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Interview

TWarum Thees Uhlmanns Auftritt in Stade fast ein Heimspiel ist

Einer der umtriebigsten deutschen Popkünstler: der Sänger, Songschreiber und Autor Thees Uhlmann aus Hemmoor.

Einer der umtriebigsten deutschen Popkünstler: der Sänger, Songschreiber und Autor Thees Uhlmann aus Hemmoor. Foto: dpa/Wendt

Seit drei Jahrzehnten ist Thees Uhlmann eine feste Größe in der deutschsprachigen Musiklandschaft. Im Interview plaudert der Sänger und Autor aus Hemmoor über aktuelle Pläne, Heimatgefühle, sein Konzert in Stade und einen runden Geburtstag.

Von Christian Mangels Samstag, 03.08.2024, 16:40 Uhr

Herr Uhlmann, Sie haben sich in diesem Jahr auf der Konzertbühne rar gemacht. Wie kommt’s?

Wir haben die Corona-Sommer durchgespielt und dann noch einen Sommer drangehängt. Das hat sich gut angefühlt. Wir waren im Vorprogramm von Fury in the Slaughterhouse an der Loreley, was für mich natürlich vollkommen unfassbar war als Niedersachse. Und jetzt ist einfach die Zeit gekommen, neue Sachen zu machen. Ich habe mich zurückgezogen, um neue Songs zu schreiben und nachzudenken, zum Beispiel über ein neues Buch.

Ihr einziges Norddeutschland-Konzert in diesem Jahr spielen Sie am 25. August in Stade. Was dürfen Ihre Fans von Ihnen erwarten?

Also, ich setze ein bisschen darauf, dass sie sich freuen, mich wiederzusehen. Sie können sich darauf freuen, dass die komplette Uhlmann-Familie da sein wird. Sie können sich darauf freuen, dass wir ein paar neue Sachen spielen. Die Leute können sich darauf freuen, dass ich ein bisschen abgenommen habe. Und sie können sich vor allem darauf freuen, dass ich zusammen mit Christian Stemmann von Augenoptik Stemmann aus Hemmoor und Peter Heinßen von Eier Heinßen aus Cadenberge ein paar Songs spielen werde.

Mit den beiden Herren haben Sie Ihre erste Band gegründet …

Ja, das waren die Ersten, mit denen ich jemals Musik gemacht habe. Mit Stemmi war ich übers Tennisspielen befreundet. Ich wusste, dass er E-Gitarre spielen kann. Eines Tages hat er mich angestupst: Wollen wir nicht mal zusammen Musik machen? Dann brauchten wir noch einen Schlagzeuger, damit das nach was aussieht. Und da meinte Stemmi, es gebe da so einen Typen, der kann wohl irgendwie Schlagzeug spielen, weil er das im Schützenverein gelernt hat. Das war Peter Heinßen.

Die Heinßens hatten lustigerweise einen Party-Schuppen, da durften wir dann Krach machen. Für mich ist es eine fundamentale Freude, dass ich beiden noch kenne und mit ihnen noch befreundet bin. Als ich sie gefragt habe, ob sie mit mir auftreten möchten, haben sie sehr schnell Ja gesagt. Ich glaube, viele Leute, die uns schon lange kennen, werden sich freuen. Wir werden wahrscheinlich nicht so gut spielen wie Pink Floyd, aber es gibt da zwischen uns so zwischenmenschliche Sachen, die sich bei der Musik eben auch nicht versenden.

Sind die beiden schon fleißig am Üben?

Die sind ja besser als ich. Ich glaube, die müssen gar nicht groß üben.

Hemmoor ist für mich immer noch in der Mitte der Landkarte von Deutschland.

Thees Uhlmann

Thees Uhlmann

Wollen Sie Ihr Konzert in Stade mit einem Besuch in Ihrer Heimatstadt Hemmoor verbinden?

