TWas die Esskastanie vom „Brot der Armen“ zum Baum der Zukunft werden lässt

Bis in den frühen Herbst reifen Kastanien in den kräftigen, stacheligen Fruchtschalen heran. Foto: Paulin
Die Esskastanie ist ein Exot unter den Bäumen und hat ihre Heimat weit im Süden. Ehe sie bei uns als Parkbaum angepflanzt wurde, hatte sie eine bewegte Geschichte hinter sich.
Landkreis. Kinder kennen die Rosskastanie. Sie sammeln gerne deren große, glänzend braune Samen. Bis in den frühen Herbst reifen sie in den kräftigen, stacheligen Fruchtschalen heran. Öffnet sich die mit Stacheln bewehrte Frucht, fallen die dicken Samen auf den Boden.
In Gärten und Parks wird manchmal eine weitere Kastanie angepflanzt, die Marone, Esskastanie oder Edelkastanie, deren nährstoffhaltige Samen Maronen genannt werden. Doch die Esskastanie ist überhaupt nicht mit der Rosskastanie verwandt. Sie steht den Eichen nahe. Die Namensgebung ist wahrscheinlich auf ihre ebenfalls stachelige Fruchthülle zurückzuführen.
Die Römer schätzten die kohlenhydratreiche Frucht
Die Esskastanie ist im Mittelmeerraum und in Kleinasien zu Hause. Als Ursprungsland werden die Hänge des Kaukasus angegeben. Dort wurde sie wegen ihrer Früchte geschätzt. Diese wurden geröstet oder gekocht gegessen. Die gezielte Anpflanzung erfolgte zunächst durch die Griechen. Auch die Römer schätzten die kohlenhydratreichen Samen der Esskastanie. Ihre Soldaten sollen sie als Proviant mit sich geführt haben. Mit ihnen soll der Baum die Alpen überquert haben.
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Stimmt wohl nicht, sagen Historiker: Die Kelten sollen den Baum schon vorher in den Norden gebracht haben. Doch die Römische Warmzeit war günstig für die Wärme und Feuchtigkeit liebende Esskastanie. So war sie bald in den warmen Flusstälern von Rhein, Donau und Mosel zu Hause. Ausgrabungen und Pollenanalysen konnten belegen, dass die nördliche Grenze der Esskastanie damals etwa der Nordgrenze des Römischen Reiches entsprach.
Die Kelten haben den Baum nach Nordeuropa gebracht
In den folgenden Jahrhunderten wurde das Klima in Deutschland zunehmend kühler. Die Esskastanie fand nicht mehr die günstigen Bedingungen vor. Ihr Bestand wurde jedoch gepflegt und nahm nicht ab, weil Maronen für das „Brot der Armen“ wichtig waren.
Bei uns an der Elbe ist die Esskastanie erst im Mittelalter angekommen. In Hamburg stehen mehr als 100 Jahre alte Exemplare. In Stade wurden 1977 große, „wuchtige“ Exemplare beschrieben. Doch sie konnten sich nicht bei uns vermehren. Es fehlen die hohen Ganzjahrestemperaturen, die ihre Früchte und Samen zum Reifen bringen. Dennoch könnte die wärmeliebende Esskastanie der Baum der Zukunft werden, der dem dramatischen Klimawandel widersteht.
Noch einen Vorteil hat sie: Wenn sie blüht, sind ihre Blüten höchst attraktiv für Insekten. Der Nachteil: Das Laub nichtheimischer Arten von zum Beispiel Esskastanie, Amerikanischer Roteiche oder Platane wird kaum von Insekten gefressen. Das sahen sich Insektenforscher in Bayern einmal genauer an: Sie untersuchten den Insektenbestand auf nichtheimischen Bäumen wie Roteichen und Esskastanien, die zwischen heimischen Bäumen wuchsen. Das Resultat: Es zeigte sich, dass einige Insekten den Sprung auf die Blätter von Exoten wie die Esskastanie wagten.
Serie und Buch
Was kreucht und fleucht in der Region? Wolfgang Kurtze, Vorsitzender der Lions-Naturschutz-Stiftung, schreibt über Phänomene und Kuriositäten in der Natur. Das TAGEBLATT veröffentlicht die Artikel des promovierten Biologen in loser Reihenfolge. Die erfolgreiche TAGEBLATT-Serie „Phänomene der Natur“ rückt kurzweilig Wissenswertes aus der Natur in den Mittelpunkt. Der zweite, reich illustrierte Band von Wolfgang Kurtze ist für 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Lions Stiftung Stade zur Förderung des Natur- und Umweltschutzes.
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