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Eiskalte Nächte

TTragisches Schicksal: Obdachloser verliert beide Beine in der Kälte

Walther R. sitzt in einem der Büros des Tagestreffs für Wohnungslose in seinem Rollstuhl und erzählt von seinem Leben.

Walther R. sitzt in einem der Büros des Tagestreffs für Wohnungslose in seinem Rollstuhl und erzählt von seinem Leben. Foto: Glückselig

Walther R. lebt seit 25 Jahren auf der Straße. Ende vergangenen Jahres mussten ihm wegen Erfrierungen beide Beine abgenommen werden. Doch dann beginnt erst sein Kampf.

Von Detlef Glückselig Mittwoch, 19.02.2025, 20:09 Uhr

Nordenham. In einem der Büros des Tagesaufenthalt für Wohnungslose an der Ecke Hafenstraße und Friedrich-Ebert-Straße steht ein Tischkalender auf dem Schreibtisch. Das Februar-Blatt zeigt zwei Füße in lustigen bunten Wollsocken. Darüber ein Spruch: „Wer träumt, reist in das Land bunter Möglichkeiten.“

Walther R. hat keine Zeit für Träume. Und wenn er an sich herunterblickt, sieht er auch keine Füße mehr. Anfang Dezember mussten dem 59-Jährigen im St.-Bernhard-Hospital in Brake beide Beine abgenommen werden; wegen massiver Erfrierungen. Nachdem Walther R. mit Unterstützung der Diakonie darum gekämpft hat, von der Stadt Nordenham eine Wohnung zugewiesen zu bekommen, gibt es jetzt eine neue Chance für ihn.

Leben in einer Notunterkunft ohne sanitäre Anlagen

Walther R. trägt ein blaues T-Shirt. Über seine schulterlangen Haare hat er sich eine Mütze gestülpt. Der Mann, der seit 25 Jahren keinen festen Wohnsitz mehr hat und in diesem Vierteljahrhundert die meiste Zeit auf der Straße war, ist ein regelmäßiger Gast des Tagesaufenthalts der Diakonie. Gerade hat er sich dort gewaschen. Dazu hätte er ansonsten keine Möglichkeit. Der an die Notunterkunft für Wohnungslose an der Atenser Allee angebaute Schuppen, in dem die Stadt Nordenham ihn untergebracht hat, bietet keine Sanitärräume.

Den Schuppen hatte ihm die Stadt Nordenham in allergrößter Not als Unterkunft zugewiesen - weil es schlichtweg keine anderen Möglichkeiten einer barrierefreien Unterbringung gegeben habe, wie Sonja Brödje, Leiterin des zuständigen städtischen Ordnungsamtes, sagt. Walther R. konnte dort auf einem Feldbett schlafen. Ein Heizstrahler sorgte für ein klein wenig Wärme.

Walther R.: „Meine Berufung ist das Leben – und das Überleben“

Das Campingklo, das ihm die Stadt zur Verfügung gestellt hatte, nützte ihm nichts. Seit ihm die Beine amputiert wurden, sitzt er im Rollstuhl, hatte keine Chance, sich von dort auf die tiefe Behelfstoilette zu hieven. Da halfen auch eine Stange zum Festhalten, die ihm die Stadt an die Wand geschraubt, und zwei wie in einer Turnhalle von der Decke baumelnde Ringe, die sie angebracht hatte, nichts.

Walther R. hätte die Sanitärräume im Gebäude der Notunterkunft benutzen können und auch die dortige Küche. Aber das ist blanke Theorie. Das Gebäude ist nicht barrierefrei. Wenn er zwischen Gartengeräten und einer ausrangierten Dartscheibe etwas Warmes im Bauch haben wollte, blieb ihm nur, die Kaffeemaschine zu nutzen, die ihm die Nordenhamer Tafel geschenkt hat.

