TWas die Show von Glücks-Guru Biyon Kattilathu mit Fast Food gemeinsam hat

Mit viel Energie und Gestus bringt „Glücks-Guru" Biyon Kattilathu dem Publikum seine Weisheiten näher. Foto: Buchmann
Über Instagram und Co. werden seine Videos tausendfach geteilt: Biyon Kattilathu will mit seinen Botschaften Menschen ein Stück glücklicher machen. Am Sonnabend trat er im ausverkauften Stadeum auf - und ließ das Publikum ganz nah an sich ran.
Stade. Der Glücks-Guru quetscht die Liebe aus einer Orange. Hunderte Augenpaare im Dunkeln verfolgen gebannt jeden einzelnen Tropfen, der in dem Wasserglas auf der Bühne einschlägt, während Biyon Kattilathu quetscht und quatscht. Darüber, dass Menschen Liebe in sich tragen, genau wie diese zerdrückte Zitrusfrucht ihren Saft. Die Köpfe der Zuschauer nicken zustimmend, notieren fleißig im inneren Notizheft mit. Der Glücks-Guru macht ein unsichtbares Häkchen in seinem Ablaufplan - nur noch 51 Häkchen zum Glück.
Glück brauchen am Sonnabend alle, die mit dem Auto zum Stadeum anreisen. Der Parkplatz ist voll, so viele wollen den Glücks-Guru Biyon Kattilathu sehen. Seit Wochen ist der Auftritt des Internet-Stars im Stadeum ausverkauft.
Wer nach dem Schlangestehen am Fanartikel-Stand den Weg zu seinem Platz gefunden hat, findet eine Botschaft auf seinem Stuhl: „Wer das liest, ist schön.“ Ein erstes augenzwinkerndes Kompliment des Meisters an seine Jünger, ein Schmunzel-Warm-up für die kommende Show. Es wird nicht der letzte Postkarten-Spruch des Abends bleiben.
Sein Ziel nicht nur an diesem Abend: Jeder soll sich gut fühlen
Als Biyon Kattilathu zu Carly Rae Jepsens „Good Time“ auf die Bühne gehüpft kommt, begrüßt ihn das Stader Publikum mit frenetischem Beifall wie einen Popstar. Im Internet ist er das auch.
Mit über 1,6 Millionen Followern bei TikTok, 800.000 Followern bei Instagram und noch mal fast genau so vielen bei Facebook verfügt der gebürtige Westfale über eine immense digitale Reichweite. Wen von den Besuchern man vor oder nach dem Auftritt fragt, eine häufige Antwort lautet: „Ich habe schon mal ein Video von ihm gesehen.“
So verpackt Kattilathu seine Lebensweisheiten charismatisch in schmackhafte Botschaftshäppchen, perfekt dosiert für den täglichen Mittagspausen-Eskapismus am Smartphone.
Veranstaltungen
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Für sein Bühnenprogramm hat sich Biyon Kattilathu ein Konzept überlegt: Er will sein Publikum durch Persönliches, Lehrreiches und Witziges erreichen. Hierfür geht er direkt auf Tuchfühlung mit seinen Zuschauern.
Dazu gehören Pauschalkomplimente wie: „Ihr habt euch richtig hübsch gemacht, und gut riechen tut ihr auch.“ Die Jünger lachen, klatschen und tuscheln. Kattilathu offenbart hier sein eigentliches Talent: Er ist ein versierter Charmeur. Jedes Wort verkauft er seinen Zuhörern aufrichtig und herzlich, als würde man einen alten Freund im heimischen Wohnzimmer auf ein Glas Wein treffen.
Der Meister suggeriert Nähe zum Publikum im Stadeum
„Wie schön, dass wir uns heute hier treffen.“ Die persönliche und räumliche Distanz zwischen ihm, dem Unterhalter oben auf der Bühne, und seinem Publikum hebt er so auf. Er erzählt von Höhen und Tiefen aus seinem Leben, zeigt alte Kindheitsfotos als James Bond im Kommunionsanzug, streut vermeintlich harmlose Witze über seine Eltern in parodistischem Inder-Deutsch ein.
Kattilathu gibt sich verletzlich, lässt jeden der über 1000 Besucher ganz dicht an sich heran: Der Meister suggeriert Nähe. Dem Publikum, das augenscheinlich zu 90 Prozent aus jungen Frauen, ihren Müttern und vereinzelt männlichen Begleitern besteht, gefällt das.
Seine Weisheiten vermittelt er nicht als klassischer Frontallehrer. Vielmehr setzt Kattilathu auf Interaktion. Die Energie, mit der er auf der Bühne unaufhörlich herumschreitet und in die Luft zeichnet, bringt er direkt ins Publikum. Besucher wie Stefan aus der ersten Reihe werden herausgedeutet bei der Frage „Wer bist du?“.
Stefan antwortet mit seinem Namen, der Meister bohrt weiter. „Ein Mensch“, sagt Stefan als Nächstes, aber Kattilathu reicht das nicht. „Wir wollen heute ein Stück weit herausfinden, wer wir alle eigentlich sind“, erklärt der Glücks-Guru. Auch eine kryptisch angeleitete Kopfübung mit immer energischerem Nach-links-und-rechts-Schauen mündet in der Erkenntnis: Der Saal hat gerade gelernt, wie man „Nein“ sagt. Wieder ein Haken auf der inneren Checkliste zum Glück.
Der Fast-Food-Effekt: Nach zwei Stunden wieder Hunger
Jede seiner Erkenntnisse über Selbstliebe oder Akzeptanz unterlegt er mit profanen Bildvergleichen: Ein Stein im Schuh, ein Wasserglas, eine verschlossene Tür. Sein Bühnenprogramm ist auf Niedrigschwelligkeit ausgelegt. Die Erwartungshaltung senkt der Guru gleich zu Beginn: „Im schlimmsten Fall ist alles danach noch genauso, wie es vorher war.“
Für jeden soll ein schnelles Erfolgserlebnis dabei sein. Dabei bleibt er geschickt so pauschal, dass jeder etwas findet. Dieses pauschale Glücklich(er)-Sein hat denselben Effekt wie Fast Food: Der Nährwert ist fragwürdig - und nach zwei Stunden hat man wieder Hunger.