TStader ist Chef im VW-Bezirk: So tickt der IHK-Präsident

Andreas Kirschenmann vertritt die Interessen von 70.000 Unternehmen. Foto: Jürgen Müller Concepts & Photography
Er kommt aus Stade, wohnt in Deinste, hat sein Unternehmen in Hollenstedt und ist wieder zum Präsidenten der IHK Lüneburg-Wolfsburg gewählt worden. Wer ist dieser Andreas Kirschenmann, der - für viele unterm Radar - eine hochpolitische Arbeit betreibt?
Stade. Die Trompete darf nicht fehlen. In seinem Büro im Hollenstedter Gewerbegebiet liegt das gute Stück auf dem Boden in einem historisch anmutenden Instrumentenkoffer. „Da spiele ich drauf, wenn ich Bock habe.“ Also nicht zum Stressabbau, was anzunehmen wäre. Und Andreas Kirschenmann spielt gut.
Mit dem Wohnmobil mal spontan an die Ostsee
Er ist Jazzer, Teamplayer und musiziert schon seit Jahren, auch mit einer kleinen Combo aus Stade. Die Gäste der Hanseatischen Tafel der befreundeten IHK in Stade konnten sich davon im Dezember überzeugen. Kirschenmann hatte seine Trompete dabei, stimmte mit dem ihm bekannten Musiker-Duo Frederik Feindt und Günter Köttgen überraschend einen flotten Dreier an. Spontan ist er also.
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Auf der anderen Seite seines Büros steht ein Buch mit dem Titel „Leaving the comfortzone“, also den Wohlfühlbereich verlassen. Bei Andreas Kirschenmann, Besitzer der Firma Gastroback, die Gastronomieprodukte vertreibt, heißt das eher, neugierig auf Neues zu sein. So spontan, wie er zur Trompete greift, so spontan setzt er sich auch in sein großzügiges Wohnmobil und macht eine Tour an die Ostsee. Auch von dort lässt sich per Laptop an Konferenzen teilnehmen. Das klingt unkonventionell.
Wer ihn an seinem Schreibtisch sieht, mit der großen Halle seiner Firma im Hintergrund, die er ebenso wie den Schriftzug durch die großen Panoramafenster gut im Blick hat, mag das zunächst nicht vermuten. Kirschenmann ist höflich, unaufgeregt, wortgewandt. Und er ist ein extrem politischer Mensch.
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„Geht es der Wirtschaft gut, geht es dem Land gut“
Seine Stimme ist klar und deutlich, seine Worte klingen abgewogen. Er setzt sich ein für liberale Wirtschaftsregeln, für die europäische Idee und die Demokratie. Wichtig ist ihm: „Ich bin in keiner Partei.“ Sein Leitmotiv lässt ahnen, wessen Geistes Kind er ist: „Nur wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es dem Land gut.“ Kirschenmann ist kein Neoliberaler, sondern überzeugt von der sozialen Marktwirtschaft. Das Personal müsse gehegt und gepflegt, müsse mitgenommen werden.
Die Mitglieder der Vollversammlung der IHK Lüneburg-Wolfsburg stehen hinter ihm, haben den 56-Jährigen gerade zu weiteren fünf Jahren im Amt des Präsidenten bestätigt, ein Ehrenamt. Hollenstedt liegt kurz hinter der Kreisgrenze im Landkreis Harburg und damit nicht mehr im Bezirk der IHK Elbe-Weser mit Sitz in Stade.
Kirschenmann sieht sich vor allem in der Lobby-Arbeit für die Unternehmer, als Sprachrohr gen Politik. Damit das besser durchdringt, hatte Kirschenmann eine Idee. Jede IHK ist mal an der Reihe, den Niedersachen-Präsidenten zu stellen. Er war es gerade. Das helfe, mit einer Stimme gegenüber der rot-grünen Landesregierung zu sprechen.
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Idee aus dem Urlaub landet beim Bundeskanzler
Kirschenmann hatte noch eine andere Idee. Die kam ihm im Urlaub. Das Gebaren der Ampel-Koalition in Berlin ließ ihm keine Ruhe. Da müsse sich die IHK klar positionieren. Kirschenmann und Co. entwickelten einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog, der in einer bundesweiten Resolution aller IHKs mündete und von vier weiteren Spitzenverbänden der Wirtschaft mitgetragen worden ist. Adressat: Bundeskanzler Olaf Scholz.
Die Klagen aus der Wirtschaft sind bekannt: zu hohe Energiepreise, Fachkräftemangel, Konsumschwäche, steigende Zinsen, Inflation und ausufernde Bürokratie. Das alles lähme die Wirtschaft, führe zu schlechter Stimmung in den Unternehmen. Kirschenmann ist sich sicher: Deutschland kann es besser. Das Land müsse schneller werden, überflüssige Regeln über Bord werfen. „Seit 1949 erlassen wir neue Gesetze, können wir auch mal ein paar weglassen?“, fragt er rhetorisch. Da stecke Entfesselungspotenzial drin. „Wir sind zu kompliziert, alles ist überreguliert“, sagt er. Beschleunigung ist sein Lieblingsthema.
Aber wo bleibt das Positive? „Eine gute Frage“, sagt Kirschenmann. Die Antwort folgt prompt. „Deutschland ist immer noch eines der besten Länder der Welt“, genieße weltweit einen Top-Ruf, habe bei der KI und E-Autos vieles zu bieten. Kirschenmann wünscht sich ein neues „Wir-schaffen-das“. Seine Überzeugung: „Deutschland kann Krise.“
Seit 1949 erlassen wir neue Gesetze, können wir auch mal ein paar weglassen?
Andreas Kirschenmann
Demos für die Demokratie findet er „großartig“
Demokratie, Freiheit und Wohlstand nennt Kirschenmann als weitere Stichworte. Die EU bezeichnet er als „Flagge der Freiheit“. Mit großem Wohlwollen hat er die Demos gegen Rechtsextremismus und für Demokratie zur Kenntnis genommen: „Das finde ich großartig.“
Kirschenmann kennt sich aus in der Welt, tourt seit 25 Jahren nach China, wo er seine Produkte für die Küche produzieren lässt - teilweise aus eigener Entwicklung. In Hollenstedt sitzen Logistik, Entwicklung und Marketing. 70 Menschen arbeiten hier, auch in der großen Logistikhalle mit 6000 Paletten-Plätzen. 300 Container werden hier im Jahr umgeschlagen, 150.000 Produkte von der Espresso-Maschine bis zum Backautomaten versendet.
Das alles ist nichts ohne Frieden, hat Kirschenmann erkannt. Die Sicherheitspolitik hat er neu für sich entdeckt. Schließlich liegt die Waffenschmiede von Rheinmetall in Unterlüß in seinem IHK-Revier. Der Bund investiert hier massiv. Kirschenmann bleibt sich treu: „Das Geld dafür verdienen wir Unternehmen.“
Ein echter Stader Jung
Andreas Kirschenmann (56) bezeichnet sich als „Stader Jung“. Am Hohenwedel und in Thun ist er aufgewachsen, hat in Stade sein Abitur gemacht. „Ich bin in Stade verwurzelt“, sagt er. Die Bundeswehr-Zeit verbrachte er in der ehemaligen Kaserne, in Hamburg studierte er, bevor er als Diplom-Kaufmann Assistent der Geschäftsleitung von Gastroback in Hollenstedt wurde. Heute ist er 100-prozentiger Gesellschafter der GmbH. Als IHK-Präsident vertritt er 70.000 Unternehmen im Kammerbezirk Lüneburg-Wolfsburg.