Ja, auf jeden Fall. Es ist immer noch so, dass ich jede Möglichkeit mitnehme, Hemmoor und meine Mutter zu besuchen. Und ich habe einen ganz, ganz lieben Freund, der in der Nähe wohnt, der es aus beruflichen Gründen nur selten schafft, mich in Berlin zu besuchen. Den möchte ich gern sehen. Ich lasse mich dann um zehn von meiner Mutter abholen, da ist es noch nicht dunkel. Zumindest jetzt im Sommer. Und sonst? Ich werde wohl eine Runde joggen oder ich fahre mal mit dem Auto los und gucke mir ein paar Sachen an. Hemmoor ist für mich immer noch in der Mitte der Landkarte von Deutschland.


Was wäre eigentlich aus Ihnen geworden, wenn Pastor Uwe Erdmann Ihnen nicht das Gitarrespielen beigebracht hätte? Denn damit fing ja alles an …

Ja, damit fing es tatsächlich an. Ich weiß nicht, ob es allen Lesern und Leserinnen aus Hemmoor genauso geht, aber je älter ich werde, desto mehr denke ich über Uwe Erdmann nach. Ich fand das damals einfach toll, wie er Gitarre gespielt hat. Andere Leute fanden es vielleicht toll, wenn der Vater zur Jagd ging und wollten dann selbst Jäger werden. Oder wenn die Mutter am Auto herumgeschraubt hat, dann wollte man selbst mal den Schraubenzieher halten. Bei mir war das eben Uwe Erdmann mit der Akustikgitarre. Ich bin einfach dankbar, dass er mir die ersten fünf, sechs, sieben Akkorde beigebracht hat. Ich glaube, wenn es ihn nicht gegeben hätte, dann wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Vielleicht hätte ich etwas mit behinderten Menschen gemacht. Ich habe ja meinen Zivildienst bei der Lebenshilfe gemacht. Das liegt mir.

Sie leben jetzt schon seit einigen Jahren in Berlin. Was gefällt Ihnen an der Hauptstadt und was gefällt Ihnen nicht?

Was mir an der Hauptstadt gefällt, ist, dass ich hier wirklich jeden Tag - bis auf montags - in ein Museum gehen und mir Kunst angucken kann und dass ich einen unlimitierten Zugang zu Konzerten habe. Was mir noch gefällt, ist, dass meine Tochter hier lebt und mein Freundeskreis. Das finde ich alles super. Was mir nicht gefällt, sind die vielen Menschen. Das ist der Ballermann-Effekt: Die Leute kommen in die Stadt und wollen etwas erleben. Irgendwie ist das natürlich auch gerechtfertigt. Für viele Leute ist das einfach der erste Urlaub in einer großen internationalen Stadt und natürlich lassen sie es dann krachen. Ich habe es ja früher auch krachen lassen. Und natürlich gibt es in Berlin auch Verbrechen und Drogenkriminalität, das ist keine Lachnummer. Jeder, der sagt, da soll man sich mal nicht so aufregen, dem kann ich gerne mal bei einem kleinen Zweieinhalb-Stunden-Rundgang ein paar Sachen zeigen.

Aus Ihren Liedern hört man immer wieder eine Sehnsucht nach der Provinz heraus. Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages wieder im Norden, auf dem Land, zu leben?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe darüber mal einen Song geschrieben: „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“. Es geht darum, dass jeder Mensch doch irgendwelche Wurzeln hat. Also ja, ich kann es mir sehr gut vorstellen. Schon allein wegen der Ruhe. Und weil ich mich im Norden auskenne. Ich habe neulich bei meinem Jugendfreund in Hamburg-Harburg ein ganz tolles Rad gekauft. Um das Rad auszuprobieren, bin ich dann ein bisschen herumgefahren. Ohne Landkarte und ohne Google Maps. In meinem Kopf ist dieses Norddeutschland so dermaßen zusammengehämmert, dass ich es irgendwie verstehe. Die Gegend ist für mich so aufgeladen mit Kindheitserinnerungen, Jugenderinnerungen und Erwachsenwerden. In Berlin muss ich noch bei den kleinsten Strecken sehr genau nachdenken und bin auch schon häufig falsch abgebogen. Das ist schon relativ faszinierend und das hat auch ein bisschen was damit zu tun, dass man weiß, wo man herkommt. Also: Immobilienanzeigen mit alleinstehenden Häusern im Umkreis von 20 Kilometern um Hemmoor herum - immer her damit.

