Zähl Pixel
DRK-Retter

TTodesschüsse von Scheeßel: „Auch die Härtesten zeigen Gefühle“

Ein Sarg wird aus einem der Einfamilienhaus nach den Todesschüssen im Landkreis Rotenburg getragen.

Ein Sarg wird aus einem der Einfamilienhaus nach den Todesschüssen im Landkreis Rotenburg getragen. Foto: Sina Schuldt/dpa

In der Nacht zum 1. März sind im Kreis Rotenburg vier Menschen erschossen worden, darunter ein dreijähriges Mädchen. Mit als erste am Tatort waren die DRK-Retter. Dienstleiter Dirk Richter über belastende Situationen und den Umgang damit.

Von Holger Heitmann Mittwoch, 27.03.2024, 11:00 Uhr

Rettungskräfte Ihres DRK-Kreisverbands waren in Westervesede und Brockel vor Ort im Einsatz, nachdem dort vier Menschen erschossen worden waren. Wie sind diese damit umgegangen?

Dirk Richter: Die Benachrichtigung über diese Einsatzlage erfolgte über die Rettungsleitstelle Zeven an mich. Im Anschluss wurde alles weitere durch unsere Wachenleiter organisiert, die in den Bereichen Rotenburg, Zeven und Bremervörde zuständig sind. Den betroffenen Kolleginnen und Kollegen wurde angeboten, aus dem Dienst genommen zu werden, was sie auch angenommen haben. Sie haben in der Rettungswache in Rotenburg einen Kaffee bekommen und erst einmal drei, vier Stunden über das Erlebte geredet. Das hilft schon einmal, um sich etwas mit der Situation zurechtzufinden. Auch wenn einen so etwas natürlich noch länger über den Tag hinaus beschäftigt. Es gab mittlerweile auch noch ein zweites Treffen.

Haben Sie beim DRK besonders geschulte Personen für solche Fälle?

Ja, haben wir. Sie wurden umgehend benachrichtigt, da sie entsprechend geschult und auf derartige Szenarien vorbereitet sind. Darüber hinaus haben wir weiterführend die Möglichkeit, unkompliziert und schnell an professionelle Trauma-Psychologen zu vermitteln.

Nehmen die Betroffenen dieses Angebot in Anspruch?

Ich kann und will niemanden zwingen, aber das muss ich auch nicht, es wird angenommen. Zum Beispiel jemandem, der zu einem Unfall mit Kindern gerufen wurde, hat das auch sehr geholfen. Ich als Rettungsdienstleiter lasse die Leute erst einmal sprechen und mein Bauchgefühl sagt mir dann, welcher Handlungsbedarf noch weiter besteht.

Rettungskräfte haben ja regelmäßig mit Unfällen und Verletzten zu tun. Was können besonders belastende Situationen sein?

Jeder Beruf hat Licht- und Schattenseiten. Leid und Trauer gehören dazu, bestimmen den Alltag aber nicht. Aber wenn, wie gesagt, Kinder beteiligt sind oder besondere Lagen wie jüngst in Westervesede und Brockel zutage treten, ist das noch einmal etwas anderes. Oder es kommt vor, dass Unfallbeteiligte Freunde oder Bekannte der Retter sind. Als jüngst auf der B71 ein Krankentransportwagen von einem Auto gerammt wurde, mussten die Einsatzkräfte ihren eigenen Kollegen helfen. Man wird auch zu angekündigten Suiziden gerufen. Und wenn ein Mensch dann tatsächlich in den Tod springt, geht das selbstverständlich nicht spurlos an einem vorbei.

Wobei wahrscheinlich jeder anders mit seinen Erfahrungen umgeht?

Ich kann niemandem hinter die Stirn gucken. Ich habe schon die vermeintlich härtesten Hunde gesehen, wo mancher denkt, bei denen passiert nichts, aber die sich im Gespräch dann doch öffnen und ihre Gefühle zeigen. Und mancher macht es vielleicht eher mit sich selbst aus, das gibt es auch.

Im Jahr 2007 gab es in Sittensen einen Mehrfachmord. Damals soll diese Gesprächskultur noch nicht so etabliert gewesen sein.

Aus einem solch schrecklichen Ereignis kann man zumindest Erfahrungen herausziehen. Seitdem hat sich einiges entwickelt, wir sind heute weiter als 2007. In meiner Anfangszeit Mitte der 80er-Jahre hieß es noch nach belastenden Einsätzen schnell: Jetzt ist auch wieder gut. Das hat sich zum Glück geändert. Jetzt wird sofort reagiert, die jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden aus dem Dienst genommen und können reden – ohne den Druck, gleich wieder in einen Einsatz zu müssen.

Gibt es Rettungskräfte, die aus dem Dienst ausgeschieden sind, weil sie Einsätze, die sie erlebt hatten, nicht verarbeiten konnten?

Aus der Geschichte heraus weiß ich, dass es solche Fälle nach dem ICE-Unfall in Eschede 1998 gab, mit jeweils mehr als 100 Todesopfern und Verletzten. Ich komme ja recht viel rum, aber mir ist nicht bewusst, dass hier in der Region seitdem eine Rettungskraft ihren Dienst aus diesem Grund quittiert hätte.

Ist diese psychische Belastung beim Rettungsdienst eigentlich vergleichbar mit der von anderen Einsatzkräften zum Beispiel bei der Feuerwehr und der Polizei?

Bei uns gibt es ausschließlich Hauptamtliche, bei den Freiwilligen Feuerwehren sind es Ehrenamtliche, die aber auch zu Verkehrsunfällen gerufen werden, bei denen Menschen in Fahrzeugen eingeklemmt oder Leute betroffen sind, die die Feuerwehrleute kennen. Die Feuerwehr hat da sicher auch ihre Gesprächskreise. Bezogen auf Geschehnisse wie in Westervesede und Brockel ist es so, dass unsere Rettungskräfte zunächst außerhalb des Geschehens warten, bis die Polizei sichergestellt hat, dass keine unmittelbare Gefahr mehr durch Täter herrscht. Aber dann müssen unsere Leute schauen, ob es Verletzte gibt, denen geholfen werden kann, oder sie müssen gemeinsam mit dem Notarzt oder der Notärztin den Tod von Menschen feststellen. Es soll auch noch ein gemeinsames Treffen von verschiedenen Einsatzkräften geben, um das Geschehen in der Nacht auf den 1. März nachzubesprechen, aber für die Polizei ist das aufgrund der laufenden Ermittlungen noch nicht möglich. (rk)

Weitere Artikel