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Neuerscheinung

TStades bekanntester Dichter und seine besondere Verbindung zu Krautsand und Adana

Nevfel Cumart in Stade.

Nevfel Cumart in Stade. Foto: Richter

Als Nevfel Cumart noch Schüler am Vincent-Lübeck-Gymnasium war, verfasste er seine ersten Gedichte. Heute schreiben Schüler über seine Gedichte ihr Abitur. Ein Gespräch mit Stades bekanntestem Dichter über sein erstaunliches Leben und seine Lyrik.

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Von Anping Richter
Sonntag, 17.12.2023, 09:30 Uhr

Stade. Dichter - das trägt er im Hotel ins Formular ein, wenn nach seinem Beruf gefragt wird, sagt Nevfel Cumart. Doch von Lyrik allein lässt sich in Deutschland kaum leben. Nicht einmal als vielfach preisgekrönter Literat: Kulturpreis Bayern, Pax-Bank-Preis, Poetik-Professur der Universität Innsbruck – das sind nur einige der Auszeichnungen, die er bekommen hat. Seine Gedichte wurden ins Englische, Polnische, Russische und Griechische übersetzt. Es gibt mehrere Doktorarbeiten über sein Werk. Doch seinen Lebensunterhalt verdient er hauptsächlich als Schriftsteller, Referent, Übersetzer und Journalist.

2014 überreichte Bundespräsident Joachim Gauck ihm das Bundesverdienstkreuz wegen seiner Verdienste um die Verständigung zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen – eine Lebensaufgabe, die ihn seit seiner Kindheit begleitet.

Nevfel Cumart ist 1964 im rheinland-pfälzischen Lingenfeld als Sohn türkischer Einwanderer geboren, war aber noch ein Baby, als seine Familie auf die Halbinsel in Kehdingen zog, deren Namen eines seiner Gedichte trägt: Krautsand.

damals schwamm ich in der elbe

spielte am sandigen ufer mit stock und stein

barfuß ohne stunde ohne minute

Mit dieser Strophe beginnt die Beschreibung eines Kindheitsparadieses: Reiten auf Ponys ohne Sattel, Apfelbäume, der erste Kuss im Gebüsch. Krautsand, sagt Cumart, bedeutet für ihn aber auch ein Trauma: Bei der Sturmflut 1973 kamen er und seine Familie nur knapp mit dem Leben davon. Sie retteten sich auf eine Wurt. Ihr Haus rissen die Fluten weg.

Sturmflut auf Krautsand, Tsunami in Sri Lanka: Cumart überlebt

Nevfel Cumart ist das sogar zwei Mal widerfahren: Im Dezember 2004 war er mit Frau und Tochter auf Sri Lanka, als der Tsunami 39.000 Menschen aus dem Leben riss. Tagelang galt die Familie in Bamberg, wo er heute mit seiner Tochter lebt, als vermisst. Es war knapp, das Wasser stand ihnen bis zum Hals. Auch dieses Erlebnis findet sich in seiner Lyrik wieder – als Verarbeitung, aber auch als Lücke in seinem Schaffen. Cumart hat danach lange keine Gedichte mehr schreiben können.

Cumart-Kenner und solche, die neugierig auf ihn sind, können den Spuren seines Lebens jetzt mit einem neuen Gedichtband folgen: „Im Hinterland des Halbmondes – Gedichte eines Zweiheimischen“ ist soeben im MCE-Verlag erschienen. Es ist der zwanzigste Gedichtband, den Nevfel Cumart veröffentlicht und ein ganz besonderer.

„Es ist bewusst kein „Best of“, sondern ein Querschnitt“, sagt der Autor. Bisher erschienen seine Gedichte beim Düsseldorfer Grupello-Verlag, mit dessen Verleger ihn eine langjährige Freundschaft verband, bis der 2019 verstarb. Auch sein neuer Verleger, Peter von Allwörden, ist ein alter Freund und der jetzt erscheinende Band ein Projekt, an dem sie gemeinsam gefeilt haben.

Sein berühmtestes Gedicht entstand noch in der Schulzeit

„Manche Gedichte würde ich heute nicht mehr so schreiben“, sagt Nevfel Cumart. Aber sie gehören zu dem Einblick in sein 40-jähriges lyrisches Schaffen, den der neue Band bieten soll. Auch „zwei welten“, sein bis heute bekanntestes Gedicht, ist dabei. Es entstand noch in der Schulzeit und erzählt von der Einsamkeit, eine Brücke sein zu wollen und weder zur einen noch zur anderen Seite zu gehören.

Nach der Sturmflut war die Familie in einen Bützflether Arbeiterwohnblock gezogen. Noch heute wohnt Cumart, wann immer er Stade besucht, in Bützfleth. Nicht bei seinem Bruder, der dort lebt, sondern bei seinen deutschen Eltern, wie er Helga und Hans Schmidt bis heute nennt.

Seine „deutschen Eltern“ besucht der Dichter bis heute in Bützfleth

„Ich habe ihnen viel zu verdanken - sogar meinen ersten Gedichtband, zu dem sie mich ermutigt haben“, sagt Cumart. Seine Eltern konnten kaum Schulbildung genießen, er wuchs in einem Haushalt ohne Bücher auf. Seine Mutter war Analphabetin, doch sie konnte schön erzählen – auf Arabisch. Die Eltern stammten aus Syrien, waren aber türkische Staatsbürger.

Kritiker haben mitunter die orientalische Würze in der Sprache des deutschen Dichters gelobt. „Ich habe keinen Gewürzstreuer“, sagt er. Dass ihm Bilder einfallen, die anders sind, liege an seiner Sozialisation. Daran, dass er ein Zweiheimischer ist: Stade, der Ort seiner Jugend, ist für ihn bis heute Heimat. Die zweite erschufen die Sommer in der Türkei, wo Märchen erzählt wurden, wenn sie nachts auf den Dächern schliefen.

Nevfel Cumarts Gedichtband „ Im Hinterland des Halbmondes. Gedichte eines Zweiheimischen“, erschienen im MCE-Verlag, hat 236 Seiten, kostet 25 Euro und ist ab sofort im Buchhandel erhältlich. ISBN: 978-3-938097-60-1

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