Sie sagten gerade, dass Sie in Stade einige neue Songs präsentieren wollen. Sind das schon die Vorzeichen für ein neues Album?

Vorzeichen ist zu viel gesagt. Ich bin da auf jeden Fall dran, und es bringt auch wahnsinnig viel Spaß. Aber es ist auch nicht einfacher geworden, zu texten. Ich muss zu den Songs ja auch stehen. Ich denke, das erwartet auch mein Publikum von mir. Die würden es merken, wenn ich mir irgendetwas ausdenke. Es ist so viel passiert auf der Welt in der letzten Zeit und bei mir privat. Ich muss das erst einmal schachteln und übereinanderstapeln. Erst dann kann ich sagen: Okay, darüber habe ich jetzt Bock zu singen. Ich glaube, wenn ich das nicht machen würde, dann würden die Leute sagen: Das ist nicht mehr dieser Uhlmann, den ich geil fand. Ich bin auf jeden Fall am Rumwurschteln.

Und wie sieht es mit dem Schreiben aus? Ihr literarisches Debüt „Sophia, der Tod und ich“ war ein Riesenerfolg. Arbeiten Sie an einem zweiten Roman?

Es gibt da eine Idee, die mir im letzten halben Jahr gekommen ist. Aber das dauert jetzt natürlich ein bisschen, bis die Seiten gefüllt sind. Der Erfolg von dem „Sophia“-Buch war so groß, dass meine Seele erst einmal hinterherreisen musste. Man muss sich das mal vorstellen: Es gibt Lesungen in Kneipen, wo mein Buch mit verteilten Rollen vorgelesen wird. Es gibt Theateraufführungen. Ganze Schulklassen bestellen meine Bücher. Das ist alles ganz großartig. Aber wenn ich dann begreife, dass das ja mein Buch ist, das die lesen, dann fühlt sich das ganz schön schräg an.

Spüren Sie nach dem großen Erfolg von „Sophia, der Tod und ich“ für das zweite Buch einen besonderen Druck?

Ja, auf jeden Fall. Es wird ja immer gern gesagt: Nein, ich spüre keinen Druck. Aber natürlich verspürt man Druck, wenn man sich allein die schiere Masse der verkauften Bücher anschaut. Und dann die ganzen E-Mails, die ich von Leuten bekommen habe, die sich über das Buch gefreut haben. Ich habe E-Mails bekommen, da steht zum Beispiel drin: Das ist das Buch, das ich meiner Mutter auf der Palliativstation vorgelesen habe. Ich soll von meiner Mutter ausrichten, dass das Buch ganz, ganz toll ist und dass es ihr den Abschied leichter gemacht hat. Ganz besondere Gefühle sind das, wahr und wichtig. Und deswegen dauert es mit dem zweiten Buch nun vielleicht ein bisschen länger.

Was ist schwieriger: Songs für ein Album zu schreiben oder einen Roman?

Es ist ähnlich schwierig. Wenn man es beim Song-Schreiben ganz stumpf macht, geht das so: Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, halbe Strophe, Refrain mit einer leichten Änderung. Aber dadurch, dass es komprimiert ist, muss es halt auf eine spezielle Art und Weise gut sein. Und beim Buch ist es einfach diese Masse an Text. Ich glaube, es sind ganz unterschiedliche Bereiche im Hirn, die angesprochen und abgerufen werden müssen und die dann auf dasselbe Hirnzentrum zulaufen, wo dann steht: „Oh mein Gott, ist das alles schlecht.“ Dann muss man noch mal nachdenken, bis man sagen kann: „Okay, das ist ganz gut.“

Ich möchte noch einmal auf die Musik zurückkommen. In Wanhöden ist gerade das Deichbrand-Festival zu Ende gegangen. Sie sind dort im vergangenen Jahr aufgetreten. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Auftritt?

