TTims Kampf gegen den Krebs: Knie und Schulter müssen raus

Dr. Matthias Priemel zeigt am Bildschirm das Kniegelenk von Tim Böckmann. Foto: Fehlbus
Der Diagnose Knochenkrebs folgen die Chemotherapie und zwei große Operationen. Die Gelenke müssen ersetzt werden. So geht die Geschichte von Tim Böckmann aus Brest weiter.
Brest. Im Herbst 2023 bekam Tim Böckmann die Diagnose Knochenkrebs. Da war er 18 Jahre alt. Schnell kam er ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Hier ist eines der größten Sarkomzentren in Deutschland, gegründet 2012. Das machte im Fall von Tim Böckmann die wohnortnahe Versorgung auf höchstem Standard möglich.
Heiligabend feiert die Familie im UKE
Mehr als 150 Tage pendelte die Familie aus Brest seit der Diagnose ins UKE. Immer musste der heute 19-Jährige drei bis fünf Tage für die Chemotherapie stationär bleiben. Auch über das Weihnachtsfest 2023. Mutter Nicole Böckmann kochte damals Rouladen. Die Eltern und Tims älterer Bruder Jonas fuhren in die Klinik. Alles wurde in der Mikrowelle im UKE warm gemacht und im Aufenthaltsraum gesessen.
Am zweiten Weihnachtstag durfte Tim nach Hause. So konnte er mit seinen Freunden etwas feiern und das traditionelle Neujahrswünschen im Ort Brest mitmachen. Die Familie hält zusammen. Die vorher kleinen Dinge haben einen höheren Wert bekommen.
„Wenn es dir einigermaßen geht, dann gibt‘s wieder einen drauf“
Nach der ersten Diagnose folgte schnell die zweite. Es war im Oktober 2023: Da ließ sich ein „Ei unter der Kniescheibe“ fühlen, erzählt Tim. Eine Skelettszintigrafie wurde gemacht. „Da hat man dann gesehen, dass da noch was ist“, sagt Vater Horst Böckmann. Tim hat fast gleichzeitig an zwei Stellen ein Sarkom. Zur Schulter kommt das Kniegelenk hinzu.
Erst im Januar 2024 soll an beiden Stellen operiert werden. Zunächst startet die Chemotherapie, unterbrochen von jeweils wenigen Tagen ohne. „Wenn es dir einigermaßen geht, dann gibt’s wieder einen drauf“, formuliert es Tim heute.
Gegenüber den Eltern wird der Arzt im Gespräch deutlich
Anfang Dezember ist der ganze Mund wund, die Schleimhäute kaputt. „Fünf Wochen konnte ich kaum etwas essen“, erinnert er sich, die Blutwerte machen Probleme. Er kämpft gegen den Krebs, muss erneut ins UKE, als es ihm sehr schlecht geht und er hohes Fieber bekommt. Dadurch werden die nächsten Chemotherapien verschoben.
In einem Gespräch mit dem behandelnden Arzt geht es um die Operationen. „Ich musste so weinen“, erinnert sich Nicole Böckmann. Dr. Matthias Priemel antwortete ehrlich auf die Fragen der Eltern, diesmal ohne den Sohn. Auch das Wort „abnehmen“ im Zusammenhang mit Arm und Bein fällt Ende 2023. Es steht für eine mögliche Amputation.
Moderne Medizin: Ersatzteile für jedes Körperteil
„Ich erinnere mich, wie Dr. Priemel zu uns sagte: ,Das Wichtigste ist jetzt, dass wir Tim am Leben halten‘“, sagt Nicole Böckmann. Vor dem Koffer mit „Ersatzteilen“ für jedes erdenkliche Knochenteil im Körper sitzen die Eltern ehrfürchtig. „Die tauschen wir, die Knochen“, habe Dr. Priemel gesagt. Letztlich kam es genau so.

Tim Böckmann vertraut Dr. Matthias Priemel. Der operierende Arzt und stellvertretende Klinikleiter ist für die Familie immer erreichbar, wenn es drängende Fragen gibt. Foto: Fehlbus
Dr. Priemel habe ihnen immer wieder Mut gemacht. Er ist für sie stets erreichbar, meldet sich auch abends noch zurück. „Das ist wirklich ein unglaublicher Arzt, das ist Berufung, nicht Beruf“, sagt Horst Böckmann dankbar. Durch die schnellen Antworten des Experten in schwierigen Situationen bleiben Kopfkino und Ängste beherrschbar.
