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Zeitgeschichte

TVor mehr als 20 Jahren: Wie die Hochschule in Buxtehude gerettet wurde

Im September 2003 stand die Fachhochschule Buxtehude im Zeichen des Protests. Die Landesregierung beabsichtigte, sie zu schließen.

Im September 2003 stand die Fachhochschule Buxtehude im Zeichen des Protests. Die Landesregierung beabsichtigte, sie zu schließen. Foto: Hochschule 21

In diesem Jahr feiert die Hochschule in Buxtehude zwei runde Geburtstage. Dazu wäre es beinahe nicht gekommen. Proteste und Strippenzieher verhinderten die Schließung. Das ist die fesselnde Geschichte dazu.

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Von Thomas Sulzyc
Freitag, 25.04.2025, 18:00 Uhr

Buxtehude. Wenn Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) am Donnerstag, 5. Juni, die Hochschule 21 in Buxtehude besuchen wird, erwartet ihn ein harmonischer Empfang. Mit einem Festakt für geladene Gäste feiert die Hochschule an diesem Tag gleich zwei runde Geburtstage: Der Hochschulstandort Buxtehude, ursprünglich eine Bautechnikerschule, existiert in diesem Jahr seit 150 Jahren, die private Hochschule 21 seit 20 Jahren.

Beinahe hätte die Buxtehuder Hochschultradition allerdings ein jähes Ende gefunden. Denn die Stadt drohte von der Landkarte der Universitäten und Hochschulen in Niedersachsen gestrichen zu werden. 2003 beabsichtigte die CDU/FDP-Landesregierung, die damals staatliche Fachhochschule Nordostniedersachsen zu schließen. Das Jubiläumsjahr 2025 bietet Anlass, daran zu erinnern.

Prominente Politiker sind beteiligt

Enormer Protest formierte sich damals in der Region. Unternehmer und Politiker solidarisierten sich mit der Fachhochschule, die Architekten und Bauingenieure ausbildete. Protest gab es auch an anderen gefährdeten Hochschulstandorten im Land.

Politische Einflussnahme und Verflechtungen der handelnden Akteure gestalteten den Überlebenskampf in Buxtehude so besonders - und am Ende erfolgreich. Beteiligte waren der damalige Ministerpräsident und spätere Bundespräsident Christian Wulff (CDU), der damalige niedersächsische CDU-Fraktionschef und spätere Ministerpräsident David McAllister - und mittendrin der damalige TAGEBLATT-Chefredakteur Wolfgang Stephan. Er fuhr eine Kampagne zur Rettung der Hochschule.

Der damalige Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) spricht am 29. September 2003 vor 700 protestierenden Studenten und Bürgern an der Fachhochschule Buxtehude.

Der damalige Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) spricht am 29. September 2003 vor 700 protestierenden Studenten und Bürgern an der Fachhochschule Buxtehude. Foto: Stephan

In einem offenen Brief im TAGEBLATT wandte sich Wolfgang Stephan am 29. September 2003 an Ministerpräsident Wulff, der an diesem Tag Buxtehude besuchte. „Die Entscheidung im Ministerium war offenbar ein Schnellschuss ohne fachliche Begründung. Das kann nicht Ihr Stil sein“, schrieb er. Kritisierend und gleichzeitig umschmeichelnd.

700 Studenten und Unterstützer demonstrierten an jenem 29. September vor der Fachhochschule. Wulff sprach mit einem Megafon zu ihnen. 30 Lastwagen und Radlader blockierten den Verkehr auf der Harburger Straße.

Darum verdient das Land kein Geld mit dem Verkauf

Mit einer strikten Sparpolitik wollte die neu gebildete CDU/FDP-Landesregierung damals eine Pleite des Landes abwehren - deshalb die beabsichtigte Schließung mehrerer Fachhochschulstandorte. Doch die Regierung lag falsch mit der Idee, mit dem Verkauf der Hochschulimmobilie Geld einnehmen zu können. In einem Vertrag ist geregelt, dass die Liegenschaft bei Schließung der Fachhochschule an die Stadt Buxtehude fällt.

Eine Flut von Postkarten mit dieser Information und anderen Fakten über die Buxtehuder Fachhochschule erreichte alle niedersächsischen Parlamentsabgeordneten. Am Ende seien es rund 10.000 Postkarten gewesen, sagt Dr. Martin Betzler. Zusammen mit dem Studenten Torsten Silze hatte der Architekturprofessor die Postkartenkampagne betrieben. Betzler wurde 2007 Präsident der Hochschule 21 und blieb es bis 2014. Noch heute lehrt der 62-Jährige dort.

Martin Betzler zeigt Karten zum Protest gegen die Schließung der Fachhochschule. Als Professor für Architektur hatte er die Aktion zusammen mit dem Studenten Torsten Silze organisiert.

Martin Betzler zeigt Karten zum Protest gegen die Schließung der Fachhochschule. Als Professor für Architektur hatte er die Aktion zusammen mit dem Studenten Torsten Silze organisiert. Foto: Sulzyc

Absender der Postkarten waren meist sympathisierende Unternehmer. Ziel der Kampagne sei gewesen, die Fachhochschule ins Bewusstsein zu bringen. „Wir hatten ein politisches Problem, weil aus unserer Region kein Minister kam“, sagt Betzler.

