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Naturphänomene

TWeberknecht: Staksiger Nachtwandler und ziemlich robust

Ein Weberknecht, der viele Namen trägt.

Ein Weberknecht, der viele Namen trägt. Foto: Hajo Schaffhäuser

Da sitzt früh morgens so ein merkwürdiges Tier ganz ruhig an der Hauswand. Von einem kleinen, rundovalen Körper gehen acht sehr lange Beine aus. Es ist also eine Spinne? Nein.

Von Wolfgang Kurtze Montag, 05.08.2024, 20:00 Uhr

Landkreis. Bei genauem Hinsehen sind seitlich zwei große Augen und vorne paarige Mundwerkzeuge zu erkennen. Ein Weberknecht – auch Kanker, Waldschreit, Schuster, Schneider oder Opa Langbein genannt.

Solch ein komisches Aussehen, so staksige und ein wenig unbeholfene Bewegungen. Es lohnt sich, einmal genauer hinzusehen, wie sich der Tagesablauf eines Weberknechts gestalten könnte. Er kann den ganzen Tag hinweg aktiv sein. Aber am meisten liebt er die warme Sommernacht. Wenn es dunkel wird, wacht er auf und macht sich auf die Pirsch.

Krabbeltier mit hoch spezialisierten Beinen

Gut sehen kann er nicht. Doch seine Augen können ultraviolettes Licht wahrnehmen. Wozu? Das wissen wir zwar nicht, doch diese Fähigkeit scheint ihn beim nächtlichen Kontrollgang auf der Bodenoberfläche zu unterstützen.

Die langen Beine sind vielfach untergliedert, die letzten Beinteile besonders zahlreich. Solch eine Beinkonstruktion ist im Tierreich einmalig. Auf diese Weise kann er einerseits federnd laufen und andererseits die beweglichen Beinglieder wie ein Lasso um Pflanzen- und Humusteile legen.

Bedächtig läuft er voran. Das zweite Beinpaar ist etwas länger. Es sind die wichtigen Tastbeine, die die meisten Sinneshärchen enthalten. Mit Hilfe der Sinnesorgane am Bauch kann der Weberknecht auch kleinste Erschütterungen wahrnehmen. Gut riechen kann er sowieso.

Alles was zu überwältigen ist, wird gefunden und gefressen. Weberknechte räumen am Gartenboden kräftig auf: kleinste Bodentiere wie hüpfende Kleinstinsekten, Milben, Minischnecken. Auch Aas und verwesende Pflanzenteile frisst er. Doch wie kann ein so langsam voranschreitendes Spinnentier flinke, hüpfende Bodentiere fangen?

Weberknechte können keine Netze bauen

Weberknechte haben keine Greifwerkzeuge zum Festhalten, auch können sie keine Netze bauen und haben keine Giftdrüsen. Forscher aus Kiel fanden heraus: Weberknechte können winzige, kaum sichtbare Klebtropfen absondern und damit ein Bodentier perfekt fesseln. Die Beute geht ihm auf den Leim.

Zappelt sie, dann verfestigt sich der Klebstoff noch mehr. Ist der Weberknecht satt, sucht er schon nach Mitternacht sichere Plätze zum Schlafen auf – zum Beispiel an einer Hauswand, an der wir ihn morgens überraschen können. Aber wir wissen es ja: Dieser Gartenfreund beißt nicht, ist nicht giftig, ist völlig harmlos.

Manchmal überraschen uns Weberknechte, die anstelle von acht Beinen nur fünf oder lediglich vier Beine aufweisen. Laufen können sie trotzdem gut. Da gab es vorher einen Unfall oder einen Angriff durch einen Vogel. Weberknechte können in kritischen Situationen ein Bein zurücklassen. Es wird dicht am Körper an einer Sollbruchstelle abgelöst.

Noch mehr: Im Bein funktioniert ein autonomes Nervensystem und lässt es mitunter bis zu 30 Minuten zappeln. Einen Vogel könnte das verwirren und ihn veranlassen, sich mit diesem merkwürdigen Gebilde zu beschäftigen und nicht mit dem Weberknecht selbst. Dem Weberknecht macht solch ein Verlust nichts. Er bleibt ruhig, und das kann ihm vielleicht das Leben retten.

Die Serie

Was kreucht und fleucht denn da in der Region? Wolfgang Kurtze, Vorsitzender der Lions-Naturschutz-Stiftung, schreibt über Phänomene und Kuriositäten in der Natur. Das TAGEBLATT veröffentlicht die Artikel des promovierten Biologen in loser Reihenfolge. Die erfolgreiche TAGEBLATT-Serie „Phänomene der Natur“ rückt kurzweilig Wissenswertes aus der Natur in den Mittelpunkt.

Jetzt ist der zweite Band von Wolfgang Kurtze im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Lions Stiftung Stade zur Förderung des Natur- und Umweltschutzes. Erhältlich ist das reich illustrierte und in Jahreszeiten gegliederte Werk im Buchhandel für 19,90 Euro.

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