig, um den Taufstein in Wingst zu bergen.

Ein Minibagger war nötig, um den Taufstein in Wingst zu bergen. Foto: Dr. Siegler

Ein archäologischer Fund im Wingster Ortsteil Oppeln könnte die Geschichte des Ortes neu schreiben. Er wirft Fragen zur Vergangenheit der Region auf.

Von Dr. Werner Siegler Samstag, 07.06.2025, 14:27 Uhr

Wingst. Für Siegmund Bincke von der Garten- und Landschaftsbaufirma Bebba aus der Wingst war es eine ungewöhnliche archäologische „Spezialoperation“. In der letzten Maiwoche hatte er nach einer Stunde Arbeit mit Bagger, Schaufel, Spaten und Presslufthammer den alten Taufstein der Kirche zu Oppeln wieder freigelegt - nach 300 Jahren.

Dieser Taufstein wurde 1721 beim Neubau des freistehenden Oppelner Glockenturms als südöstlicher Eckstein des Fundaments verwendet und ward 1928 zuletzt gesehen. Ingelore Borchers zitiert in ihrem 2000 erschienenen Oppelner Chronikbuch den damaligen Provinzialkonservator Siebern, der den Stein in Augenschein nahm und begutachtete.

Ein Mann koordiniert die Richtung des Taufsteins, während dieser von einem Minibagger gehalten wird.

Der aus einem Granitfindling gearbeitete Taufstein ist mächtig schwer. Foto: Dr. Siegler

Er datierte ihn aufgrund seiner schlichten, eigenartigen Kufenform in die frühromanische Zeit Anfang des 12. Jahrhunderts. Und er plädierte dafür, den aus einem Granitfindling gearbeiteten Taufstein wieder aus dem Turmfundament zu lösen und wieder in der Kirche aufzustellen.

Wegen seines Alters, wegen seiner ungewöhnlichen Form, wegen seines sehr seltenen Vorkommens. Mit anderen Worten: wegen seines besonderen Denkmalwertes.

Einige verschwiegen den Stein als Geheimnis

Nur hatte die kleine Gemeinde Oppeln - wie überall in Deutschland - ganz andere Sorgen, so kurz nach der Hyperinflation 1923, mit völligem Zusammenbruch der Währung und den nachfolgenden unheilvollen wirtschaftlichen und politischen Krisen. Und so blieb der Stein da, wo er war und geriet in Vergessenheit.

Nicht ganz. Einige wussten darum und verschwiegen ihn als Geheimnis. Sie befürchteten sonst heraufziehendes Ungemach, sprich Arbeit und Kosten. Also wurde gesagt: Ach, der Stein, der liegt ganz tief da unten. Da kommt man nicht heran.

Ein gewöhnlicher Findling? Mitnichten!

In Wirklichkeit aber schaute er all die vielen Jahre ein Stückchen aus der Erde. Aber jeder, der ihn sah, hielt ihn für einen der gewöhnlichen Feldsteine oder Findlinge, auf denen der Glockenturm steht. Die Neugierde des Autors dieses Textes nach dem mysteriösen Sakralstein jedoch blieb ungebrochen.

Jetzt ermöglichte die Neuverlegung der Drainage um das Kirchengebäude das gezielte und nicht allzu aufwendige Graben nach dem Taufstein - in Absprache mit dem Amt für Bau- und Kunstpflege in Bremerhaven.

Streit über die Taufe

Erst 1616 wurde in Oppeln ein Taufkessel aus Bronze angeschafft und der Taufstein wurde ausrangiert. Endlich, werden viele gedacht haben. 500 Jahre lang wurden die Täuflinge über ihn gehalten - vor dem 30-jährigen Krieg.

Was wurde in dieser Zeit unserer langen Religionsgeschichte über die Taufe und ihren Ritus gestritten. Nicht nur mit Worten - bis aufs Blut. Welche Form war die gültige: Kindertaufe, Wiedertaufe, Erwachsenentaufe, Zwangstaufe?

Sogar Taufen an Kinderleichen wurden heimlich vollzogen, um sie doch noch am ewigen Heil teilhaftig werden zu lassen. Die Taufe war ja - für uns heute nicht mehr so leicht zu verstehen - das wichtigste Ereignis. Ohne Taufe kam man nicht in den Himmel.

Viele offene Fragen

Nach weiterem Freilegen zeigte sich: Der tonnenschwere Stein hat keine tragende Funktion mehr. Somit konnte er am Mittwochmorgen, 4. Juni, unter Zuhilfenahme zweier Bagger ohne Gefahr einer Kirchturmschieflage problemlos geborgen werden. Jetzt sind die archäologischen und kulturgeschichtlichen Experten am Zug.

War der Stein eingegraben oder eingemauert? Denn er läuft am Ende konisch zu, hat also keinen Fuß. Wo kam er her? Und natürlich - wie alt ist der Taufstein? Bestätigen die Gutachter das vermutete Alter, könnte das bedeuten: In Oppeln gab es schon eine Kirche (weit) vor ihrer ersten schriftlichen Erwähnung im Jahr 1384.

Taufkessel aus Bronze in der Umgebung

Aber vielleicht hatte Oppeln den Taufstein erst 1384 angeschafft. Folglich gab es auch keine Kirche davor. Richtig. Diesen Gedanken spielte schon vor 100 Jahren der Provinzialkonservator Siebern durch. Sein Argument dagegen: Zu dieser Zeit waren die Erztaufen allgemein üblich.

Also schauen wir uns einfach etwas in der näheren Umgebung um: Neuenkirchen, Altenbruch, Lüdingworth, Otterndorf, Oberndorf. Sie alle haben noch fantastische Taufkessel aus Bronze. Und alle stammen aus dem frühen 14. Jahrhundert oder noch davor; der in Oberndorf Ende 13. Jahrhundert und Osterbruch sogar um 1200.

Diese Kessel werden häufig durch schlanke Figuren getragen oder stehen auf grazilen Beinen mit Tatzen und gehören kunstgeschichtlich ins Zeitalter der Gotik. Sie waren wesentlich leichter, somit besser zu transportieren und manche boten die Möglichkeit der Ganzkörpertaufe mit Zusatzkomfort. Man konnte das Taufwasser durch ein Feuerchen unter dem Kessel erwärmen. Das war ganz wichtig im Winter.

Die entscheidende Frage

Natürlich gab es auch sehr schlichte, preisgünstige Modelle, nicht nur die kunstvollen und kostbaren, die erhalten geblieben sind. Die schmucklosen wurden dann später wieder eingeschmolzen wie in Oppeln. Fast alle hatten drum herum also ihre mehr oder weniger eleganten, gotischen Bronzetaufkessel im frühen 14. Jahrhundert stehen.

Und nun die entscheidende Frage: Weshalb sollten die Oppelner 1384, also im späten 14. Jahrhundert, sich ein solches archaisches Steinmonstrum aus Granit in ihr Kirchenschiff stellen, das nicht einmal einen Fuß hat?

Und wo es eine Kirche gab, muss es auch einen Ort gegeben haben, in dem die Menschen lebten. Dann könnte es sein, dass das kleine Oppeln nächstes Jahr nicht sein 725-jähriges Jubiläum begeht, sondern womöglich sein 900-jähriges.

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