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Trauer

TUltracycling: Wie dieser Buxtehuder den Tod seines Kindes verarbeitet

Ultrarennen im Gedenken an Gregor: Seitdem sein jüngster Sohn gestorben ist, steigt Immanuel Buchholz aufs Rad, um dem tiefen Schmerz etwas entgegenzusetzen.

Ultrarennen im Gedenken an Gregor: Seitdem sein jüngster Sohn gestorben ist, steigt Immanuel Buchholz aufs Rad, um dem tiefen Schmerz etwas entgegenzusetzen. Foto: Buchholz

Immanuel Buchholz treibt es mit dem Rennradfahren ins Extrem. Seine Motivation für ultralange Strecken hat einen traurigen Hintergrund.

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Von Fenna Weselmann
Sonntag, 23.11.2025, 00:06 Uhr

Buxtehude. Dreieinhalb Jahre ist es jetzt her, dass der kleine Gregor gestorben ist. Nach niederschmetternder Tumor-Diagnose und Monaten des verzweifelten Hoffens geht das Leben des blonden Wirbelwinds mit gerade einmal vier Jahren zu Ende. Und für Familie Buchholz* ist nichts mehr wie es war.

Auf dem Rad wird das traurige Herz leichter

Der Schmerz um diesen unfassbaren Verlust holt Gregors Eltern und seine drei großen Brüder Justus, Noah und Constantin bis heute immer wieder ein. Mal mehr, mal weniger. Die Trauer kommt und geht, wird verschlossen oder zugelassen. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, die Tür zum Leben offen zu halten.

Für Immanuel Buchholz ist es die körperliche Verausgabung. Nach Gregors Tod hat der Buxtehuder Familienvater den Radsport für sich wiederentdeckt. Dabei treibt er sich selbst ans Limit. „Geschwindigkeit, Bewegung - wenn alles passt, man in diesem Flow an gar nichts mehr denkt und der Kopf völlig leer ist“, kann das traurige Herz loslassen.

Rennrad fährt der 44-Jährige schon seit der Jugend - nicht professionell oder im Verein, aber begeistert und gerne mit weiten Distanzen. Seine erste lange Tour hat Immanuel Buchholz in guter Erinnerung. Mit 18 Jahren geht es in drei Tagen 640 Kilometer nach Dresden, um eine Freundin zu besuchen.

Später wird das Segelfliegen zur Leidenschaft und Laufen hält ihn fit. „Eigentlich wollte ich wieder fliegen“, erzählt der Airbus-Ingenieur von seinem ablenkenden Wunsch in den Monaten des Abschiednehmens. Aber der Zufall hat andere Pläne für ihn.

Die erste Gregor-Gedenktour führt zu den Eltern

Auf dem Sperrmüll springt ihm ein weggeworfenes Cannondale-Fahrrad ins Auge. Das nimmt er als Initialzündung für eine Tagestour von Hamburg nach Flensburg und den Beginn der Gregor-Gedenkfahrten. Alles über 200 Kilometer gilt nun Gregor.

Der nächste Radmarathon führt zu den Eltern - rund 250 Kilometer von Buxtehude nach Rathenow, ohne große Vorbereitung mit ein paar Müsliriegeln im Gepäck. Die Langstrecke hat es ihm sofort angetan. „Wahnsinn, welche Landschaftseindrücke man da bekommt. Da merkt man erst, wie einsam Deutschland sein kann.“

Immanuel und Denise Buchholz bei einer gemeinsamen Radtour

Denise Buchholz steigt ebenfalls gerne aufs Rennrad und begleitet ihren Mann ab und an ein Stück des Weges. Foto: Buchholz

Gregor ist in Gedanken immer dabei. Genauso wie Ehefrau Denise auf manchem Streckenabschnitt mitradelt. Die Familie trägt ihn. Sohn Constantin hat sogar ein persönliches Trikot für ihn gestaltet. Wo sein Herz schlägt, prangt ein Porträt von Gregor und auf dem Shirt steht „Gregorized - Pedaling for the one who inspired it all“.

Immanuel Buchholz fährt von Buxtehude nach Basel

Immanuel Buchholz startet bei den Cyclassics und absolviert sein erstes Ultracycling-Event. Vier Rennräder, 15 Stunden Training in der Woche und 11.000 Rad-Kilometer pro Jahr - der Sport nimmt bei ihm ganz neue Dimensionen an.

