TVor einem Jahr begannen die Bauernproteste: Kann das wieder losgehen?

Vor ziemlich genau einem Jahr begannen die Bauernproteste. Was ist davon geblieben? Und könnte es sein, dass in diesem Winter wieder die Trecker rollen? Foto: Sommer
Vor einem Jahr begannen die Bauern, mit Protesten ihrem Frust Luft zu machen. Auslöser war der Agrardiesel. Es ging um mehr. Jetzt ist wieder Winter. Geht es wieder los?
Cuxland. An den Treckern hingen Plakate wie „Stirbt der Bauer, stirbt das Land“ oder „Ohne Landwirte wärt Ihr hungrig, nackt, nüchtern“. Mitte Dezember 2023 rollten die ersten Trecker. Im Cuxland blockierten sie den Wesertunnel. Die Bauern gingen gegen die Sparpläne der Bundesregierung auf die Straße.
Mit massiven Mitteln. Der Grund: Die Ampel-Koalition in Berlin wollte die Kfz-Steuerbefreiung und die Vergünstigungen beim Agrardiesel streichen. Dem Diesel, mit dem die Bauern ihre Trecker betanken und auf die Äcker fahren. Doch eigentlich ging es um viel mehr. Um zu viel Bürokratie und zu hohe Umweltauflagen, um billige Agrar-Importe und teure Pachtpreise. Vor allem aber um eines – um fehlende Anerkennung.
„Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft“
Die Bauern blockierten Autobahnen und Hafen-Tore, zündeten Strohballen an und legten mit ihren Aktionen ganze Regionen lahm. Auf einer Großkundgebung Anfang Januar in Berlin macht Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied den Ernst der Lage bei seinem Berufsstand deutlich: „Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft in Deutschland.“

„Wir sind frustriert,“ sagt LsV-Sprecher Horst Meyer. Die Bauern hätten im letzten Winter so viel auf die Beine gestellt - und passiert sei genau nichts. Foto: Hartmann
Die Proteste waren laut, massiv und zogen sich über Wochen hin. Teilweise überschritten sie Grenzen. An manchen Treckern baumelten Galgen mit Ampel-Symbolen, in Bremerhaven leitete die Polizei nach aggressiven Hafen-Blockaden Ermittlungen ein, vor dem NZ-Druckzentrum luden Protestierer Mist ab.
In Nordfriesland verhinderten wütende Bauern, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach einem Urlaub aufs Festland zurückkehren konnte. Der Bauernverband distanzierte sich klar und sprach von einem No-Go.
Bauernpräsident: „Wir haben das Land gerockt“
Ein paar Monate später aber zeigte sich Bauernpräsident Rukwied vor allem zufrieden mit dem Bauernaufstand. „Es war großartig“, rief er seinen Kollegen laut Süddeutscher Zeitung auf dem Bauerntag in Cottbus zu, „wir haben das Land gerockt“.
Tatsächlich ist die Politik nach den Protesten zurückgerudert. Die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung war sofort wieder vom Tisch. Beim Agrardiesel blieb Berlin im Kern hart. Aber die Steuervergünstigung wird jetzt schrittweise gestrichen.

„Wenn wir unsere europäischen Kollegen nicht gehabt hätten, hätten wir mit unseren Protesten gar nichts erreicht“, glaubt Sven von Glahn, einer der Organisatoren der Bauernproteste im vergangenen Winter. Foto: Hansen
Vor allem in Brüssel hat man auf die Bauernproteste, die nicht nur in Deutschland stattfanden, reagiert. Die Vorgabe, jedes Jahr vier Prozent der Flächen zugunsten der Natur stillzulegen, wurde ausgesetzt, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zog ihre geplanten Einschränkungen beim Pestizid-Einsatz zurück. Auch die Ampel-Koalition - vielen Bauern ein besonderer Dorn im Auge - beschloss ein Entlastungspaket für die Landwirte, unter anderem mit steuerlichen Erleichterungen.
„Die Situation auf den Höfen hat sich nicht verbessert“
Trotzdem sagt Horst Meyer, Sprecher der Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“ (LsF): „Die Situation auf den Höfen hat sich nicht verbessert.“ Im Gegenteil: „Eigentlich haben wir wieder Anlass, auf die Barrikaden zu gehen“, sagt der Landwirt aus Bokel. Der Grund: Das Freihandelsabkommen Mercosur, das Brüssel mit fünf südamerikanischen Staaten abschließen will. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat es gerade unterzeichnet.
Horst Meyer und viele andere Landwirte fürchten, dass bald billiges Rindfleisch und billiges Getreide, das europäischen Umweltstandards nicht standhält, auf den EU-Markt schwemmt. „Wir brauchen dringend Nachverhandlungen“, fordert Meyer. Sonst würden die EU-Bauern in einen gnadenlosen Preiskampf gezwungen, den sie nur verlieren könnten. „In Frankreich rollen die Trecker schon. Da könnte etwas aufflammen“, sagt er.
„Auf den Höfen ist kaum etwas angekommen“
Sven von Glahn sieht das ähnlich. Der Milchbauer aus Debstedt zählte im vergangenen Winter zu den Organisatoren der Demos. Da waren nämlich weder der LSV und schon gar nicht das Landvolk federführend. Die Aktionen wurden dezentral geplant, von Bauern, die sich in WhatsApp-Gruppen zusammengetan hatten. „Wenn wir unsere europäischen Kollegen nicht gehabt hätten, hätten wir mit unseren Protesten gar nichts erreicht“, sagt von Glahn. Denn von dem Entlastungspaket sei auf den Höfen kaum etwas angekommen. Stattdessen werden viele Betriebe ab Januar bei der Umsatzsteuer schlechter gestellt.
Und warum sind die Bauern nicht wieder auf den Barrikaden? Horst Meyer zuckt die Schultern. „Wir sind frustriert“, sagt er. „Wir haben so viel auf die Beine gestellt, wir haben von der Bevölkerung viel Zuspruch erfahren – und geändert hat sich genau nichts. Das motiviert nicht gerade.“
Landvolk-Vorsitzender Jan Heusmann sieht das anders. „Monetär“, da stimmt er seinen Kollegen zu, hätten die Bauernproteste nicht viel gebracht. „Da bleibt nur das grüne Nummernschild.“ Aber er komme gerade von der Mitgliederversammlung des niedersächsischen Landvolk, auf der Ministerpräsident Weil zu Gast war. „Die Bauernproteste sind alles andere als vergessen.“ Die Demos hätten bei der Politik einen bleibenden Eindruck hinterlassen - und die Bereitschaft, beim Thema Bürokratie endlich gegenzusteuern. „Weil hat gesagt, dass wir da ein Umdenken brauchen.“ Und das macht Heusmann Hoffnung. Die Demos seien der Anstoß gewesen, „dass sich das Denken verändert.“