TVizekanzler in Scheeßel: Klingbeil will auch Kümmerer vor Ort bleiben

Lars Klingbeil kommt als Abgeordneter aus seinem Wahlkreis und nicht als Vizekanzler nach Scheeßel. „Wir bleiben beim Du“, steigt er in die politische Standortbestimmung ein. Foto: Kreib/Kreiszeitung
„Wir bleiben beim Du“, sagt Lars Klingbeil auf dem Meyerhof in Scheeßel zu den Besuchern bei seiner Sommertour. Ansonsten ist aber vieles anders, seit der SPD-Bundestagsabgeordnete auch Vizekanzler und Finanzminister der Bundesregierung ist.
Landkreis Rotenburg. „Mehr Aufwand für die Sicherheit“, beschreibt Scheeßels Ortsvereinsvorsitzender Marc Ostrowski die Vorbereitungen. Zwei schwere Audi-Limousinen fahren vor. Bevor der Vizekanzler aussteigt, werfen die Männer für Sicherheit einen Blick in die Runde. „Ich bin als Abgeordneter hier“, betont Klingbeil zum Einstieg. Was folgt, war ein Ritt durch die großen Themen von AfD-Verbot bis Ukrainekrieg, mit einigen lokalen Themenschnipseln.
Bevor es in den Dialog geht, umreißt der Vizekanzler, was bisher aus SPD-Sicht für die Bürger in der Koalition erreicht wurde: das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Investitionen, ein Rentenniveau auf garantiert 48 Prozent und der Mindestlohn von 14,60 Euro. „Da hätte ich mir auch mehr vorstellen können.“ Bei den Summen, die in die Bundeswehr fließen, „wird mir manchmal auch schwindlig“, so Klingbeil. Eine Alternative zu diesen Ausgaben gebe es nicht. „Putin will, dass wir einknicken.“
Große Politik ist die Frage nach einem AfD-Verbot: „Eindeutig eine rechtsextreme Partei“, so Klingbeil. Ein mögliches Verbotsverfahren werde vorbereitet - aber: „Nicht die Politik beschließt das AfD-Verbot, sondern die Gerichte.“ Und das sei ein Verfahren, das gut zehn bis 15 Jahre dauern könne.
Besucher wollen über Fehler der SPD reden
Einer der Fragesteller will über Fehler reden. Von der SPD und Klingbeil persönlich. An Olaf Scholz als Kanzlerkandidat festzuhalten, sei falsch gewesen. Lars Klingbeil erwidert, dass er loyal hinter Scholz gestanden und es intern unter vier Augen aber harte Gespräche gegeben habe. „Diese Inhalte gehen aber niemanden etwas an.“ Dass er bei der Wahl zum Parteivorsitzenden abgestraft worden sei, betrachte auch er als „Denkzettel“. „Das war kein schöner Tag.“ Mit Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar räumt der Vizekanzler ein, dass er „entweder einen Schritt nach vorne“ machen musste oder das Aufhören die Alternative gewesen sei. Sein gutes Ergebnis als Direktkandidat habe ihn aber motiviert: „Dann machen wir es jetzt richtig“, so die Devise nach der Wahl. Und die Koalitionsverhandlungen mit der Union „haben kein schlechtes Ergebnis gebracht“. Mehrfach erinnert Klingbeil daran, dass die SPD ein Ergebnis von 16,4 Prozent eingefahren habe und damit nicht sozialdemokratische Maximalforderungen in der Koalition durchzusetzen seien. Ein Beispiel dafür sei die Abschaffung des Paragrafen 218, wonach eine Besucherin fragt. Es sei unerträglich, dass ein Schwangerschaftsabbruch noch unter das Strafrecht falle. Mit der CDU habe das die SPD nicht geschafft.

Das ist anders als bei der Sommertour 2024: Als Vizekanzler kommt Lars Klingbeil nur noch mit Personenschutz. Foto: Kreib/Kreiszeitung
Ins Lokale und Regionale geht es bei den Plänen der Bahn, in Niedersachsen eventuell eine ICE-Neubaustrecke zwischen Hannover und Hamburg zu bauen. Diese Pläne würden die bereits grob skizzierte Alpha-E-Trasse als Nachfolgerin der Y-Trasse in die Schublade verfrachten. Bothels Samtgemeindebürgermeister Dirk Eberle ließ an den neuen Bahnplänen kein gutes Haar. Darüber werde noch zu reden sein, so Klingbeil.
Umgehung für Scheeßel angesprochen
Ganz lokal ist auch eine Frage nach der Scheeßeler B 75-Umgehung. Die ist seit Jahrzehnten ein Thema und von der Umsetzung meilenweit entfernt, trotz begonnener Planung. „Das Geld ist da“, sagte Klingbeil. Nach wie vor befinde sich das Vorhaben im sogenannten vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrsministeriums. Der Finanzminister und Vizekanzler ist im Thema: „Es hapert für die Umsetzung am Personal in der Landesbehörde für Verkehr in Nienburg.“
Eine Zuhörerin will wissen, wie Klingbeil den Zwist in Rotenburg ums Aufhängen der Regenbogenfahne betrachtet. Die soll nämlich nicht am Rathaus der Kreisstadt hängen. „Am Finanzministerium hängt sie“, antwortet Lars Klingbeil. „Ein Zeichen für ein eindeutiges Ja zum queeren Leben in Deutschland.“ Trotz dieses klaren Bekenntnisses warnt der Politiker davor, sich tief in kulturpolitische Kämpfe zu verstricken. Dann bestehe die Gefahr, dass andere und in seinen Augen gesellschaftspolitisch wichtigere Themen in den Hintergrund zu rücken drohen.
Hoffnung und Psychologie
Neue Regierung - gute Stimmung im Land?
Dass Lars Klingbeil als SPD-Abgeordneter aus seinem Wahlkreis und nicht als Vizekanzler nach Scheeßel gekommen ist, macht er auch deutlich, als eine Scheeßelerin darüber klagt, dass es für sie faktisch unmöglich sei, ans schnelle Glasfasernetz angeschlossen zu werden. „Nicht einmal auf eigene Kosten.“ Die Mail an ihn habe er zwar noch nicht gelesen, so Klingbeil, er werde sich aber um das Problem kümmern. Der Vizekanzler, auch das wird deutlich, will der Kümmerer vor Ort bleiben. Wobei der hiesige Abgeordnete eben auch der Finanzminister ist. Während der jüngsten Haushaltsdebatte im Bundestag habe sein Team vieles andere von ihm ferngehalten.