Am 26. Januar 2024 geht es zum ersten Mal in den OP-Saal. Tim hat große Angst vor den Operationen. Er weiß nicht, wie es danach für ihn wird.
Schultergelenk kugelt nach der OP dreimal aus
Primäre bösartige Knochentumore, die sich direkt vom Knochengewebe ableiten, sind selten. Beim Osteosarkom wird mit zwei bis drei Neuerkrankungen pro 1 Million Einwohner pro Jahr gerechnet. Noch viel seltener sei ein synchron an zwei Stellen auftretendes Osteosarkom, erklärt Dr. Priemel.
Das Schultergelenk wird weiträumig entfernt und durch ein künstliches ersetzt. Danach kugelt dreimal das Schultergelenk aus. „So ein Knurpsen war das“, sagt Tim Böckmann. Es fehlen wichtige Muskeln und Sehnen. Wieder eine OP festigt die Strukturen. Keine Operation sei beim Osteosarkom wie die andere, sagt Dr. Priemel.
Zwei große Operationen in acht Tagen
Nur eine Woche später ist das Kniegelenk dran - auch auf dringenden Wunsch von Tim. Das Kniegelenk mit Teilen des Schienbeins wird durch eine Prothese ersetzt. Ziel ist es, den Tumor samt einem Sicherheitsrand gesunden Gewebes zu entfernen, um das Risiko eines Wiederauftretens zu minimieren.
Die Wochen danach geht wenig. Beide Gelenke müssen nach mehrwöchiger Pause langsam in die Bewegung gebracht werden. Es gelingt. Parallel wird die Chemotherapie weitergeführt. Entsprechend der im Juni 2021 aktualisierten Leitlinie zur Behandlung von Patienten mit Osteosarkom wird sie vor und nach der Krebs-OP über insgesamt neun bis zwölf Monate durchgeführt.
Übergreifende Tumorkonferenzen mit Stuttgart
Das UKE gehört zum Netzwerk der onkologischen Spitzenzentren. Hierzu gehören 14 Standorte in ganz Deutschland. Auch vor den Chemotherapie-Behandlungen von Tim steht die Kontaktaufnahme mit Spezialisten in Stuttgart. Das dortige Zentrum ist eine Einrichtung des Universitätsklinikums Tübingen. In übergreifenden Tumorkonferenzen werden Behandlungspläne erstellt und individuell auf einzelne Patienten zugeschnitten.
Neue Therapien helfen vor allem jungen Betroffenen
In einer vor wenigen Wochen im Fachmagazin „European Journal of Cancer“ veröffentlichten wissenschaftlichen Studie wurden Daten zu europaweit aufgetretenen Fällen von Weichteil- und Knochensarkomen ausgewertet. Es handelte sich um Fälle in allen Altersgruppen aus insgesamt 29 europäischen Ländern aus den Jahren 2006 bis 2023. Der Schwerpunkt in der Analyse lag auf Jugendlichen, die die Diagnose im Alter von 15 bis 19 Jahren erhalten hatten, sowie jungen Erwachsenen im Alter von 30 bis 39 Jahren.
Danach nahm die Häufigkeit einiger Knochen- und Weichteilsarkom-Arten unter Jugendlichen in den letzten 20 Jahren zu. Bei Knochensarkomen verbesserten sich die Überlebensaussichten für Jugendliche.
Es braucht mehr Aufmerksamkeit für diese seltene Krebsart
Bei Weichteilsarkomen hingegen fehlten solche Fortschritte oder waren nur geringfügig feststellbar. Dies sei laut Studienbericht vermutlich darauf zurückzuführen, dass keine neuen Therapien für diese Erkrankungen entwickelt worden seien. Auch deshalb lautet das Motto der Deutschen Sarkom-Stiftung: „Patienten und Experten: Gemeinsam gegen Sarkome!“ Gerade eine sehr seltene Krebsart brauche besondere Aufmerksamkeit.
Tims Geschichte kann helfen, die Öffentlichkeit über diese seltene Krankheit zu informieren und zu sensibilisieren. Es ist der Wunsch der Familie Böckmann, die vor der Diagnose bei den Schmerzen nie an Krebs gedacht hätte: „Wir wollen auf das Thema Osteosarkom aufmerksam machen“, sagt Nicole Böckmann.
Drei Serienteile
Teil 1 von Tims Geschichte lesen Sie hier. Im dritten Teil wird es um Reha-Pläne und die Erfüllung eines Traums gehen.