TSport für nur 9,50 Euro: Können sich Vereine das noch leisten?

Die Sportvereine im Kreis Stade haben das Corona-Tief überwunden und freuen sich wieder über mehr Mitglieder. Doch wird es immer schwieriger, Menschen für ein Traineramt zu begeistern. Foto: Robert Michael/dpa (Symbolbild)
Nach den schwierigen Corona-Jahren haben die Sportvereine in Deutschland zwar immer mehr Mitglieder, aber immer weniger Ehrenamtliche und Trainer. Einige Vereine im Kreis handeln bereits. Wie müssen sie sich aufstellen und was müssen sie bieten?
Landkreis. Verwaiste Sportplätze, geschlossene Hallen: Corona zwang die Vereine in einen Winterschlaf. Aufgrund des eingeschränkten Angebots verließen im Kreis Stade in der Spitze 1530 Mitglieder (-2,3 Prozent) ihre Vereine. Seit die Kontaktbeschränkungen aufgehoben sind, haben sich - bundesweit - die Mitgliederzahlen erholt.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zählt in seiner aktuellen Bestandserhebung zum 1. Januar 2023 fast 28 Millionen Mitgliedschaften und damit so viele wie zuletzt vor zehn Jahren. Ein Zuwachs von 3,01 Prozent.
„Dieses beeindruckende Comeback zeigt, dass die Sportvereine und -verbände richtig gute Arbeit leisten“, so DOSB-Präsident Thomas Weikert. In Zukunft warten dennoch neue Herausforderungen.
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Hier klafft eine große Lücke
„Ich will nicht von einer Krise des Ehrenamts sprechen, aber der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig“, sagt Justin Moradi, Geschäftsführer des VfL Stade, mit 5009 Mitgliedern der größte Sportverein im Kreis. Es werde immer schwieriger, Leute zu finden, die auf Funktionsebene Verantwortung übernehmen wollen. Insbesondere fehlt es an Übungsleitern.
Ein Beispiel: Der VfL bringt pro Halbjahr 200 Kindern schwimmen bei. „Die Nachfrage ist gefühlt fast doppelt so hoch, aber es ist schwer, Schwimmlehrer zu finden“, sagt Moradi. Der Kreissportbund Stade (KSB) kennt die Problematik.
Um das Phänomen greifen zu können, machte der KSB eine Umfrage. „Knapp 2000 Übungsstunden sind in den nächsten zwei Jahren vakant“, so KSB-Geschäftsführer Philipp Tramm. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein, da nur 34 Prozent der Vereine eine Rückmeldung gaben.
Ein Amt im Vorstand, als Übungsleiter oder Betreuer zu übernehmen, ist eine Hürde geworden. „Es hängt immer mehr an wenigen, die viel machen“, sagt Thorben Raap, Vorsitzender des TV Wischhafen (911 Mitglieder).

Philipp Tramm vom KSB Stade: „Knapp 2000 Übungsstunden sind in den nächsten zwei Jahren vakant.“ Foto: Archiv
Die Suche nach dem Patentrezept
„Häufig sind es Bedenken, Verantwortung zu übernehmen. Die kann man in persönlichen Gesprächen nehmen“, so Stade-Chef Moradi. Größere Vereine wie der VfL dürften es wegen ihrer Anziehungskraft grundsätzlich einfacher haben.
Auch beim MTV Himmelpforten (1711 Mitglieder) sei Überredungsarbeit gefragt, so Sven Hartlef, 2. Vorsitzender: „Wir verteilen den Aufwand auf mehrere Schultern.“
Zielgruppe sind häufig Eltern, die früher selbst aktiv waren und aufgrund ihrer Sportaffinität Lust haben könnten, sich als Trainer zu engagieren - und sich die größte Freude abzuholen. „Es gibt kein größeres Dankeschön als das Lächeln der Kinder“, wirbt Volker Mügge, Vorsitzender des SV Düdenbüttel (530 Mitglieder).
Dort, wo Notstand herrscht, könnten Vereine Kräfte bündeln und kooperieren. Sie könnten sich qualifizierte Trainer teilen und vereinsübergreifend Symbiosen bilden. Auch Fusionierungen scheinen realistisch.