Die eine Erinnerung ist, dass mein lieber Freund Sammy Amara von den Broilers mit meiner Mutter zusammen an der Bühne stand. Ich musste dann noch kurz zum Interview und Sammy meinte: „Lass deine Mutter hier mal stehen. Ich mach das schon.“ Dann kam ich wieder und die beiden haben sich total nett und unaufgeregt miteinander unterhalten. Das war für mich ein wahnsinnig schöner Moment. Weil das natürlich Wahnsinn ist, wenn solche Welten aufeinanderprallen. Als ich meine Mutter dann später darauf ansprach, sagte sie: „Der Tätowierte war sehr nett und sehr höflich.“ Eine weitere Erinnerung: Ich stehe auf der Bühne, lasse den Blick so schweifen und denke: „Kenn ich, kenn ich, kenn ich, kenn ich.“ Manchmal kennt man die Leute gar nicht, aber man weiß, dass man sie schon mal irgendwo gesehen hat.

Hätten Sie Lust, mal wieder auf dem Deichbrand aufzutreten?

Auf jeden Fall. Aber manchmal ist das ein bisschen auf der Grenze, glaube ich. Für das Publikum und auch für uns. Denn die Sache, die wir machen, ist ja extrem normal. Wir stellen uns da hin, haben super-geile Gitarren, super-geile Verstärker. In der Mitte bin ich und wir singen halt einfach ganz normale Rocksongs. Und wir haben kein ausgeprägtes Showtalent.

Das möchte ich anzweifeln …

Das ist sehr nett von Ihnen. Aber schauen Sie sich doch mal die jungen Bands an. Die kommen mit Konfettikanonen und Mitmachspielen auf die Bühne. Das, was wir dagegen machen, ist inzwischen so archaisch oder sagen wir altmodisch. Aber wenn sie uns hören wollen auf dem Deichbrand, dann kommen wir. Da könnte ich auch in Manhattan wohnen und würde trotzdem zum Deichbrand fahren.

Sie haben vor kurzem einen runden Geburtstag gefeiert…

(Thees Uhlann simuliert eine Übertragungsstörung) Hallo? Hallo? Das Interview war sehr nett, aber die letzte Frage ist irgendwie untergegangen …

Wir müssen nicht darüber reden, wenn Sie nicht möchten …

Also, es ist natürlich komisch, diese Zahl da vorne zu haben. Ich habe neulich mit meinem Freund Mille Petrozza von Kreator gesprochen, der Heavy-Metal macht. Er ist etwas älter als ich. Er hat gesagt: Mir geht es so gut wie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben. Das fand ich schön. In diesen Satz konnte ich meinen emotionalen Karabinerhaken reinschlagen. Wenn er das schafft, dann schaffe ich das vielleicht auch, habe ich mir gesagt. Und mir geht es ziemlich gut zurzeit. Auf jeden Fall wesentlich besser als mit 34 oder so.

Wie haben Sie gefeiert?

Ein Freund von mir hat eine neue Kneipe aufgemacht. Den habe ich angerufen: Sag mal, Flo, können wir vielleicht morgen ab 18 Uhr vorbeikommen? Es kamen dann gar nicht so viele Leute, weil es sehr kurzfristig war. Vielleicht 15, 16 Freunde. Nur Berliner. Aber es war ein sehr schöner Abend mit tollen Gesprächen. Und da war ich dann doch ganz froh, dass so viele nette Menschen sich dazu entschlossen haben, mit mir zu feiern.

Zum Schluss müssen wir noch über Fußball sprechen. Sie sind seit mehr als 30 Jahren Fan des FC St. Pauli. Wie groß war die Freude, als das Team in die erste Bundesliga aufgestiegen ist?

Das war schon eine zehn von zehn. Nach all der ganzen Zeit haben die Jungs das verdient und ich habe mich wirklich sehr gefreut. Und jetzt ist natürlich bei uns allen der Wunsch da, vielleicht mal ein Jahr länger in der ersten Liga zu bleiben.

Was halten Sie von dem neuen Trainer Alexander Blessin?

Sehr viel. Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die schimpfen, dass Fabian Hürzeler weggegangen ist. Er darf jetzt eine Mannschaft in der höchsten englischen Spielklasse trainieren - das ist doch großartig. Wenn mein Schlagzeuger das Angebot bekäme, bei den Toten Hosen zu spielen, dann würde ich sagen: Hey, Max, ich habe dich lieb und du bist echt ein guter Freund, aber Digga, mach das.

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