Die CDU dagegen sah die Region so gut wie nie in der Landeshauptstadt Hannover repräsentiert. Der CDU-Fraktionsvorsitzende David McAllister aus Bad Bederkesa und der Landwirtschaftsminister Heiner Ehlen aus Sittensen seien ihre einflussreichen Vertreter. Das hatten die beiden CDU-Landtagsabgeordneten aus dem Landkreis Stade, Helmut Dammann-Tamke und Karten Behr, nach dem Wahlsieg im TAGEBLATT betont. Das war kurz bevor die Landesregierung öffentlich machte, die Fachhochschule in Buxtehude schließen zu wollen.

Das Foto aus dem Oktober 2003 zeigt den damaligen niedersächsischen CDU-Fraktionsvorsitzenden David McAllister (Mitte) und die beiden CDU-Landtagsabgeordneten Helmut Dammann-Tamke (links) und Karsten Behr mit den TAGEBLATT-Sonderseiten zur Rettung der Fachhochschule in Buxtehude.

Das Foto aus dem Oktober 2003 zeigt den damaligen niedersächsischen CDU-Fraktionsvorsitzenden David McAllister (Mitte) und die beiden CDU-Landtagsabgeordneten Helmut Dammann-Tamke (links) und Karsten Behr mit den TAGEBLATT-Sonderseiten zur Rettung der Fachhochschule in Buxtehude. Foto: Archiv

Auch McAllister habe ihm gegenüber betont, die Region sei so gut wie nie in Hannover vertreten, erinnert sich Wolfgang Stephan. Im TAGEBLATT habe er dem CDU-Fraktionsvorsitzenden das Zitat genüsslich unter die Nase gerieben. McAllisters Glaubwürdigkeit und Ruf hätten erheblichen Schaden genommen, würde die Fachhochschule in Buxtehude geschlossen.

Der damals bereits wichtige und einflussreiche CDU-Politiker wurde zum Strippenzieher, den Beschluss zur Schließung des Hochschulstandortes Buxtehude rückgängig zu machen. Betzler erinnert sich, dass McAllister eines der sogenannten Retter-Sweatshirts, das Sympathisanten der Hochschule trugen, besessen habe.

Ein sogenannter harter Kern nahm politisch Einfluss. Die damaligen Dekane Dr. Albrecht Beyer und Henning Hoins zählten dazu, Buxtehudes Bürgermeister Jürgen Badur, der Bauunternehmer Andreas Viebrock und die einflussreiche FDP-Politikerin und einstige Bundestagsabgeordnete Lisa Peters aus Buxtehude. Der damalige niedersächsische FDP-Generalsekretär und spätere Bundesgesundheitsminister und Vizekanzler Philipp Rösler gilt als ihr politischer Zögling. Und immer mittendrin Wolfgang Stephan.

Wie im Film: Geheimes Treffen an der Autobahn

Bei einem konspirativen Treffen gegen 23 Uhr auf der Autobahnraststätte Allertal-Ost mit dem damaligen FDP-Wirtschaftsminister Walter Hirche sei der Grundstein zur Rettung des Hochschulstandortes Buxtehude gelegt worden. Geheim, weil der Minister auf keinen Fall mit den Buxtehuder Aktivisten gesehen werden wollte. Mit dabei: Lisa Peters und Wolfgang Stephan. Erstmals sei der Gedanke einer privaten Hochschule ins Gespräch gekommen. Hirche habe das Projekt dann in Regierung und Parlament vorangetrieben, sagt Wolfgang Stephan.

Auch Beyer, späterer Gründungspräsident der Hochschule 21, habe früh erkannt, dass nur die Gründung einer privaten Hochschule den Hochschulstandort Buxtehude retten könne, sagt Betzler. Mit dualen Studiengängen, was damals in Norddeutschland ein seltenes Modell gewesen sei. Dual bedeutet ein Hochschulstudium mit Praxiseinsätzen der Studenten in Unternehmen.

Albrecht Beyer, Gründungspräsident der Hochschule 21.

Albrecht Beyer, Gründungspräsident der Hochschule 21. Foto: Archiv

Was hat am Ende den Hochschulstandort Buxtehude gerettet? „Es war eine rein politische Auseinandersetzung“, sagt Wolfgang Stephan. In einer konzertierten Aktion aus regionaler Politik und Wirtschaft sei es gelungen, die Schließung abzuwenden, bewertete Henning Hoins das Geschehen gegenüber dem TAGEBLATT.

In einem auf den 20. September 2005 datierten Schriftstück, auf das Betzler gestoßen ist, hat das Wissenschaftsministerium die private Hochschule 21 genehmigt. Der damalige Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) habe der Bildungseinrichtung Laborgeräte, Stühle und Bibliotheken für einen symbolischen Euro überlassen, erinnert sich Betzler.

So viele Studenten besuchen Buxtehude heute

Zu niedrige Anmeldezahlen zum Start seien ein Problem gewesen: 45 zusätzliche Studenten im ersten Jahr, 42 zusätzliche im zweiten Jahr. „Man war sich nicht sicher, ob es klappen kann“, sagt Betzler. Doch dann ging es bergauf. Auch, weil die Hochschule mit Schulen kooperierte und so auf sich aufmerksam machte. Heute besuchen 1100 Studenten die Einrichtung in Buxtehude. Die Hochschule 21 ist eine Erfolgsgeschichte geworden - so wie es die Protestaktion vor mehr als 20 Jahren war.

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