Justin Moradi vom VfL Stade: „Häufig sind es Bedenken, Verantwortung zu übernehmen.“ Foto: Archiv
Digitalisierung nutzen
Während der Corona-Einschränkungen improvisierten die Vereine und boten Sportkurse online an. Der SC Balje (361 Mitglieder) ist dabei geblieben. „Die Übungsleiterin wohnt nicht in Balje und kann das Training so von zu Hause leiten“, sagt die Vorsitzende Annette Lemke. Die Teilnehmer seien mit dem Angebot zufrieden. Wer mehr Gesellschaft bevorzugt, könne Präsenzkurse wählen.
Das Sportangebot in Balje ist mit denen von Fitnessstudios zu vergleichen. In Konkurrenz steht man aber nicht. Lemke: „Es gibt keine Studios in direkter Umgebung.“
In Balje versucht man, Übungsleiter dort abzuholen, wo sie sich häufig und gerne aufhalten: im Internet und auf Portalen wie „Kleinanzeigen“. Den digitalen Weg findet auch KSB-Chef Tramm gut, da er dem Trainerwesen ein Gesicht geben würde: „Vereine könnten etwa Social-Media-Videos mit Trainern drehen, die Einblicke in den ehrenamtlichen Alltag sowie ihre Motivation geben.“
„Und manchmal muss man etwas Glück haben, dass jemand in den Ort zieht“, sagt Lemke. So wie in Himmelpforten. Nora Hentesne ist zugezogen und unterstützt den Verein bei den Gesundheitskursen.
Mut zu Beitragserhöhungen?
Viele Vereine setzen für Mitglieder die Beiträge so an, um die steigenden Kosten zu decken - ob für Material, Personal oder Energie. Dies bietet jedoch keinen Raum, um sich zu entwickeln. „Man sollte lieber gestalten, statt verwalten“, sagt Nina Djafari aus dem Vorstand des Buxtehuder SV (4030 Mitglieder).
Der BSV hat unter anderem mit seiner neuen Sportanlage „Kraftwerk“ großen Erfolg. Die Boxabteilung hat sich verdoppelt. Der Trend geht ohnehin zum ganzheitlichen Bewegungstraining, Rehasport und frühkindlichen Angeboten.
Das hat auch der TuS Harsefeld erkannt, der einen weiteren Kursraum errichtet. „Neben dem Kinderturnen haben wir hier den größten Zuwachs“, so Benjamin Wutzke, Geschäftsführer des TuS Harsefeld (3059 Mitglieder).
Großes Potenzial in Fitness sieht auch VfL-Mann Moradi: „Wir bieten damit ein eigenes Segment an, das sich mit dem klassischen Gym ergänzt.“

Nina Djafari vom BSV: „Man sollte lieber gestalten, statt verwalten.“ Foto: Scholz
Sport muss etwas kosten
Ein weiterer Ansatz wären deutliche Beitragserhöhungen. „Was in den Vereinen für unsere Gesellschaft, für Sport und Bewegung geleistet wird, ist einfach großartig. Das darf sich auch in einem angemessenen Mitgliedsbeitrag widerspiegeln. Man muss sich zum Vergleich mal anschauen, was Netflix oder ein Besuch im Kino kosten, für das die Leute bereit sind zu zahlen“, sagt Tramm.
„Die Menschen können nicht mehr erwarten, dass Sport nichts kosten darf“, stimmt BSV-Vorstandssprecherin Djafari zu. Dies sei von früher noch in den Köpfen drin. „Man darf dann aber nicht denken, dass da Top-Trainer stehen und die Sportanlage modern und sauber ist. Das geht nicht für 9,50 Euro im Monat.“ Der BSV beschäftigt über 20 Festangestellte sowie 270 Übungsleiter und Helfer - ist also nicht nur Verein, sondern auch Arbeitgeber.
Hohe Akzeptanz für hohe Preise
Der Buxtehuder SV hat die Beiträge im letzten Sommer deutlich erhöhen müssen. „Wir sind damit bei unseren Mitgliedern auf eine Akzeptanz gestoßen, weil sie wissen, was wir ihnen bieten, und wir unser Personal fair bezahlen wollen“, sagt Djafari.
Dennoch müssen sich Vereine Gedanken machen, wie sie sich langfristig finanzieren wollen. „Nur von Mitgliedsbeiträgen wird es schwierig und wir können die Beiträge nicht ins Unermessliche anheben“, so Djafari.
Vereine wechseln ins Hauptamt
Eine große Änderung folgt ab dem 1. August 2026. Dann haben alle Erstklässler in Niedersachsen Anspruch auf täglich acht Stunden Unterricht und Betreuung. „Wir müssen uns fragen, wie man als Verein Akteur in der Ganztagsbetreuung werden kann. Und spätestens dann benötigt man auch Hauptberufliche“, sagt Tramm. Er ist sich sicher, dass das Ehrenamt zunehmend mehr Unterstützung benötigen wird.
„Es gibt einige Bereiche, in denen wir vom Ehrenamt ins Hauptamt gewechselt sind“, sagt Wutzke. Der Bedarf in Harsefeld sei insbesondere beim Kindersport groß, um den der TuS sehr bemüht sei. „Wir wollen den Kids eine vernünftige Heimat bieten, in der sie auch lernen, solidarisch zu leben.“ Aber: Ohne festangestellte Kräfte stünden rund 400 Kinder ohne Betreuung da.

Benjamin Wutzke vom TuS Harsefeld: „Es gibt einige Bereiche, in denen wir vom Ehrenamt ins Hauptamt gewechselt sind.“ Foto: Archiv
Sind Vereine nur noch Dienstleister?
Fitnessstudios werden von Kunden als reiner Dienstleister wahrgenommen. Die Beobachtung gibt es immer häufiger auch bei Sportvereinen. Mitglieder schauen genauer, was sie bekommen. „Sie machen mit und melden sich direkt ab, sobald sie keine Zeit mehr haben“, sagt Lemke aus Balje.
Für die meisten bietet ein Verein aber eine Heimat: „Man ist ein Rückzugsort. Es entstehen Freundschaften. Das ist etwas, was wir herausstellen müssen“, sagt Moradi.