TVon Autoteilen bis Babyköpfe: Ein Dollerner brennt für den 3D-Druck

Mit der Zange entfernt Mirco Schulz die nicht mehr benötigten Stützstrukturen. Foto: Buchmann
Der Dollerner Programmierer Mirco Schulz hat sich auf das 3D-Drucken spezialisiert und druckt dort fast alles. Ein Blick in seine Manufaktur.
Dollern. Die Kästen im Obergeschoss der Wellblechhalle surren und rattern munter durcheinander. Welcher Kasten welches Geräusch verursacht, ist unmöglich festzustellen. Das Kastenkonzert wirkt trotz des Durcheinanders irgendwie beruhigend, geschäftig, kontrolliert. Die Musiker stehen auf den Schwerlasttischen aufgereiht, oranger Kunststoff neben blankem Stahl; kein Mensch weit und breit zu sehen. Dann zerreißt ein schrilles Pfeifen die Symphonie - und Mirco Schulz muss eingreifen.

Mirco Schulz mit seinem Mini-Ich in der Hand. Foto: Buchmann
Mirco Schulz ist ein versierter Geschäftsmann. Beim Erklären bleibt er stets gelassen, legt sich seine nächsten Worte durchdacht zurecht. Immer ein dezentes Lächeln auf den Lippen, ein beiläufiger Witz ab und an. Ein sympathischer Typ eben. Im Unternehmen seines Vaters hatte der 42-Jährige NC-Programmieren gelernt. ProTec fertigte seit 1984 Bauteile für Flugzeuge, Schulz programmierte später die Software für die Maschinen.
Reinigen im Laugebad
2015 hatte Schulz die Buxtehuder Firma übernommen, am 30. Juni 2021 war jedoch Schluss: Corona. Während der Pandemie brach der Flugzeugbau ein, Hersteller verlagerten ihre Aufträge in Niedriglohnländer. Doch in der Firma seines Vaters setzte Schulz bereits den Grundstein für seine nächste Geschäftsidee: den 3D-Druck.

Die Reinigungsstation schlägt Alarm, Mirco Schulz muss eingreifen. Foto: Buchmann
Mirco Schulz drückt ein paar Knöpfe an dem pfeifenden grauen Kasten und steckt ein Stück Gartenschlauch in einen Plastikkanister. Die Lauge ist zu hoch angestiegen, sagt Schulz. Der Apparat ist eine Reinigungsstation für sogenannte FDM-Drucke, also schichtweise aufgetragene thermoplastische Kunststoffe. Druckteile aus dem FDM-Verfahren sind sehr verbreitet, die meisten privaten 3D-Druckereien arbeiten ebenfalls mit den geschichteten Kunststoffen.
„Mirco, deine Kiste piepst wieder!“
Das Laugebad hilft, um die Druckteile zu reinigen, erklärt Schulz. Um einen 3D-Druck zu erstellen, braucht es immer sogenannte Stützstrukturen. Kleine, dünne Stäbchen, die verhindern, dass der Druck in sich zusammenfällt. Ist der Druck fertig, werden sie nicht mehr benötigt. Normalerweise müsste er die Stäbchen mit der Zange abknipsen.
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Die Lauge spart hier Zeit. Die Stäbchen bestehen nämlich zum Teil aus Maisstärke, die sich in der Lauge ablöst. Steigt die Lauge jedoch stark an, löst die Station einen pfeifenden Alarm aus.

Ein Blick durch die Werkstatt. Foto: Buchmann
Die 3D-Druckerei von Mirco Schulz ist im Obergeschoss einer Oldtimer-Werkstatt im Dollerner Industriegebiet. Überall stehen kantige Vasen in knalligen Metallic-Farben, auf einer Glasvitrine steht eine Bugs Bunny-Figur mit nerdiger Rahmenbrille und lila Hoody zwischen dem Helm von Iron Man und einem giftgrünen Totenschädel.

Dekorative Drucke sind besonders beliebt. Foto: Buchmann
Die Teile lässt Schulz teils über Nacht von den Maschinen drucken und reinigen. Druckaufträge wie komplexe Autoteile brauchen nämlich mehrere Stunden. „Wenn ich dann morgens in die Firma komme, sagen die Mechaniker manchmal: Mirco, deine Kiste piepst wieder!“, sagt Schulz und lacht.
Druckerpatronen so groß wie Kinofilmrollen
Acht Druckanlagen im Wert von über 150.000 Euro hat Schulz im Obergeschoss der Werkstatt stehen. Eine Anlage auf einem der Schwerlasttische erinnert an eine überdimensionierte Mikrowelle. Beim Öffnen der verglasten Tür strömt ein beißender Geruch aus dem Inneren: Ammoniak, der ist den Reinigungsmitteln zugesetzt.