Erinnerungsfoto vor Gregors altem Spielhaus nach den Cyclassics: In Hamburg ging Immanuel Buchholz mit Sohn Justus an den Start.

Erinnerungsfoto vor Gregors altem Spielhaus nach den Cyclassics: In Hamburg ging Immanuel Buchholz mit Sohn Justus an den Start. Foto: Buchholz

Eine erste offizielle Langstrecke führt im vergangenen Jahr von Berlin nach München und wieder zurück - über 1500 Kilometer in fünfeinhalb Tagen. Genauso die Gedenkfahrten. Und für Gregor fährt der Buxtehuder zu einem Familienfest von zu Hause ganz bis in die Schweiz: drei Tage, neun Stunden, 1000 Kilometer über Berg und Tal, gegen Wind, Regen und den Zweifel, es überhaupt zu schaffen.

Selfie von Immanuel Buchholz vor einer Brücke in Basel

Fast am Ziel: Die bisher längste Gregor-Gedächtnisfahrt führte Immanuel Buchholz von Buxtehude bis in die Schweiz. Foto: Buchholz

Seitdem ist klar: Er kann auch unter extremen Bedingungen Langstrecken bewältigen. Das nächste Ziel ist bereits gesteckt. Im Juli 2026 will der Buxtehuder beim Race Across Germany starten. Das Nonstop-Rennen von Flensburg nach Garmisch soll auf besondere Weise mit Gregor in Verbindung stehen.

Das nächste Ultrarennen wird zur Spendenaktion

Mit seinem Radmarathon möchte Immanuel Buchholz Spenden sammeln, für jeden geschafften Kilometer. Wie die Aktion genau umgesetzt werden soll, ist derzeit noch in Klärung.

Die Spenden sollen jedenfalls Initiativen zugutekommen, die betroffene Familien wie seine unterstützen. Dazu gehört beispielsweise das Palliativteam. „Die haben uns in der Sterbephase irre geholfen“, betont Buchholz. Noch heute sind sie in Kontakt und nutzen die Angebote zum Austausch mit anderen Betroffenen.

Gregor auf seinem leuchtend-gelben 12-Zoll-Rad

Gregorized: Hier tritt der kleine Gregor noch selbst in die Pedale, jetzt ist er für Papa Immanuel die treibende Kraft beim Long Distance Cycling. Foto: Buchholz

Im Novembergrau übermannt Immanuel Buchholz die Trauer wieder mehr. Er kann kaum dagegen anstrampeln und kämpft mit Alpträumen. Dann machen der verlassene rote Kinderstuhl, das selbst gebaute Spielhaus und all die anderen Dinge, die sonst die fröhlichen Erinnerungen zurückholen, das Herz schwer.

Am Ewigkeitssonntag werden die Eltern Gregors Grab besuchen, so wie jedes Wochenende. Viel schwerer wiegen Todestag, Geburtstag und Weihnachten. Vor der Bescherung geht es auf den Friedhof, an Silvester zünden sie ihm ein Kinderfeuerwerk und von jedem Urlaub bringen sie Gregor ein kleines Andenken mit.

Der Buxtehuder träumt vom Race Across America

Immanuel Buchholz‘ großer Traum ist das Race Across America. Über 5000 Kilometer von der West- zur Ostküste der USA. Größer geht eine Gregor-Gedenkfahrt kaum.

Immanuel Buchholz in voller Fahrt

Immanuel Buchholz trainiert für sein nächstes großes Ziel: Er will beim Race Across Germany starten und Spenden sammeln, die anderen betroffenen Familien zugutekommen. Foto: Buchholz

Die Teilnahme beim deutschen Pendant könnte ihm die Qualifikation bringen. Dafür muss der Extremsportler die Strecke von 1100 Kilometern allerdings in weniger als 49 Stunden schaffen. „Den Knaller würde ich natürlich gerne mitnehmen“, so sein ambitioniertes Ziel. Immanuel Buchholz hat den besten Antrieb, um sich durchzubeißen. Schließlich ist er „Gregorized“.

* Im November 2023 hat das TAGEBLATT im Rahmen einer Themenwoche zu Tod und Trauer schon einmal über die Familie des kleinen Gregor und ihren Umgang mit dem tragischen Verlust berichtet - damals noch anonymisiert.

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