TVerfolgungsjagd auf der Schiene: Wie Polizisten im Stader Nachbarkreis 1948 gearbeitet haben

Der sogenannte Schienenzepp verkehrte zwischen Bremervörde und Rotenburg. Eine Haltestelle befand sich in Godenstedt unweit des Lagers Seedorf. Foto: Behrens
Wer umzieht, dem fallen beim Packen meist vergessene Schätze in die Hände. So auch den Zevener Polizisten, die die Station an der Lindenstraße zum Jahreswechsel verließen. Der Schatz: Eine Akte aus den Jahren 1945 bis 1952.
Zeven. In der Chef-Etage der Stader Polizei ist derweil die Wiederergreifung eines ukrainischen Straftäters Gesprächsthema. Oberrat Hagemeyer fasst die Geschehnisse von Anfang Januar 1948 schriftlich zusammen: Am 7. Januar hatten Polizisten und Angehörige der Seedorfer Lagerpolizei im Lager einen gesuchten Ukrainer festgenommen. Doch „zusammengerottete Lagerinsassen befreiten den Ukrainer Miskow“ und verhalfen ihm zur Flucht. Dank „einsatzfreudiger und aufopfernder Ermittlungsarbeit“ gelang es dem Bremervörder Wachtmeister Schmied in Zusammenarbeit mit Lagerpolizisten, dem Gesuchten auf die Fährte zu kommen.
Miskow bestieg am 12. Januar den Zug gen Rotenburg. Davon erhielt der Zevener Polizei-Obermeister Ehlert Wind. Das Folgende beschreibt Hagemeyer mit den Worten: „Ehlert betrieb nach Versagen des Bahnhofspersonals in Zeven die Verfolgung des Zuges, in dem sich der Gesuchte befand, zusammen mit fünf Mitgliedern der Lagerpolizei und zwei weiteren Polizeibeamten der Polizeistation Zeven unter schwierigsten Umständen bis nach Rotenburg.
Nur dadurch war sichergestellt, dass bei Ankunft des Zuges in Rotenburg Lagerpolizisten vorhanden waren, die den inzwischen durch Anlegen anderer Kleidung äußerlich veränderten Miskow erkennen konnten.“
Zwischenzeitlich hatte der Bremervörder Polizeichef Wypior seinen Rotenburger Kollegen, Oberinspektor Klein, informiert. Klein entsandte Polizisten zum Bahnhof, die die Reichsbahnbeamten alarmierten. Dank dieser Unterstützung gelang es den aus Zeven anstürmenden Einsatzkräften, den einlaufenden Triebwagen zu umstellen und die Reisenden einzeln bei Verlassen des Zuges zu kontrollieren. Miskow hatte keine Chance zu entkommen. Die Lagerpolizisten erkannten ihn. Der Flüchtige wurde festgenommen.
Diebstähle aus britischen Armeebeständen häufen sich
Als Herausforderung für die deutsche Polizei erweist sich die steigende Zahl von Organisationen, die die britische Besatzungsmacht mit Beginn des Jahres 1948 gründet, um Soldaten der Rheinarmee aus Deutschland abziehen zu können. So den Zivil-gemischten-Wachdienst (CMWS), die Deutsch-zivile-Arbeitsorganisation (GCLO) und die Zivil-gemischte-Arbeitsorganisation (CMLO).
Der CMWS und die CMLO setzen sich vorwiegend aus ehemaligen polnischen und jugoslawischen Kriegsgefangenen zusammen, während der GCLO ausschließlich Deutsche, zumeist ehemalige Wehrmachtssoldaten, angehören. Die Organisationen haben unterschiedliche Befugnisse. Das CMWS-Personal bewacht Gebäude der Militärregierung und untersteht der Armee. Die GCLO-Einheiten übernehmen logistische Aufgaben für die Briten sollen aber auch Fahrzeuge kontrollieren, die im Auftrag der Besatzungsmacht unterwegs sind. Die CMLO stellt in erster Linie Fahrer, Arbeiter und Wachen.
In unregelmäßigen Abständen geht Oberrat Hagemeyer in seinen Anordnungen auf die Zuständigkeiten der Organisationen, deren Erkennungszeichen und auf die von den Angehörigen mitzuführenden Papiere ein. Zudem legt er dar, wie die Polizei zu verfahren hat, wenn den Beamten strafbare Handlungen zur Kenntnis gelangen oder anzeigt werden. Anlass ist eine Häufung von Diebstählen aus britischen Armeebeständen.
Briten fürchten Einsickern polnischer Soldaten
Unklarheiten scheinen in Polizeikreisen auch dahingehend zu herrschen, welche Rolle sie bei der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten zu übernehmen haben. Mitte Mai 1948 schärft Major Sadler von der Militärregierung nochmals nach. Er betont in einem Chefbefehl die „größte Wichtigkeit“, die der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten zukommt und schreibt: „Die Polizei ist am ehesten in der Lage, einen Verdacht auf Geschlechtskrankheiten festzustellen.“
