TNestlé & Co.: Warum immer mehr Tierarztpraxen an Ketten verkaufen
Dr. Claudia Kellers (links) und Dr. Andrea tom Wörden sind zwei von vier Geschäftsführerinnen und -führer der Tierarztpraxis Schiffdorf. Sie haben sich 2022 gemeinsam für den Verkauf ihrer Praxis an die Kette „VetPartners“ entschieden. Foto: Gallas
Hinter der Fassade des Gewohnten verbirgt sich ein bedeutender Wechsel: Die Inhaber einer Tierarztpraxis im Nachbarkreis haben an eine Kette verkauft. Wieso entscheiden sich immer mehr Tierärzte für einen Verkauf? Zwei Tierärztinnen erzählen.
Augenscheinlich hat sich in der Tierarztpraxis Schiffdorf 2023 nichts verändert. Im Hintergrund ist aber eine Menge passiert: Die Inhaber sind jetzt angestellte Geschäftsführer. Sie haben ihre Praxis an die Kette „VetPartners“ verkauft.
Damit liegen sie im Trend. In Deutschland und der Welt kaufen Investoren immer mehr Tierarztpraxen und Tierkliniken auf. Hinter den bekanntesten Firmen wie AniCura und IVC Evidensia stecken die Lebensmittelriesen Mars und Nestlé. Sie wollen offiziell die tierärztliche Versorgung sichern. Sicherlich wittern sie auch ein gutes Geschäft.
Deutsche geben Rekordsumme für Haustiere aus
In beinahe jedem zweiten Haushalt wohnt laut Statista ein Haustier. Mehr als 34 Millionen Tiere, für die Besitzer zuletzt mehr als 6,3 Milliarden Euro für Heimtierbedarf ausgegeben haben. Tierarztkosten kommen dazu. Und warum ist der Praxisverkauf für Tierärzte interessant?
Dramatischer Fachkräftemangel, immer mehr Bürokratie, Nachwuchssorgen – der Strauß an Gründen ist bunt.
Keine Nachfolge in Sicht
In Schiffdorf haben sich seit 2021 gleich drei Firmen vorgestellt. Die ersten beiden schickten die Inhaber nach Gesprächen wieder weg. Die Konzepte passten nicht und Zukunftssorgen verspürte damals auch noch keiner. Die Treffen gaben aber auch den Anstoß, sich intensiv mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Es wuchs die Erkenntnis: Zwei der vier Inhaber werden absehbar in den Ruhestand gehen. „Und wir würden nicht zwei neue Inhaber finden“, sagt Dr. Andrea tom Wörden, eine von vier Geschäftsführern. Und das hat viele Gründe.
Im Umkreis werden die meisten Rinder- und Pferdepraxen in den nächsten zehn Jahren schließen, auch bei den Kleintierpraxen sieht es nicht viel besser aus. „Der Fachkräftemangel ist ein Drama und keiner spricht aus, woran es wirklich liegt“, erklärt sie.
Teilzeit verschärft die Lage
Die Tierärzteschaft ist zu 90 Prozent weiblich. Viele arbeiten in Teilzeit. Wo früher ein Assistent 60 Stunden die Woche gearbeitet habe, brauchten sie heute zwei bis drei Frauen. „Wegen des Arbeitsschutzgesetzes gehen 60 Stunden nicht mehr – das ist auch gut so. Aber es gibt heute schlicht mehr Bedarf, und immer noch so viele Studienplätze als zu meiner Studienzeit.“
Der Bedarf steigt auch, weil Ansprüche der Tierhalter steigen. Heute werde umfassende Diagnostik gemacht. Aus 10 Minuten pro tierischen Patienten sind 30 bis 45 Minuten geworden. Hinzu kommt, dass viele Absolventen in andere Bereiche gehen, „wegen der Work-Life-Balance“ und auch Vollzeitkräfte lieber 32 Stunden arbeiten wollen.
In der Selbstständigkeit kommen finanzielle Belastung und viel Verantwortung dazu. „Und dann sind es eben oft Frauen mit Kindern. Selbstständig und Vollzeit ist schwer möglich. Ich darf das sagen: Ich habe Kinder, ich bin selbstständig. Und ich habe mich oft gefragt, ob das wohl die richtige Entscheidung war.“
Hinzu kommen steigende Anforderungen: Arbeitszeitgesetz, Dokumentation, Personalführung. Sie verbringt mehr Zeit im Büro als am Pferd.
Verkauf für eine sicherere Zukunft
Um die Praxis für Groß- und Kleintiere mit zwei Standorten und 40 Mitarbeitern langfristig zu erhalten und damit auch einen Teil der Versorgung in der Region zu sicher, muss etwas passieren.
Seit Februar 2023 sind sie deswegen Mitglied bei „VetPartners“. Die Kette sei vielmehr ein Netzwerk aus Klein-, Groß-, Pferde- und Gemischtpraxen, gegründet von der britischen Rinderpraktikerin Jo Malone, nachdem sie selbst keine guten Erfahrungen mit einer Kette gemacht hatte. Hier sollen „die Werte, die ihr am Herzen liegen, auch täglich gelebt werden“, verrät die Webseite. „Weniger konzernmäßig, mehr tierärztlich“, übersetzt tom Wörden.
Für die Kunden ändert sich nichts
Auch hinter VetPartners stehen Investoren, die ihr Geld sicher nicht rein für den guten Zweck zur Verfügung stellen. Doch in die Ideen von VetPartners fassen die Schiffdorfer Vertrauen.
Ihnen werde keine Marke übergestülpt. „Was uns extrem gut gefällt ist, dass sie die Identität der Praxis erhalten“, erklärt Kellers. Auch die Therapiefreiheit ist vertraglich geregelt. Für die Kunden ändere sich rein gar nichts. Maximale Freiheit bei maximaler Unterstützung.
Unterstützung erleichtert das Leben
Die vormaligen Inhaber sind nun angestellte Geschäftsführer und haften nicht mehr mit ihrem eigenen Kapital. Sie müssen ausscheidende Inhaber nicht mehr auszahlen und versprechen sich davon, leichter Nachfolger zu finden. Eine haben sie bereits an Bord: Dr. Reka Beardi-Tienken. „Sie ist Mutter geworden, macht es trotzdem und macht es extrem gut. Das ist eine Kollegin, von der man sagen muss: Die will das. Sie ist so groß geworden und für sie ist Selbstständigkeit noch kein rotes Tuch“, sagt tom Wörden.
„Ich bin weder Arbeitsrechtler noch Personalprofi. Ich habe häufig Fragen. Und jetzt sitzt da ein Team in München, wo ich einfach anrufen kann.“ Die Mitarbeiter profitieren von Fortbildungen und im Rinder-Talk vernetzt sich Kellers einmal im Monat mit Tierärzten aus ganz Deutschland. Denn während andere Ketten oft nur auf Kleintierpraxen setzen – denn da läge das Geld – sind bei VetPartners auch Großtier- und Gemischtpraxen willkommen.
Ob sie die richtige Entscheidung getroffen haben, werde die Zukunft zeigen. Mit dem aktuellen Wissen sind sie sich aber sicher, auf dem richtigen Weg in eine sicherere Zukunft zu sein.