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Interview

TWarum Frauen häufiger am Herzinfarkt sterben als Männer

Das Herz ist viel mehr als ein Organ, sagt Dr. Umes Arunagirinathan. „Meistens gibt es bei Frauen einen sehr starken emotionalen Einfluss auf die Gesundheit des Herzens.“

Das Herz ist viel mehr als ein Organ, sagt Dr. Umes Arunagirinathan. „Meistens gibt es bei Frauen einen sehr starken emotionalen Einfluss auf die Gesundheit des Herzens.“ Foto: Friso Gentsch

Er heißt Dr. Umes Arunagirinathan. Für seine Patienten ist der Herzchirurg, der mehrere Jahre lang in einem Bremer Krankenhaus gearbeitet hat, einfach „Dr. Umes“. Jetzt hat der in Sri Lanka geborene Tamile einen Bestseller über das Herz geschrieben.

Von Heike Leuschner Montag, 20.05.2024, 08:50 Uhr

Herr Dr. Arunagirinathan, warum liegt Ihnen das Herz so am Herzen, dass Sie sogar ein Buch darüber geschrieben haben?

Die Liebe zu diesem Organ habe ich bereits als Kind auf Sri Lanka entdeckt. Meine Mutter hatte einem Nachbarn eine Torte in Herzform gebacken. Davon war ich fasziniert, auch wenn die Herzform nicht die Form des menschlichen Herzens widerspiegelt.

Viel später, während meines Medizinstudiums in Lübeck, habe ich als Pflegehelfer gearbeitet und bin zufällig auf der Herzchirurgie gelandet. Die Herzchirurgen haben mich unglaublich beeindruckt.

Ich hielt den Gedanken für stark, das Herz eines anderen Menschen tatsächlich mit den Händen zu berühren. Daraufhin habe ich mich mit dem Organ intensiv beschäftigt. Ich erkenne mich selbst in dem Organ wieder: unabhängig und für alle da sein zu wollen.

Sind Sie deshalb Herzchirurg geworden?

Das kann man so sagen. Ich bin gerne für Menschen da, weil ich – gerade als Flüchtlingskind – auch viel von Menschen bekommen habe. Heute möchte ich im Gegenzug für andere, für die Gesellschaft da sein. So wie das Herz – im übertragenen Sinne – auch.

Was hat Sie motiviert, über das Herz ein Buch für medizinische Laien zu schreiben?

Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren im Krankenhaus und habe immer wieder festgestellt, dass ich im Krankenhaus Patienten begegne, die mit wenig Wissen über ihre Erkrankung zu uns kommen.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass sich Menschen erst dann mit ihrem Herz beschäftigen, wenn es nicht mehr funktioniert. Ich glaube, je früher wir Menschen uns mit unserem Körper, unserer Gesundheit befassen, desto länger bleiben wir auch gesund.

Der Herzchirurg Dr. Umes Arunagirinathan kam als 13-jähriger unbegleiteter Flüchtling von Sri Lanka nach Deutschland.

Der Herzchirurg Dr. Umes Arunagirinathan kam als 13-jähriger unbegleiteter Flüchtling von Sri Lanka nach Deutschland. Foto: Asja Caspari

Gibt es im Krankenhaus Raum für Prävention?

Leider nicht. Dabei lege ich sehr viel Wert auf Prävention, kann diese aber in den Krankenhausalltag nicht einbauen. Ich bin überzeugt davon, dass wir als Ärzte nicht nur für Kranke da sein sollten, sondern auch für den gesunden Menschen da sein müssen, damit unsere Gesellschaft langfristig gesund bleibt.

In Form eines Buches kann ich so viel Wissen weitergeben, dass jeder, der es liest, die Eigenverantwortung für sein Organ Herz übernehmen kann. Es ist kein Buch für Mediziner, sondern für medizinische Laien. Ich vermittle nur so viel Wissen wie nötig, und das auf einer verständlichen Sprachebene. Ich lasse auch eine persönliche Note einfließen, weil ich glaube, die Menschen so besser erreichen und aufklären zu können.

In dem Buch gibt es viele Fakten rund um unseren Lebensmotor, das Herz. Haben Sie einen Fakt, der Ihnen besonders wichtig ist?

Dass ein menschliches Herz in 75 Lebensjahren rund drei Milliarden Mal schlägt und 200 Millionen Liter Blut befördert, ist nichts, was mich als Mediziner überrascht.

Mich überrascht, dass wir so wenig nach innen, sondern viel mehr nach außen und nach vorn schauen. Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich die Intervalle der Heizungswartung oder den Wechsel von Sommer- und Winterreifen exakt einhalte oder es mit dem Ölwechsel genau nehme. Aber selten machen wir uns Gedanken über uns selbst.

Dabei steckt in uns ein Motor, der mehr ist als eine Maschine. Das Wichtigste von uns Menschen steckt in uns, nicht in einer Garage oder einer Wohnung. Allein das weckt in vielen Menschen beim Lesen den Impuls, nachzudenken und zu handeln.