Besteht Anlass für einen solchen Verdacht, so sind die betreffenden Frauen in jedem Fall beim Gesundheitsamt vorzustellen und zwar nur dort. Sadler befiehlt, von der widerrechtlichen Praxis Abstand zu nehmen, Frauen zu verhaften und einem Arzt vorzustellen. „Es ist ganz klar, dass die Polizei nicht berechtigt ist, irgendwelche Personen zu verhaften oder über sie zu verfügen, nur weil sie im Verdacht stehen, geschlechtskrank zu sein“, betont der Besatzungs-Major.
Im Juni wendet sich der britische Sicherheitsoffizier Smartt mit einem Erlass an die deutschen Polizisten. Er warnt vor der illegalen Einwanderung von Polen nach Deutschland. Von den bei Kriegsende rund 210.000 Soldaten der „Polnischen Streitkräfte im Westen“ hatten sich die Briten Ende 1947 getrennt, um sie im Polish Resettlement Cops auf das zivile Leben vorzubereiten. Doch etliche Einheiten widersetzten sich der Demobilisierung ebenso wie der Repatriierung und der Überstellung ins Resettlement-Corps.
Große Truppenteile mit tausenden polnischen Soldaten befinden sich Mitte 1948 in Frankreich. Da die Briten für sie nicht länger aufkommen, und die Franzosen sie nicht im Land haben wollen, fürchtet die britische Militärregierung in Deutschland, die Franzosen könnten die Polen animieren, in die britische Besatzungszone „einzuwandern“. Das wollen die Briten offenkundig verhindern. Sie weisen die deutsche Polizei an, jeden illegalen Einwanderer unverzüglich zu melden.
Beauftragte für die weibliche Polizei im Bezirk
Zeitgleich mit der Einführung der D-Mark Ende Juni 1948 verkündet der Stader Polizeichef die Überstellung zweier Wachtmeister der uniformierten Polizei zur neu geschaffenen Kriminalpolizeidienstelle Zeven (Fernsprechanschluss 363). Doch er hat auch wenig erbauliche Nachrichten für seine Kollegen im Bezirk: Wegen „der Durchführung der Geldneuordnung“ hat der niedersächsische Finanzminister Georg Stickrodt (CDU) für die Polizei im Land einen Einstellungsstopp verhängt. „Zur Sicherung der Währung“ verfügt der Minister ferner das Verbot, Beförderungen und Höhereinstufungen vorzunehmen.
Nicht mit dem Ziel, die Kasse des Ministers zu schonen, sondern um Dienstvergehen zu ahnden, entlässt Oberrat Hagemeyer im Juli wiederum zwei Polizisten. Einer war in Rotenburg, der andere in Osterholz eingesetzt. Im Spätsommer ernennt der Polizeichef Wachtmeisterin Irmgard Hoffmann zur Beauftragten der weiblichen Polizei im Bezirk.
Heimatgeschichte
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An sämtliche im Streifendienst eingesetzten Beamten ergeht zudem die Aufforderung, verbotene Schriften aus dem Verkehr zu ziehen: So die in der sowjetischen Besatzungszone publizierten Werke mit dem Titel „Die Truman-Doktrin und der Marshallplan“, „Sozialistische Bildungshefte“, „Thüringer Volkskalender“, „Die Männer hinter den Kulissen“ und die von Nazis unters Volk gebrachte Schrift „Neue Politik“.
Ende des Jahres weist Hagemeyer sämtliche Kollegen im Bezirk darauf hin, dass diejenigen, die bislang keinen „Kategorisierungsbescheid“ erhalten haben, nunmehr vom Entnazifizierungs-Hauptausschuss politisch überprüft werden.
Aus einem Aktenvermerk geht zudem hervor, dass die Reichsautobahn Bremen-Hamburg ausschließlich mit Kraftfahrzeugen befahren werden darf. Ausnahmegenehmigungen und Berechtigungsscheine „ausgestellt von Dienststellen der Besatzungsmacht sind nicht anzuerkennen“. Anlass zur Klarstellung gab offenbar eine Anfrage des Gyhumer Polizisten Willi Hoffmann.
Überdies setzt der Polizeichef seine Kollegen im Bezirk darüber in Kenntnis, dass der Regierungspräsident mit Wirkung zum 1. November die Sperrstunde für Gast-, Schank- und Speisewirtschaften jeder Art auf 24 Uhr festgesetzt hat. Die Wirtschaften haben bis 6 Uhr geschlossen zu bleiben. Im Falle eines Verstoßes droht dem Wirt eine Geldstrafe von 1000 Mark.

Britische Offiziere besuchen das Lager Seedorf. Die Besatzungsmacht hatte die Verantwortung für die dort untergebrachten heimatlosen Ausländer in die Hände der UNRRA gelegt. Lagerleiter war Jean Dubois (Zweiter von rechts). Foto: Museum Kloster Zeven

Nach Einführung der D-Mark am 21. Juni 1948 verfügt der niedersächsische Finanzminister Georg Stickrodt (CDU) für die Polizei im Land einen Einstellungs- und Beförderungsstopp. Foto: Karl Schnörrer