TWas ist Diplomatie? Ehemaliger Botschafter zu Gast in Drochtersen

Volker Stanzel (Vierter von links mit Schulleiter Holger Wartner, Dritter von links) besuchte die Elbmarschenschule in Drochtersen, um mit Oberstufenschülern über Diplomatie und Demokratie zu sprechen. Foto: Tanja Zimmer
Wiedervereinigung, Irans Atomprogramm und Nahost. Bei allen dreien ist und war Diplomatie gefragt. Ein Profi erklärte Drochterser Oberstufenschülern, wie das funktioniert.
Drochtersen. Dr. Volker Stanzel ist ein deutscher Diplomat im Ruhestand und ehemaliger Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes sowie ehemaliger Botschafter in Peking und in Tokio. Kürzlich besuchte er die Elbmarschenschule in Drochtersen, um mit Schülern der Oberstufe über Diplomatie zu sprechen. Die in den schulischen Curricula keine Rolle spielt, so Schulleiter Holger Wartner.
Und so sind die Antworten auf Stanzels Frage, was Diplomatie ist, zögerlich. „Diplomatie löst Konflikte“, sagt ein Schüler. „Und dennoch sind viele Konflikte nicht gelöst“, erwidert Stanzel. Er erzählt vom Camp David-Abkommen im September 1978. Nachdem Syrien und Ägypten im Oktober 1973 am jüdischen Feiertag Jom Kippur Israel angegriffen hatten, um die Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel zurückzuerobern, die Israel seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt hielt. Ein komplizierter Sachverhalt. Es drohte ein dauerhafter Krieg. Schließlich einigten sich Israel und Ägypten in Camp David unter Vermittlung vom damaligen US-Präsident Jimmy Carter auf einen Friedensvertrag.
Oberstes Ziel ist die Zustimmung aller Beteiligten
Ziel aller Diplomatie sei, ein „Getting to Yes“ zu erreichen, kein „Getting past No“, erklärt Stanzel. Also Bedingungen auszuhandeln, zu denen keiner der Beteiligen Nein sagt. So sei es auch bei der deutschen Wiedervereinigung 1990 gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland kapituliert, aber keinen Friedensvertrag abgeschlossen.

Gute Noten von Collin Pehmüller (links), Thomas Behrmann und Deik Stüven: „Er hat das Gespräch mit uns gut geleitet und hat alles sehr verständlich erklärt.“ Foto: Susanne Helfferich
Die vier Siegermächte - Frankreich, Großbritannien, Russland und USA - standen dem Ansinnen skeptisch gegenüber, so Stanzel. Drohte durch die Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Gefahr? Die gesamte europäische Ordnung stand damals zur Disposition. Alle mussten sich zusammensetzen. Es wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag ausgehandelt, den Stanzel als Meisterwerk der Diplomatie bezeichnet, und der maßgeblich für die europäische Friedensarchitektur gewesen sei.
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Doch leider seien solche Verhandlungsergebnisse oft nicht von langer Dauer. „Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat, aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt“, zitierte der ehemalige Diplomat den Autoren Mark Twain. Auf die Frage, was dieser Satz bedeute, antwortete ein Schüler: „Es ist leichter zu streiten, als sich zu vertragen.“ Volker Stanzel nickt und zitiert einen anderen Mann der Geschichte: „Diplomatie ohne Waffen ist wie Musik ohne Instrumente“, soll Friedrich II. (gestorben 1786) gesagt haben.

Isabell Umland und Melly Rabending (rechts) fanden spannend, was Volker Stanzel über die verschiedenen Krisenherde der Welt berichtete. Foto: Susanne Helfferich
Stanzel übersetzt: Reden alleine reiche in der Diplomatie nicht aus, es benötige auch Druckmittel. Eine Art von Druckmittel seien Wirtschaftssanktionen, die Unterbrechung des Handels, das übe enormen Druck auf Länder aus, ohne dass Menschen sterben.
Verbindliche Wirtschaftsbeziehungen statt Urananreicherung
„Ein Diplomat sitzt nicht die ganze Zeit im Hinterzimmer und denkt sich was aus“, er müsse immer im Gespräch bleiben, „er handelt Kompromisse aus, über die dann die Politik entscheiden muss“, so Stanzel und erinnert an 2003, als Iran im Verdacht stand, Atomwaffen zu entwickeln. Damals schaltete sich Außenminister Joschka Fischer ein, der 2003 nach Teheran reiste, um den Iran von der Urananreicherung abzubringen. Stattdessen bot er verbindliche Wirtschaftsbeziehungen an. Zwölf Jahre habe es gedauert, bis ein Atomabkommen zwischen den Vereinten Nationen mit den fünf Atommächten USA, Großbritannien, Russland, Frankreich und China plus Deutschland und dem Iran unterzeichnet wurde. „Der Erfolg hielt nicht lange, weil Donald Trump nach seiner Wahl schon ein Jahr später verkündete, diesen Vertrag nicht einzuhalten.“
Ein Schüler fragt, wie zukunftsfähig die Vereinten Nationen (UN) seien, wenn Russland mit seinem Vetorecht alles blockieren könne. Der Völkerbund sei nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden, um eine neue, stärkere Weltorganisation zu schaffen und den Weltfrieden künftig besser sichern zu können, erklärte Stanzel, die Aufgabe sei aber nicht auf den Frieden beschränkt, sondern auch ein Konstrukt von juristischen Vereinbarungen.

„Wie zukunftsfähig ist die UN?“, fragt Calvin Bösch (links), sein Mitschüler Illia Zhuravlov sorgt sich um seine Heimat in der Ukraine. Foto: Susanne Helfferich
„Eigentlich ist das eine stabile Konstruktion, weil sie Vorgaben gibt, wie Probleme zu lösen sind“, so Stanzel. Um sich dem zu entziehen, hätten sich Staaten in anderen Verbünden zusammengeschlossen; etwa 2006 in den Brics-Staaten. „Sie wollen sich nicht dem Diktat des Westens unterwerfen. Es geht immer um die eigene Macht und die eigenen Interessen.“ Diplomatie sei hier eine gewaltige Aufgabe, „und sie ist besonders schwierig, wenn die USA wieder einen Präsidenten hat, dem das alles egal ist“.