Studien besagen, dass zwei Drittel aller Menschen, die einen Herzinfarkt erleiden, Männer sind. Haben Frauen ein robusteres Herz oder gehen Frauen damit sorgsamer um?

Ein Grund dafür, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen eher bei Männern auftreten, ist sicher das risikofreudigere Verhalten von Männern. Sie verletzen sich auch häufiger. Und: Männer gehen anders mit Stress um als Frauen. Es sind Frauen, die eher über Stress und Sorgen sprechen. Allein durch ihr Verhaltensmuster haben Männer ein höheres Risiko.

Vor dem Gesetz sind Männer und Frauen gleich; physiologisch gilt das nicht und damit meine nicht nur die Größe des Herzens. Das weibliche Herz verhält sich auch anders. Der emotionale Einfluss des Herzens ist bei Frauen stärker als bei Männern. Aber auch wenn nur ein Drittel der Frauen mit einem Herzinfarkt in die Notaufnahmen kommen, sterben daran prozentual mehr Frauen als bei den zwei Drittel der betroffenen Männer.

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Woran liegt das?

Herzinfarkte werden bei Frauen oft schwerer erkannt, weil sie ganz andere und breiter gefächerte Symptombilder haben. Das ist nicht nur der Brustschmerz, der in den linken Arm ausstrahlt.

Frauen reagieren häufig mit Übelkeit, mit Oberbauch- oder Nackenschmerzen oder äußern Symptome wie Luftnot. Die Ursachen dafür können vielfältig sein. Deshalb werden Herzinfarkte bei Frauen häufig später diagnostiziert oder übersehen.

Statistiken besagen auch, dass Frauen mit Herzinfarkt-Symptomen im Schnitt eine Stunde später in die Notaufnahme kommen als Männer. Nicht, weil sie die Schmerzen nicht wahrnehmen, sie nehmen sie sogar stärker wahr als Männer. Sondern weil Frauen ihre Symptome oft anders bewerten. Sie nehmen sie nicht so wichtig, weil sie die Familie, die Gesellschaft vor die eigene Gesundheit stellen.

Sie schreiben auch, dass die Psyche einen großen Einfluss auf die Herzgesundheit hat.

Die Psyche ist enorm wichtig. Doch das sogenannte Broken-Heart-Syndrom wurde lange nicht ernst genommen. Pathologisch betrachtet, verursacht das Syndrom keine Verengung der Herzkranzgefäße, die einen Herzinfarkt verursachen können.

Aber allein durch den Einfluss des Angstzentrums im Kopf, durch Verlustängste oder Trauer, entsteht eine negative Wirkung auf das Herz. Diese negative Wirkung besteht darin, dass das Herzkranzgefäß zusammenzuckt und dadurch das Herz weniger mit Sauerstoff versorgt wird, was den Symptomen eines Herzinfarktes ähnelt.

Das ist auch wissenschaftlich bewiesen. Und es zeigt, welchen Einfluss die Psyche auf das Herz hat. Wenn wir emotional belastet sind, spüren wir das oft am Herzschlag. Meistens gibt es bei Frauen einen sehr starken emotionalen Einfluss auf die Gesundheit des Herzens. Deshalb dürfen wir aber die anderen Risikofaktoren nicht vernachlässigen.

Die wären?

Bewegung, Ernährung, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Rauchen und natürlich die genetische Vorbelastung. Das Gute ist: Wir können alles selbst kontrollieren. Wichtig ist das eigene Bewusstsein für ein gesundes Leben.

Wenn ich mich bewusst ernähre oder mich gesund verhalte, habe ich schon eine Menge Gutes für das Herz getan. Es ist völlig in Ordnung, mal ein Steak zu essen. Die Frage ist die Menge. Ich empfehle meinen Patienten: Kochen und essen Sie häufiger zu Hause.

Oder verbringen Sie Ihren Tag lieber draußen als drinnen. Integrieren Sie Bewegung in Ihren Alltag, indem Sie zu Fuß gehen oder mit dem Rad zur Arbeit fahren. Es muss nicht das Fitnessstudio oder der Marathon sein. Es tut gut, rauszugehen, Menschen zu treffen, auch schwierige Momente mit anderen zu teilen. Das erleichtert, befreit und nützt auch der Herzgesundheit.

„Herzensdinge“ ist Ihr fünftes Buch, mit dem Sie aktuell auf Platz 6 der Spiegel-Bestseller-Liste stehen. Ist das Sechste schon in Arbeit?

Es gibt Ideen für ein neues Buch, aber darüber kann ich offiziell noch nichts sagen.

Zur Person

Dr. Umes Arunagirinathan wurde 1978 auf Sri Lanka geboren. Mit 13 Jahren kam er als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland, wo er bei Verwandten in Hamburg unterkam.

Er studierte in Lübeck Medizin und wurde an der Universität Hamburg promoviert. Nach seiner Assistenzzeit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) arbeitete er in der Klinik für Kardiochirurgie in Bad Neustadt an der Saale, an der Charité Berlin und mehrere Jahre im Klinikum Links der Weser in Bremen.

Heute ist der Facharzt für Herzchirurgie in Halle an der Saale tätig.

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