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TTägliches Auf und Ab der Spritpreise: Darum zahlen Autofahrer drauf

Mineralölgesellschaften ändern ihre Preise an den Zapfsäulen täglich mehrfach.

Mineralölgesellschaften ändern ihre Preise an den Zapfsäulen täglich mehrfach. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Durch Preisvergleiche wird das Tanken zum Wettbewerb, bei dem der Autofahrer nur verlieren kann. Mineralölkonzerne haben dadurch den Markt fest im Griff. Was Autofahrer wissen sollten.

Von Christian Lindner Montag, 12.08.2024, 16:40 Uhr

Landkreis. Im Dezember 2013 bekamen die deutschen Mineralölgesellschaften ein Weihnachtsgeschenk, an dem sie bis heute viel Freude haben: die totale Transparenz aller Spritpreise in ganz Deutschland. Sie ermöglicht den Autofahrern den Durchblick bei den Preisen für Diesel und Benzin. Noch mehr aber profitieren Aral, Shell & Co. davon: Sie können den Markt seither bequem beobachten – und sie haben Wege gefunden, die Autofahrer dank dieser Transparenz deutlich raffinierter als vorher zu melken.

Die vom Bundestag beschlossene „Verordnung zur Markttransparenzstelle für Kraftstoffe“ regelt, dass alle Tankstellen seit 2013 jede Preisänderung binnen fünf Minuten an das Kartellamt melden müssen. Dessen Markttransparenzstelle leitet sie an Verbraucherinformationsdienste weiter, und diese informieren die Autofahrer per Webseiten oder Apps über die aktuellen Preise an den Tankstellen.

Transparenz für wirklich alle Beteiligten

So dauert es nur Minuten, bis die Information über neue Preise von der Tankstelle bis zur App des Tankstellenkunden gelangt ist. Genauso schnell aber sind auch alle Mineralölgesellschaften, Tankstellenketten und auch die kleinsten Freien Tankstellen über alle Preisänderungen informiert.

Schon 2013 wurde die Sorge laut, dass das faktisch mehr den Spritverkäufern als den Spritkunden hilft. Holger Haedrich untersuchte damals die Folgen der neuen Markttransparenzstelle für die Universität St. Gallen. Sein Fazit lautete: „Unsere Befürchtung ist, dass die Transparenz nicht zu einem harten Preiswettbewerb führt, sondern dazu, dass sich ein sehr auskömmliches Preisniveau einpegelt. Dass es die Stelle den Tankstellen leichter macht, gute Margen durchzusetzen.“

Die Konkurrenz mit einem Fernglas ausspähen

Und genau so kam es. Früher war es für die Tankstellen und Konzerne selbst in einer überschaubaren Region aufwendig, zu ermitteln, wie teuer ihre Konkurrenz den Sprit anbietet. Und alles dauerte: Tankstellenbetreiber griffen zum Fernglas oder schickten Angestellte auf Kontrollfahrten, handschriftlich notierte Preise kamen zeitversetzt rein, wurden durchtelefoniert und in der Zentrale verglichen, irgendwann gab es dann eine Reaktion oder halt keine.

Heute speisen die Daten des Kartellamts nicht nur die Apps der Autofahrer, sondern auch die Computer der Mineralölgesellschaften. Und damit sehen alle Marktteilnehmer fast in Echtzeit, was sich auf ihrem Markt tut. Automatisierte Meldungen haben die Preiskundschafter ersetzt, und das Bauchgefühl eines Marktbeobachters ist längst von den Algorithmen ausgefeilter Software abgelöst worden.

Programme beobachten und zeichnen Preise aus

Insider berichten, dass alle Mineralölgesellschaften weitgehend automatisierte und rund um die Uhr laufende Programme zum Beobachten und Ändern der Preise an den Tankstellen nutzen. Und die damit gefütterten Computer sprechen sich faktisch ab.

Die Preis-Strategen einer kleineren Kette können ihrer Pricing Software etwa so einstellen, dass sie den Preis immer ein oder zwei Cent unter dem der größten Tankstelle am Ort des Marktführers Aral hält – inklusive der Zeitspanne, in der man auf den großen Mitbewerber reagieren möchte. Aral, Shell oder BP wiederum können ihre Computer so programmieren, dass sie den Preis mit leichtem Zeitversatz erhöhen, wenn ein Preisbrecher am Ort (etwa eine Supermarkttankstelle) wieder teurer geworden ist.

Unternehmen verstehen sich auch ohne Worte

Die Mineralölfirmen reden darüber naturgemäß kaum. Eine der raren Ausnahmen bildet ED, eine regionale Kette im Rheinland mit 108 Tankstellen. In einem für die verschwiegene Branche ungewöhnlich freimütigen Dokument auf seiner Webseite offenbart dieser Anbieter: „Maschinen beobachten, was die anderen Marktteilnehmer mit ihren Preisen machen. Nach festgelegten Regeln reagiert die Maschine des Beobachters auf die Maschine des Beobachteten. Letztendlich ist es eine Endlosschleife, die sich immer mehr beschleunigt.“

Hinzu kommt: Die Autofahrer sind auf den Sprit angewiesen. Alle Anbieter eint zudem das Interesse, ihr sich nicht wirklich unterscheidendes Produkt möglichst teuer zu verkaufen. Und in ihrer Marge zwischen dem Einkauf des Destillates und dem Verkauf an den Tankstellen liegt der Gewinn im Sprit-Geschäft. In Kombination mit der totalen Transparenz führt das dazu, dass kein Anbieter wirklich ausschert und die Preise eher hoch bleiben – es sei denn, der Ölpreis und der Preis für das Destillat sinken deutlich.

