Zähl Pixel
Behandlungsfehler

TVom Arzt falsch behandelt? Was Sie jetzt unbedingt beachten müssen

Was kann ich tun, wenn ich mich vom Arzt falsch behandelt fühle? Patientenanwalt Dr. Peter Gellner gibt Tipss. (Symbolbild)

Was kann ich tun, wenn ich mich vom Arzt falsch behandelt fühle? Patientenanwalt Dr. Peter Gellner gibt Tipss. (Symbolbild) Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Krebs nicht erkannt, Medikament falsch verabreicht: Die Anzahl der Behandlungsfehler steigt in Niedersachsen und Hamburg. Patientenanwalt Peter Gellner spricht über die schlimmsten Fällen. Das rät er für den Ernstfall.

Von Denise von der Ahé Montag, 09.06.2025, 05:50 Uhr

Bremerhaven. Gerade meldete die Techniker Krankenkasse, dass die Zahl der gemeldeten Behandlungsfehler im Land Bremen zugenommen hat. Patientenanwalt Dr. Peter Gellner, bekannt aus dem Podcast „Tatort Krankenhaus“, gibt Tipps, wie sich Patienten wehren können.

Gemeinsam mit Radiomoderatorin Tanina Rottmann hat der aus dem TV bekannte Rechtsanwalt das Buch „Wenn Ärzte Fehler machen“ geschrieben. Dort schildern die Autoren echte Fälle ärztlicher Kunstfehler und geben wertvolle Tipps aus der Insiderperspektive.

In Ihrem Buch schildern Sie den Fall eines Patienten, der sich die Augen lasern wollte, um besser zu sehen. Das Gegenteil kam heraus. Was ist schiefgelaufen?

Als der junge Mann in den Wartesaal der Praxis eines Institutes kam, saßen dort bereits über 100 Patienten, die alle noch an dem Tag operiert werden sollten. Das war Augenlasern im Akkord. Er musste sieben Stunden warten, bis er dran kam. In der Zwischenzeit wurden etliche Patienten mit Bussen in 150 Kilometer entfernte Filialen gebracht, weil schon absehbar war, dass nicht alle an einem Ort operiert werden können.

Die spezielle Operationsmethode Lasik hat bei meinem Mandanten nicht funktioniert. Daher schwenkten die Ärzte auf eine andere Operationsmethode um. Die hat man ihm aber nicht weiter erläutert, sondern beim Unterzeichnen des Aufklärungsbogens die Hand geführt. Er selbst konnte da aufgrund von Augentropfen schon nicht mehr lesen. Auch die andere Operationsmethode hat nicht richtig geklappt, und sein Sehvermögen war nachher schlechter als vorher. Jetzt trägt er eine sehr starke Brille.

Wie ist die Sache ausgegangen?

Am Ende kam es während des Prozesses zu einem Vergleich. Das Institut, das später in Insolvenz gegangen ist, hat Schadensersatz in Höhe von 50.000 Euro gezahlt. Zu Recht, denn das war Abzocke auf Kosten der Gesundheit und auf Kosten derjenigen, die Augenlasern seriös anbieten.

In fast 30 Berufsjahren landeten mehr als 10.000 Fälle von Behandlungsfehlern allein auf Ihrem Schreibtisch – in der Kanzlei noch viele mehr. Welcher Fall hat Sie am meisten berührt?

Der Mandant hatte Leukämie. Eine langwierige Chemotherapie hatte er überstanden und war krebsfrei. Zum Abschluss bekam er im Krankenhaus noch einmal eine medikamentöse Behandlung. Das Medikament wurde aber falsch verabreicht. Es hätte in die Vene gespritzt werden müssen, aber es wurde in den Liquorraum gegeben. Spülungen im Nachgang haben ihm nicht mehr helfen können.

Patientenanwalt Peter Gellner greift im Podcast „Tatort Krankenhaus“ echte Behandlungsfehler auf.

Patientenanwalt Peter Gellner greift im Podcast „Tatort Krankenhaus“ echte Behandlungsfehler auf. Foto: privat

Die Ärzte haben der Tochter gesagt, dass er im günstigsten Fall zum Pflegefall werden würde. Sehr wahrscheinlich werde er aber daran sterben. Zwei Monate später ist es dann auch so gekommen. Er starb nicht an seinem Krebs, sondern an dieser Fehlverabreichung des Medikaments. Das macht es so besonders bitter.

Wer hatte Schuld?

Es gibt ein Strafverfahren, in dem eine Ärztin und eine Krankenschwester wegen fahrlässiger Tötung angeklagt worden sind. Das Verfahren läuft noch. Zivilrechtlich konnten wir eine kleine Entschädigung für die Hinterbliebenen erreichen. Der Tod ist schlecht bezahlt. Wer zum langjährigen Pflegefall wird, bekommt mehr Schmerzensgeld.

Welche Behandlungsfehler passieren am häufigsten?