Walther R. stammt gebürtig aus Schleswig-Holstein. Wie er auf die Straße geraten ist, kann er nicht mehr so genau erzählen. Und will es auch gar nicht. „Das tut nichts zur Sache. Die Vergangenheit interessiert mich nicht und die Zukunft auch nicht“, sagt er. Und ihn interessiert auch nicht, was andere Leute machen, Leute die Jobs haben und ein festes Dach über dem Kopf. „Meine Berufung ist das Leben“, sagt er, ergänzt: „Und das Überleben.“

Fast das halbe Leben auf der Straße zugebracht

Mit neun Jahren kam Walther R. in ein Heim. Er fuhr später eine Zeit lang zur See, begann danach eine Umschulung zum Maler und brach sie ab, schlug sich mit allen möglichen Gelegenheitsjobs durch. Im März 2000 begann seine Zeit als Wohnungsloser. Walther R. war immer unterwegs, mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn dafür gerade das Geld reichte. In Nordenham hält er sich seit 2017 auf. Einmal habe er hier in der Stadt eine Frau kennengelernt, erzählt der 59-Jährige. Gelegentlich hat er bei ihr gewohnt. Als sie ihn heiraten wollte, sei es ihm zu eng geworden. Dann lieber wieder die Straße.

Kein menschlicher Körper, auch nicht der von Walther R., ist dafür gemacht, schutzlos über eine lange Zeit winterlicher Kälte ausgeliefert zu sein. Eine Weile hat Walter R. in einer Garage in Brake übernachtet, immer dann, wenn es zu windig oder der Regen zu stark war, um im Freien zu schlafen. Die Garage hatte einen Betonboden. „Beton zieht Kälte“, musste Walter R. feststellen, und wiederholt es gleich noch einmal: „Der zieht!“

Eiskalte Nächte: Erfrierungen führten zur Amputation

Die ersten Erfrierungen erlitt Walther R. im Winter 2021/22. Im Hospital in Brake mussten ihm die Chirurgen die Zehen seines linken Fußes abnehmen. „Die Ärzte waren cool“, sagt Walther R.; er sollte sie nicht zum letzten Mal getroffen haben. Im Winter 2023 auf 2024 hätte er es fast nicht geschafft. Eine Sepsis, ausgelöst wiederum durch Erfrierungen, bedrohte sein Leben. Er biss sich durch, sagt heute, dass er „keine Zeit zum Sterben“ habe. Im Sommer vergangenen Jahres richtete Walther R. sich in einem Park in Nordenham ein. Dann kam wieder die Kälte. Diesmal forderte sie seine Beine.

Ärzte können die Beine von Walther R. nicht mehr retten

Ein Fuß war schwarz geworden, abgestorben. Walther R. litt höllische Schmerzen. Er schleppte sich mit einem Einkaufswagen, den er sich irgendwo gegriffen hatte und den er wie einen Rollator nutzte, zu einem Arzt. Der wies ihn umgehend ins St. Bernhard ein. Mithilfe des Einkaufswagens schaffte es Walther R. bis zum Bahnhof, bestieg den Zug nach Brake, fand dort jemanden, der ihm für den Weg ins Krankenhaus ein Taxi rief. Die Ärzte konnten beide Beine nicht retten. Fünf Wochen musste Walther R. in der Klinik bleiben. Er verließ sie in der zweiten Januar-Woche im Rollstuhl.

Warum die Stadt Nordenham keine andere Möglichkeit sah, als Walther R. notdürftig in einem Schuppen unterzubringen, und wie sie jetzt doch noch eine Lösung für den gebeutelten Mann gefunden hat, lesen Sie morgen auf dem Online-Portal der Kreiszeitung Wesermarsch.

Ein Feldbett, eine Campingtoilette, von der Decke baumelnde Ringe als Hilfe: Hier war Walther R. untergebracht.

Ein Feldbett, eine Campingtoilette, von der Decke baumelnde Ringe als Hilfe: Hier war Walther R. untergebracht. Foto: Walter R.

Dieser Tischkalender steht in einem des Büros des Tagestreffs. Im Hintergrund sitzt Walther R.

Dieser Tischkalender steht in einem des Büros des Tagestreffs. Im Hintergrund sitzt Walther R. Foto: Glückselig

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