Ein Teil der Druckanlagen steht direkt nebeneinander. Foto: Buchmann
Daneben stehen drei kleinere, ähnlich Plattenspielern, mit hohen, orangenen Kunststoffdeckeln. Die drei Kleinen kommen für Flüssigdrucke zum Einsatz, bei denen eine Druckplatte in Resin genanntes Harz eintaucht. Mit kurzen, grünen UV-Lichtblitzen erstarrt das Harz und baut so Schicht für Schicht das gewünschte Produkt auf.

Schicht für Schicht entsteht hier eine Schaltkonsole für Traktoren. Foto: Buchmann
Ein mannshoher Apparat steht an der Seitenwand. Dort entsteht gerade eine Schaltkonsole für Traktoren, fünf fertige liegen bereits nebeneinander gereiht auf einem Tisch. Mirco Schulz zieht eine Schublade unter dem Apparat auf, in dem drei große Spulen mit aufgewickeltem Kunststoff wie Druckerpatronen liegen - allerdings so groß wie alte Kinofilmrollen. Etwa 70 verschiedene Druckmaterialien hat Mirco Schulz für jeden Bedarf auf Lager - ob mit UV-Schutz lackiert für Außeneinsätze oder mit Kohlefasern verstärkt, um starke Lasten auszuhalten.
Jeder Druck entsteht am Computer
Über die Jahre hat sich der gelernte Programmierer mit Geduld in die Betriebssysteme der Drucker eingearbeitet, jeder Hersteller benutzt nämlich sein eigenes. Um etwas zu drucken, muss es vorher am Computer modelliert werden. Während die Maschinen wieder surrend vor sich hindrucken, modelliert Schulz gerade ein Kunststoffgitter für eine Autolüftung.

Mit speziellen Softwares entwirft Mirco Schulz 3D-Modelle der späteren Druckprodukte. Foto: Buchmann
Mithilfe der Software kann er genau sehen, an welchen Stellen am und im Gitter später die millimeter dünnen Stützstäbchen gedruckt werden. Manche Kunden schicken ihm vorab schon Skizzen oder sogar Modelle zu, mit denen Schulz arbeiten kann. Dank eines speziellen Scanners kann er in seiner kleinen 3D-Manufaktur sogar Originalteile einscannen und nachbauen.

Sonderanfertigungen für Fahrzeuge sind sehr gefragt. Foto: Buchmann
Gemeinsam mit seinem kleinen Team kann Mirco Schulz fast alles drucken, von Autotür-Verkleidungen bis zu münzgroßen Zahnrädern. Sogar sich selbst hat Schulz schon mehrfach gedruckt, sein kleinstes Ich passt bequem in seine Handfläche.
3D-Druck als Mittel gegen die Wegwerfmentalität
Neben Ersatzteilen für Oldtimer sind aktuell Sonderanfertigungen für Camping-Fahrzeuge hoch im Kurs wie beispielsweise Halter für Fernbedienungen oder Zierleisten.
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Manchmal erreichen Schulz auch ungewöhnliche Aufträge. Einmal sollte er einen realistischen Babykopf drucken, erinnert sich Schulz. Doch wofür braucht jemand einen Babykopf? Die Lösung: Ein Hersteller für Schnuller, der mithilfe des Babykopfes die Passformen kontrollieren wollte.

Von großen Spulen zieht eine der großen Anlagen ihr Druckmaterial. Foto: Buchmann
Mirco Schulz bekennt sich als Gegner der aktuellen Wegwerfmentalität. Häufig seien es einfache Ersatzteile, die einen Computer oder einen Küchengerät vor dem Elektroschrott bewahren könnten. Durch den 3D-Druck gäbe es inzwischen Möglichkeiten, auch ältere Geräte wieder zu reparieren. Bekommt er Anfragen für jüngere Geräte, sucht Schulz zunächst nach Originalteilen.

Mit UV-Licht härtet das flüssige Harz aus. Foto: Buchmann
„Meist sind die noch günstiger als wenn wir sie einscannen oder neu modellieren müssen“, sagt Schulz. Der 3D-Druck sei die Zukunft und werde langfristig teure Gusswerkzeuge ersetzen. Ein Paradebeispiel lieferte 2018 der französische Autohersteller Bugatti: Einen 2,9 Kilogramm schweren 8-Kolben-Monoblock-Bremssattel aus Titan, komplett entstanden im 3D-Drucker.
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