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TWarum eine AfD-Anfrage große Unsicherheit im Kreis Stade schürt

In Deutschland schaffen nur wenige Menschen mit Behinderung den Sprung von einer Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt.

In Deutschland schaffen nur wenige Menschen mit Behinderung den Sprung von einer Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Wie werden die Werkstätten für Menschen mit Behinderung finanziert? Warum sind sie wichtig? Und wieso beunruhigt eine AfD-Anfrage die DRK-Angestellten im Kreis? Das sind die Antworten.

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Von Lena Stehr
Mittwoch, 26.11.2025, 17:30 Uhr

Stade. AfD-Politiker Björn Höcke bezeichnete Inklusion im Sommer 2023 als „Ideologieprojekt“. Sein Parteikollege Maximilian Krah griff im Juli 2024 die ARD-Tagesschau in einfacher Sprache als „Nachrichten für Idioten“ an. Auch die jüngste Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag zur Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt besorgt Menschen mit Beeinträchtigungen und deren Angehörige.

Worum geht es der AfD?

Die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei wollte unter anderem wissen, ob Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) neben Sozialleistungen auch Bürgergeld beziehen, wie hoch die Ausgaben des Bundes für die Werkstätten sind und wie viele Werkstattangestellte auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln.

Die AfD möchte offenbar wissen, wie viel Geld die WfbM den Staat kosten und ob sich das lohnt. Und über allem scheint die Frage zur generellen Daseinsberechtigung der Werkstätten zu schweben.

Wie wird die Diskussion in den Schwinge Werkstätten wahrgenommen?

Auch in Buxtehude und Stade gibt es Werkstätten für Menschen mit Behinderung. In den Schwinge Werkstätten des Deutschen Roten Kreuzes sind insgesamt 1860 Angestellte beschäftigt, etwa 550 von ihnen haben körperliche, geistige und psychische Beeinträchtigungen. Wie nehmen sie die von der AfD angestoßene Diskussion wahr?

Michael Leska ist Werkstattleiter bei den Schwinge Werkstätten des Deutschen Roten Kreuzes.

Michael Leska ist Werkstattleiter bei den Schwinge Werkstätten des Deutschen Roten Kreuzes. Foto: Joerg Struwe

„Viele Beschäftigte der Schwinge Werkstätten äußern große Sorgen. Besonders auch im Hinblick auf die immer wieder aufflammende Diskussion über die Daseinsberechtigung von Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Das schürt große Unsicherheit über die eigene Zukunft und über die uns anvertrauten Menschen“, sagt Werkstattleiter Michael Leska.

Warum sind Werkstätten für Menschen mit Behinderung so wichtig?

Er ist überzeugt, dass ein Wegfall der Werkstätten für eine Vielzahl der Beschäftigten zu Einsamkeit und Abbau vieler Kompetenzen führen würde. Weil sonst nur wenig oder auch keine gesellschaftliche und soziale Teilhabe stattfinde und Kontakte stark eingeschränkt wären. Über die eigentliche Arbeit hinaus böten die Schwinge Werkstätten Unterstützung, Beistand und soziale Interaktion, die der erste Arbeitsmarkt einfach nicht leisten könne, so Leska.

Was genau arbeiten die Menschen in den Werkstätten?

Ziel sei, den Beschäftigten ein individuell angepasstes Arbeitsumfeld und bestenfalls auch den Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Schwinge Werkstätten bieten bereits Arbeitsplätze im direkten Kundenkontakt an. Zum Beispiel in der hauseigenen Macherei rund um die Themen Kleidung, Reinigung und Auto, dem Café Vielfalt oder dem Stader Fachmarkt.

Außerhalb der Macherei können Menschen mit Behinderung auf dem Gelände der Schwinge Werkstätten in Stade unter anderem auch noch in einer Großwäscherei, in der Tischlerei, einer Großküche, im Bereich Garten- und Landschaftsbau sowie in der Montage arbeiten. Außerdem gibt es einige ausgelagerte Arbeitsplätze im Staatsarchiv, in Altenheimen, Kindergärten, auf Bauhöfen und in Supermärkten.

Wem gelingt der Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt?

Wer auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sein möchte, werde durch zwei Fachkräfte in diesem Wunsch unterstützt, sagt Michael Leska. Die Quote derer, die das schaffen, ist allerdings sehr niedrig. Nach den Ergebnissen einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Werkstattstudie lag die Übergangsquote vom Arbeitsbereich der Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt im Jahr 2015 bei 0,26 Prozent und im Jahr 2019 bei 0,35 Prozent.

Was verdienen Menschen mit Behinderung in den Werkstätten und wie werden sie finanziell unterstützt?

Deutschlandweit waren im Jahr 2023 gut 280.000 Menschen in WfbM beschäftigt. Ihr durchschnittlicher monatlicher Verdienst lag im selben Jahr bei 232 Euro. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der AfD-Fraktion hervor.

Anspruch auf Bürgergeld haben die Beschäftigten in WfbM nicht. Viele Beschäftigte erhalten aber umfangreiche ergänzende Leistungen, zumeist aus der Eingliederungshilfe als auch sonstigen Sozialsystemen, sagt Michael Leska.

Wer finanziert die Werkstätten für Menschen mit Behinderung?

Die WfbM werden von sogenannten Rehabilitationsträgern finanziert - je nach Hilfebedarf der Beschäftigten z. B. von der Agentur für Arbeit, der Deutschen Rentenversicherung oder auch Unfallversicherungsträger.

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Diese Träger finanzieren die Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben - also Betreuung, Qualifizierung, Anleitung - und die Personalkosten der pädagogischen, therapeutischen und anleitenden Mitarbeiter. Die Werkstatt-Erlöse werden ausschließlich zur Deckung der Produktionskosten, zur Refinanzierung des laufenden Werkstattbetriebs und für die Entlohnung der Beschäftigten verwendet, so Leska.

Was plant die Bundesregierung?

Im Koalitionsvertrag ist unter anderem vorgesehen, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Rehabilitation, WfbM, Inklusionsbetrieben und allgemeinem Arbeitsmarkt zu verbessern, damit mehr Menschen aus einer WfbM auf den Arbeitsmarkt wechseln können. Zudem sollen das Werkstattentgeld und das Budget für Arbeit - also der Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen - erhöht werden.

Egal, was am Ende umgesetzt wird, Michael Leska wünscht sich ernsthafte Ambitionen aller politisch Verantwortlichen für die Behindertenhilfe.

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