Kartell ähnliche Strukturen machen sich breit

Entsprechend kritisch beurteilt Herbert W. Rabl, Sprecher des Tankstellen-Interessenverbandes (TIV), die Wirkung der Markttransparenzstelle. Seine Organisation vertritt die Interessen der Tankstellenpächter. Ihr gehören rund tausend Tankstellenbetreiber an – meist Pächter von Tankstellen der großen Gesellschaften wie Aral, BP, Shell und Esso. Rabl sagt: „Das war gut gemeint, aber es kam Mist dabei raus.“

Insider Herbert W. Rabl, Sprecher des Tankstellen-Interessenverbandes, sieht die Preistransparenz kritisch.

Insider Herbert W. Rabl, Sprecher des Tankstellen-Interessenverbandes, sieht die Preistransparenz kritisch. Foto: Tankstellen-Interessenverband

Nach Rabls Einschätzung sorgt die totale Preis-Transparenz für einen permanenten Sog zur Erhöhung der Preise im Gleichschritt. Der Einsatz der faktisch gekoppelten Preisprogramme hat nach seinen Worten „ein stillschweigendes Kartell“ geschaffen, „das ohne Absprache funktioniert“. Der Insider: „Die Mineralölgesellschaften sprechen sich gar nicht mehr ab, sie folgen einfach dem Trend.“

  • Die Großen bleiben eng beieinander: Aral und Shell haben vorwiegend Preise, die sehr nah beieinander liegen – obwohl sie den Tag über vielfach die Preise wechseln. Einer folgt dem anderen – und umgekehrt. Die Sprünge sind deutlich, aber merkliche Unterschiede verschwinden immer binnen Minuten. Meist liegen Aral und Shell auf demselben Preis, oder sie sind mal ein oder zwei Cent teuer – mal die eine, mal die andere Tankstelle.
  • Der Abstand der Billigeren zu den Großen ist oft ähnlich: Regionale Ketten wie etwa Hoyer sind durchweg billiger als die Großen. Auch hier aber leisten die Computer folgsame Arbeit: Der Abstand von Hoyer zu den Marktführern beträgt fast immer zwischen 1 und 3 Cent – ungeachtet der vielen Preiswechsel den ganzen Tag über. Die meisten Preisänderungen werden mitvollzogen – oft mit einem nur geringen Zeitversatz.
  • Auch die Preisbrecher ziehen bei Preiserhöhungen schnell nach: Supermarkttankstellen sind oft die günstigsten Tankstellen. Wenn, dann lösen sie und andere Preisbrecher Preissenkungen aus. Die Großen folgen dann. Auch die „Sprit-Discounter“ aber erhöhen die Preise schon nach wenigen Minuten, wenn Aral & Co. wieder hoch gehen. Meist dauert es keine 15 bis 30 Minuten, bis der Spritpreis bei Kaufland sich denen bei den Marktführern wieder auf vier bis sechs Cent angenähert hat.

Die Großen treiben die Preise in die Höhe

Das entspricht dem Muster, das Marktkenner wie Rabl seit Jahren beobachten: Die Großen gehen bei den Erhöhungen voran, die Supermarkttankstellen und kleinen Ketten lösen die Senkungen aus. Alle aber eint das Interesse, möglichst schnell wieder hochzugehen – und das erfolgt stets wellenartig.

Von zentraler Bedeutung sind für die Mineralölgesellschaften dabei die häufigen Änderungen der Preise den ganzen Tag über. Ende der 90er-Jahre gab es etwa bei Aral zwischen 50 und 60 Preisänderungen – pro Jahr.

Auswertungen der Redaktion ergaben: Die Großen in der Region ändern ihre Preise bis zu zwei Dutzend Mal pro Tag. Dafür gibt es zwei Gründe:

Den Preis ausreizen: Mit ihren häufigen Preisanpassungen testen die Sprit-Anbieter gezielt aus, was der Markt hergibt. Sinkt der Umsatz bei einem mutig hohen Preis kritisch, wird halt rasch wieder gesenkt. Verkauft sich der Kraftstoff trotzdem, wird die nächste Erhöhung ausgetestet.

Die Autofahrer von den Apps abbringen: TIV-Sprecher Rabl kritisiert, dass es bei einem vollem Erdtank „überhaupt keinen vernünftigen Grund gibt, den Preis x-mal am Tag zu ändern und teils mit Unterschieden von bis zu zehn Cent anzubieten“. Der Insider weiß, mit welchem Hintergedanken die Tankstellen ihre Preise auch so oft ändern: Sie versuchen auf diese Weise gezielt, die Autofahrer zu frustrieren und von den Apps mit ihrer Preistransparenz zu entwöhnen. Wer mehrfach festgestellt hat, dass ein attraktiver Preis schon längst überholt ist, wenn er sich auf den Weg zur Tankstelle gemacht hat, wird die Apps seltener einsetzen. Rabl: „Die Ketten wollen mit dieser gezielten Verwirrung die Bindung an ihre Marke wieder stärken.“

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