TUrsula von der Leyen über Recht und Unrecht – Lob für Stade

Ursula von der Leyen bei ihrem Vortrag im Stadeum in Stade. Foto: IHK / Jörg Struwe
Oben knattert ein Hubschrauber, unten bewacht ein riesiges Polizeiaufgebot das Stadeum. 900 Gäste warten gespannt auf eine Person: Ursula von der Leyen. Die wichtigste Politikerin der EU ist zum Neujahrsempfang der IHK nach Stade gekommen. So war ihr Auftritt.
Stade. „Röschen, komm mal her“, sagt der EU-Abgeordnete David McAllister und winkt die Präsidentin der EU-Kommission heran, wenn er jemanden vorstellen will. Röschen - das ist Ursula von der Leyen, die von ihren alten Parteifreunden in Niedersachsen immer noch bei ihrem Spitznamen aus der Kindheit gerufen wird.
„IHK? What’s that?“, haben sie in Brüssel gefragt, als der Termin bekannt wurde. Doch die Industrie- und Handelskammer Stade hat diesen Coup für ihren Neujahrsempfang schlau eingefädelt: Es ist Wahljahr. Hier sind McAllister und von der Leyen zwei Niedersachsen auf heimischem Territorium und 900 Gäste aus Wirtschaft und Politik wichtige Multiplikatoren.
Eine so wichtige Frau stiehlt manch anderem Promi die Show. Wirtschaftsminister Olaf Lies zum Beispiel, der versprochen hatte, einzuspringen und den Vortrag zu übernehmen, falls ihr etwas dazwischenkommt. Daniela Behrens als Innenministerin hat zumindest Gelegenheit, ihren Leuten von der Polizei bei der Arbeit zuzusehen.
„Röschen“ schüttelt im Stadeum viele Hände. Ob stellvertretende Bürgermeisterin, mittelständischer Unternehmer oder Verbandsvertreter - sie lächelt strahlend und zeigt sich zugewandt. Auch bei den Landwirten, die vor der Tür gewartet haben: Händeschütteln, gemeinsames Foto, ein kurzes Gespräch. Jörn Ehlers, Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen, und Horst Meyer von „Land schafft Verbindung“ dürfen später im Saal sprechen. „Das war der Deal“, erklärt Christoph von Speßhardt, Hauptgeschäftsführer der IHK. Dafür haben die protestierenden Bauern die Gäste zum Empfang durchgelassen.
EU-Kommissionspräsidentin
T Was Ursula von der Leyen den Obstbauern in Stade versprach
Kommissionspräsidentin sieht die EU in der Tradition der Hanse
Wie wichtig die Landwirtschaft für Europa ist, sagt die Kommissionspräsidentin den 900 Zuhörern gleich zu Beginn ihres Vortrags. Nicht umsonst sei ein Drittel des europäischen Budgets für Zahlungen an die Landwirte reserviert - „die von der und mit der Natur leben und vor großen Herausforderungen stehen“ - wie Klimawandel und Digitalisierung. Damit „Made in Europe“ global wettbewerbsfähig bleibe, wolle die EU-Kommission das gemeinsam mit den Landwirten angehen. Wie? „Miteinander sprechen.“ In einem konstruktiven, strategischen Dialog, den die EU-Kommission jetzt starte. Dass das möglich sei, habe sie heute in Stade erlebt.

Ursula von der Leyen beim IHK-Neujahrsempfang im Stadeum, gefolgt von IHK-Präsident Matthias Kohlmann und dem EU-Abgeordneten David McAllister. Foto: IHK / Jörg Struwe
Übergriffe, Hass und Gewalt hätten in der Demokratie keinen Platz. Stade als alte Hansestadt habe Erfahrung damit, wie wertvoll ein Bündnis zum gegenseitigen Schutz und zur Förderung des Handels sei. Damals die Hanse, heute die Nato und die EU. Es sei kein Wunder, dass letztere aktuell solchen Zulauf genießen, sagt von der Leyen: „Wenn die Menschen frei entscheiden können, wählen sie die Demokratie, den Rechtsstaat und die Friedensordnung - genau das, was Autokraten wie Putin bekämpfen.“ Die Ukrainer seien bereit, ihr Leben dafür zu geben. „Sie kämpfen auch für uns“, sagt sie.

Die Polizei war wegen der Bauernproteste mit einem Großaufgebot vor Ort. Foto: Vasel
Russland ist am Ende der Verlierer
Russland sei heute wirtschaftlich abgekoppelt und abhängig von China. Die EU dagegen sieht von der Leyen als Ort der Hoffnung für die 450 Millionen Europäer. Nach dem Überfall auf die Ukraine hätten sie zusammengehalten. Europa habe im letzten Jahr mehr Elektrizität aus Wind und Sonne erzeugt als aus Gas und sei bei den Patenten für grünen Wasserstoff weltweit führend, ebenso bei smarten Stromnetzen und Windkraft. Sie lobt die Stader Region: Die sei mit dem LNG-Terminal fertig für Ammoniak und null Emissionen und auf dem Weg, zum „Power-House“ für neue Energien zu werden.
Sie spricht über die Risiken, aber auch die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz. Sam Altman, der CEO von OpenAI und Macher von ChatGPT, sei zu ihr gekommen und habe gesagt: „Wir müssen das regulieren.“ Inzwischen hat die EU das erste Gesetz über die Künstliche Intelligenz erlassen. Sie lobt auch den europäischen Migrationspakt als wichtigen Meilenstein, um die europäischen Außengrenzen zu stärken, betont aber, dass Europa angesichts des Arbeitskräftemangels auch „Talente aus aller Welt“ und Wege der legalen Migration dringend brauche.

Geschenke von befreundeten Kammern für die Eu-Komissionspräsidentin: Von der Leyen bekommt ein EU-Brot von Bäckerei Heyderich in Stade und neun Gläser selbstgemachte Marmelade vom Obsthof Ramdohr in Hollern. Foto: IHK / Jörg Struwe
Mit Gemüsesticks und Disziplin
Ursula von der Leyen spricht frei, druckreif, voller Energie. Sie ist in Form. Wie immer, sagen einige, die sie schon früher live erlebt haben. Die drahtige 65-Jährige gilt als extrem fleißig und diszipliniert. Sie lebe fast nur von Gemüsesticks mit Dip und Mineralwasser ohne Sprudel, hat David McAllister bei anderer Gelegenheit schon ausgeplaudert. Doch es liegt wohl nicht daran, dass sie längst weg ist, als die Gäste nach den Vorträgen noch zum Büfett gehen. Mit dem Ruf „Lang lebe Europa“ hat sie ihre Rede beendet, charmant noch einmal um Applaus für die großartigen jungen Musiker der Bigband der Stader Gymnasien gebeten und sich durch den Bühneneingang hinausgeschlichen. Bald darauf ist zu hören, wie der Hubschrauber wieder davonknattert.