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Dr. Anas Nashef

TVermisster Junge: Autismus-Spezialist macht sich auch um Arians Eltern Gedanken

Dr. Anas Nashef (50) ist Psychologe, leitet das Autismus-Therapiezentrum Bremen/Bremerhaven/Cuxhaven und begleitet seit über 20 Jahren betroffene Kinder und ihre Familien

Dr. Anas Nashef (50) ist Psychologe, leitet das Autismus-Therapiezentrum Bremen/Bremerhaven/Cuxhaven und begleitet seit über 20 Jahren betroffene Kinder und ihre Familien Foto: Schwan

„Auch ohne Arian zu kennen, sein Verschwinden belastet, ich kann das nicht ausschalten, ich fiebere mit.“ Dr. Anas Nashef leitet das Autismus-Therapiezentrum Bremerhaven, begleitete hunderte Betroffene. „Ich gebe die Hoffnung für Arian nicht auf.“

Von Susanne Schwan Samstag, 27.04.2024, 08:12 Uhr

Bremerhaven. Was macht Dr. Anas Nashef, den erfahrenen Psychologen, dem das Begleiten autistischer Menschen seit 22 Jahren Lebensaufgabe ist, auch vier Tage seit dem Verschwinden des Kindes so optimistisch? „Arians Kreativität. Kinder mit Autismus haben die unglaubliche Fähigkeit, schützende Orte zu finden, an die kein anderer je denkt. Und in einer Notlage innere Schutzmechanismen zu entwickeln, die ihn Hunger, Durst und Kälte nicht so wahrnehmen lassen.“

Seit der kleine Arian am Montag aus dem Elternhaus verschwand, verfolgt der Geschäftsführer des Autismus-Zentrums Bremerhaven/Bremen/Cuxhaven angespannt die Nachrichten.

„Diese Geschichte bewegt uns alle“

„Natürlich bewegt diese Geschichte uns alle, das ganze Team spricht davon. Und klar schossen mir anfangs viele Gedanken durch den Kopf - es ist immer katastrophal, wenn ein Kind verschwindet, aber in Arians Falls noch mehr, durch seine Besonderheit. Ich war ein bisschen erleichtert, als dieses Foto auftauchte, das die Überwachungskamera von Arian allein aufgenommen hat.“

Seit Dienstag durchkämmen Großaufgebote an Rettungs- und Hilfskräften die gesamte Gegend um den Wohnort des Jungen, finden pfiffige „Lockmittel“ wie bunte Luftballons und Spielzeug, weil der Junge Farben liebt.

„Diese Menge an Menschen kann auf diesen Jungen sehr bedrohlich wirken“

Dass so viele Menschen suchen, sagt Nashef, sei zwar nötig, um eine Chance zu haben, Arian zu finden, hat aber eine Kehrseite.

„Diese Menge an Menschen, viele dicht beieinander, mit Geräten, dunkel gekleidet, können auf diesen Jungen, wenn er es sieht, sehr bedrohlich wirken. Darum wäre es nicht verkehrt, wenn die Kreativität auch auf die Kleidung aller Einsatzkräfte ausgedehnt würde. Buntes liebt er, also bunte helle Kleidung. Und weil er wahrscheinlich sehr reiz-empfindlich ist, sind auch laute, sich zurufende Stimmen nicht hilfreich. Besser ist leises Verständigen. Und vielleicht hat Arian besonderes Interesse an einer bestimmten Musik, einem speziellen Lied und würde darauf reagieren.“

Psychologe rät zu kleinen, leisen Suchgruppen

Er vermutet, dass Arians unter Hochspannung stehende Eltern gerade sehr unterstützt werden von Freunden und Eltern anderer autistischer Kinder, „das wäre extrem gut, denn Familien autistischer Kinder brauchen im Alltag ständig 100-prozentige Aufmerksamkeit rund um die Uhr, weil die Kinder kein Gefahrenbewusstsein haben. Das ist enorm anstrengend, auch weil sie oft auf Unverständnis der Mitwelt stoßen, sich unter Rechtfertigungsdruck fühlen, um das befremdende Verhalten ihres Kindes zu erklären“, ist Nashefs Erfahrung.

„Nur selbst betroffene Eltern verstehen Arians Eltern wirklich. Aber falls Freunde der Familie mitsuchen, oder auch andere Kinder, rate ich dazu, nicht in Gruppen loszugehen. Vielleicht gibt es einen Menschen, ein einzelnes Kind, zu dem Arian eine Verbindung hat - Autisten finden nicht so leicht Freunde und oft haben sie gar kein Bedürfnis danach. Viele Kinder zum Suchen loszuschicken, halte ich nicht für ratsam, da wird es auch zu schwierig, leise zu bleiben.“

Den vielen aufgewühlten, besorgten Eltern autistischer Kinder in Stadt und Region empfiehlt Nashef, „sich jetzt auszutauschen, sich das, was sie an Arian berührt, von der Seele zu reden.“

Wie geht es weiter, wenn Arian hoffentlich wohlbehalten gefunden wird? „Alles ist denkbar. Es muss nicht automatisch ein Trauma bei dem Kind geben. Es hängt davon ab, was für dieses spezielle Kind im Fokus steht. Vielleicht versteht Arian die ganze Aufregung nicht und empfand alles als tolles Abenteuer - mit unangenehmen Momenten drin.“

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