Bei uns in der Kanzlei führen wir ein kleines Ranking. Danach kommen die häufigsten Fehler in der Chirurgie vor. Am meisten ist die Hüfte betroffen, wenn die Prothese zum Beispiel im falschen Winkel eingesetzt wurde. Es gibt sehr viele Operationen im Hüftbereich, daher gibt es auch viele Fehlervorwürfe.

Häufig kommen bei uns auch Fälle vor, in denen Brustkrebs übersehen wurde. Es gibt nicht immer die Sorgfalt, die man sich als Patient wünscht.

Hinzu kommt, dass es sehr vereinzelt in einigen Praxen leider noch veraltete Geräte gibt. In einem Fall ging es um Magenkrebs. Da sagte der Gutachter, dass es denselben Effekt gehabt hätte, wenn der Arzt von außen mit einer Lupe geschaut hätte. Das wäre genauso gut gewesen wie das Instrument aus den 1970er Jahren. Zum Glück ist so etwas selten.

Was raten Sie Patienten, wenn Sie den Verdacht auf einen Behandlungsfehler haben? Vermutlich steht oft Aussage gegen Aussage …

Das Wichtigste ist zu erkennen, dass die Erinnerung verblasst. Wenn man daher die Vermutung hat, dass etwas falsch gelaufen ist, sollte man frühzeitig anfangen, Protokoll zu führen. Am besten notiert man sich schon im Krankenhaus die Namen der Zimmernachbarn oder anderer Zeugen.

Wenn man erst einmal entlassen ist, kommt man an die Daten nicht mehr so ohne Weiteres heran. Da beginnt die Vorbereitung einer guten rechtlichen Auseinandersetzung.

Wie sind die Erfolgsaussichten?

Die Lobby der Mediziner ist immer noch eine größere und stärkere als die der Patienten. Das wird sich auch nicht so schnell ändern. Patienten haben es immer noch schwerer, Behandlungsfehler nachzuweisen, als es Ärzte haben, sich zu entlasten. So ist unser Rechtssystem ausgestaltet. Die Beweislast liegt im Regelfall beim Patienten. Aber es ist nicht mehr so, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

Das galt vor 20 Jahren noch als Leitspruch, und dann haben die Ärzte aus falsch verstandener Kollegialität oder Korpsgeist viel häufiger Gefälligkeitsgutachten erstellt. Das hat deutlich abgenommen, und Patienten sind mündiger geworden. Sie gehen dem Ganzen mehr nach, und das ist auch gut so. Es muss ja nicht immer ein Fehler sein, aber man sollte den Verdacht überprüfen lassen. Dann hat man für sich selbst Gewissheit geschaffen.

Wenn ich alles dokumentiert habe, wende ich mich dann am besten direkt an die Schlichtungsstelle der Ärztekammer?

Nein, dazu würde ich nicht raten. Mein Ratschlag wäre: Bevor man irgendetwas unternimmt, sollte man erst einmal zum Fachanwalt für Medizinrecht mit Schwerpunkt Arzthaftungsrecht gehen. Dann entgeht man dem Risiko, etwas Falsches in die Wege zu leiten. Die Erstberatung bei Patientenanwälten ist in vielen Fällen kostenfrei.

Und wenn sie nicht kostenfrei ist, ist sie auf 190 Euro plus Mehrwertsteuer gedeckelt. Mehr darf die Erstberatung beim Anwalt nicht kosten. Wer das Geld nicht aufbringen kann, hat in vielen Bundesländern die Möglichkeit, beim Amtsgericht Beratungshilfe zu beantragen. Im Land Bremen ist es so geregelt, dass die Arbeitnehmerkammer eine öffentliche Rechtsberatung anbietet.

Wie gehen Ärzte mit Behandlungsfehlern um?

Es lässt Ärzte nicht kalt, wenn Fehler passieren. Kaum ein Arzt macht so etwas vorsätzlich. Das sind wirklich Ausnahmen. Aber manchmal ist das Handeln fahrlässig. Es kommt vor, dass sich Mediziner nach einem Fehler, der ihnen leidtut, wünschen, dass ihre Versicherung Schadensersatz zahlt.

Aber die Entscheidungshoheit liegt bei den Versicherungen. Und die sagen oft, es ist mir egal, ob du regulieren willst. Wir lassen es darauf ankommen und nehmen eine Klage in Kauf. Ein großes Problem sind auch die zunehmenden Insolvenzen von Krankenhausträgern.

Inwiefern?

Es kommt mittlerweile gehäuft vor, dass es mitten in einem Verfahren auf einmal heißt, dass der Krankenhausträger Insolvenz anmelden musste. Im Insolvenzverfahren bekommt man, wenn man Glück hat, eine geringe Quote von dem, was man geltend gemacht hat, oder im Regelfall gar nichts.

Krankenhausärzte sind daher gut beraten, auch selbst versichert zu sein. Denn wenn der Krankenhausträger pleite ist, können sie selbst finanziell in Anspruch genommen werden. Wer als Krankenhausarzt keine eigene Versicherung hat, läuft Gefahr, in diesem Fall nachher aus eigener Tasche zu zahlen.

Weitere Artikel