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TÜberfüllte Zwinger, verletzte Seelen: Das passiert im Tierheim

Der Pitbull-Rüde Ceasar ist offiziell als gefährlich eingestuft, zeigt gegenüber Menschen aber bisher kein auffälliges Verhalten.

Der Pitbull-Rüde Ceasar ist offiziell als gefährlich eingestuft, zeigt gegenüber Menschen aber bisher kein auffälliges Verhalten. Foto: Willing

Im Tierheim Rotenburg stoßen engagierte Helfer täglich an ihre Grenzen – zwischen Hoffnung und Herzschmerz kämpfen sie für jedes einzelne Tier. Doch der Platz wird knapp.

Von Pia Willing Sonntag, 19.10.2025, 09:50 Uhr

Rotenburg. Es ist kurz nach 9 Uhr am Tierheim des Tierschutzvereins für den Landkreis Rotenburg. Ein Hahn kräht, die Waschmaschinen laufen auf Hochtouren, der Duft von Heu mischt sich mit dem Geruch von Katzenstreu. Die meisten Arbeiten sind bereits erledigt - der Frühdienst begann um 7.30 Uhr. Dennoch liegt sofort die lebendige Energie in den hinteren Zimmern, Gehegen und Ausläufen spürbar in der Luft.

Marcel und Julia Mertens - unscheinbare Retter

Marcel Mertens, 43, Vorstandsvorsitzender, der neben einem 40-Stunden-Job als Bauingenieur ehrenamtlich das Tierheim leitet, öffnet die Tür des schlichten einstöckigen Gebäudes. Neben ihm steht Julia Mertens, 38, Tierpflegerin, und lächelt. Zusammen managen sie nicht nur den täglichen Betrieb, sondern kümmern sich auch um Fundtiere aus den Gemeinden Rotenburg und Fintel. Abgabetiere werden nur aufgenommen, wenn Platz ist - und der ist knapp.

„Wer ein Tier abgeben möchte, muss sich oft deutschlandweit nach einem freien Tierheim umsehen“, erklärt Marcel. „Wenn wir keinen Platz haben, werden wir teilweise unter Druck gesetzt - mit Aussagen wie, dann bringe ich das Tier eben um.“

Aktuell beherbergt das Tierheim bis zu 50 Katzen, vier Hunde und acht Kaninchen, darunter Langzeitinsassen wie Kaninchen, die seit über zwei Jahren hier leben. Durchschnittlich vermittelt der Verein zwischen 250 und 270 Tiere - eine beeindruckende Quote von 80 bis 90 Prozent innerhalb des Jahres.

Die traurige Realität hinter süßen Gesichtern

„Es kommen nicht die süßen, freundlichen Hunde, sondern die, die ein Päckchen zu tragen haben“, erklärt Marcel Mertens. Vor ihm steht Balu, ein Labrador mit traurigen Augen, dessen Leben von Verlust geprägt ist: Corona-Hund, keine Hundeschule, Kinder ausgezogen, Besitzer verstorben - der Boden unter seinen Füßen wurde ihm buchstäblich weggerissen.

Diagnosen wie schwerer Hüftschaden und beidseitiger Kreuzbandriss machen ihn zum Intensivpatienten. „Andere Tiere fallen dann schon mal hinten über“, bedauert Julia Mertens. Die Behandlungskosten belaufen sich allein für die Kreuzband-OP auf 6000 Euro, finanziert durch Spenden.

Diese Kitten müssen zwei Wochen auf der Quarantänestation verbringen, bevor sie in das Gruppen- oder Einzelzimmer umziehen dürfen.

Diese Kitten müssen zwei Wochen auf der Quarantänestation verbringen, bevor sie in das Gruppen- oder Einzelzimmer umziehen dürfen. Foto: Willing

Auch die Katzenfreigänger sind oft nicht kastriert - ein Problem, das gesetzlich in Niedersachsen gerade in Planung ist. Viele Tiere hier haben lange draußen überlebt, sind aber auf menschliche Fürsorge angewiesen. „Allein draußen sind sie lebensunfähig - unser Ziel ist, ihr Leid zu verringern“, sagt Julia Mertens. Scheue Katzen werden durch Katzenkuschler an Nähe gewöhnt.

Herausforderungen und Ärger bei Vermittlungen

Verantwortungsvoll vermittelt der Verein Tiere nur, wenn die zukünftigen Besitzer Zeit, Geduld und finanzielle Mittel mitbringen. „Wir wollen keine Wanderpokale“, sagt Marcel Mertens. Viele Tiere kommen zurück, manchmal schon nach zwölf Stunden, weil Menschen die Verantwortung unterschätzen. Vorkontrollen, Fragebögen und persönliche Besuche gehören zum Standard. In Fällen, in denen keine realistische Vermittlungschance besteht, müssen die Tiere im Tierheim bleiben - ein emotional belastender Moment: „Manchmal sitzen wir hier auch alle und heulen“, sagt Julia Mertens.

Und mittendrin gibt es sie - die kleinen Siege: eine Katze, die endlich spielt, ein Hund, der Nähe zulässt, ein Kaninchen, das zum ersten Mal aus der Ecke hervorkommt. Die emotionalen Momente sind zahlreich: Tränen beim Abschied, Freude, wenn ein Tier Vertrauen fasst, und stille Sorge um jene, die es schwer haben - wie der Pitbull Ceasar.

Ceasar gilt als gefährlich eingestuft, weil sie in Hessen einen anderen Hund angegriffen haben soll. Dort wurde sie als sogenannter Listenhund mit besonderen Auflagen geführt - in Niedersachsen gibt es eine solche Liste nicht, was ihre Vermittlungschancen hier etwas erhöht.

Vom sicheren Hafen zum chronisch überfüllten Tierheim

Zwischen Füttern, Katzenklos reinigen, Hunde ausführen und medizinischer Kontrolle dokumentiert das Team sorgfältig die gesundheitliche Entwicklung jedes Tieres. Trotz aller Belastung brennen sie für ihren Job - der deutsche Tierschutz stehe unter Druck, alle Tierheime seien chronisch überfüllt. „Der deutsche Tierschutz ist am Ende“, betont Julia Mertens.

Auch Marcel Mertens ärgert sich über Menschen, die Tiere wie Ware abgeben. „In letzter Zeit versuchen manche, uns ihre eigenen Tiere als Fundtiere unterzujubeln - da greifen wir konsequent durch und erstatten Anzeige.“

„Ursprünglich wurden Tierheime gegründet, um Tieren in Not einen sicheren Hafen zu bieten“, erklärt Julia Mertens. „Heute kommen immer häufiger auch Tiere, die ihre Besitzer unüberlegt angeschafft haben - weil diese keine Geduld, Zeit oder Verantwortung für sie aufbringen. Viele dieser Tiere werden einfach abgegeben, ohne dass jemand die Konsequenzen bedenkt, und belasten die ohnehin schon überforderten Tierheime.“

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