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24-Stunden-Reportage

TWenn 46 Bewohner auf Futter warten: Mit Tempo durchs Stader Tierheim

Julia Weber beim morgendlichen Füttern. Im Auslauf hinten wartet ein Kandidat schon sehnsüchtig auf sein Frühstück.

Julia Weber beim morgendlichen Füttern. Im Auslauf hinten wartet ein Kandidat schon sehnsüchtig auf sein Frühstück. Foto: Bisping

Im Tierheim in Stade leben derzeit 46 Tiere. So schnell es geht, müssen sie morgens versorgt werden, und das umsichtig und sorgfältig. Ein Sprint mit Julia Weber.

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Von Alexandra Bisping
Montag, 14.07.2025, 17:30 Uhr

Stade. Wenn Julia Weber morgens um 7 Uhr im Steinbeck 44 aus ihrem Auto steigt, wird sie von aufgeregtem Bellen begrüßt. Auch heute Morgen erwarten die Bewohner des Stader Tierheims sehnlichst ihre Ankunft. Denn wenn sie da ist, bedeutet das Zuwendung, Futter, Streicheleinheiten.

Der erste Blick der Tierheimleiterin gilt den Notausläufen. Sollte in der Zeit, in der niemand vor Ort ist, ein Tier gefunden oder in Obhut genommen worden sein, kann die Polizei zwei Ausläufe von außen bestücken - rechts mit Hunden, links mit Katzen. Heute sind beide Stationen leer.

Erst die Hunde verteilen, dann das Futter

Anschließend bringt Julia Weber die Hunde in ihre Ausläufe. Sie will schnellstmöglich allen Tieren gerecht werden. Wer mit ihr mithalten möchte, muss Gas geben, im Stechschritt geht’s über das Gelände. Unterwegs informiert sie: „Vier Ausläufe werden jetzt bestückt, und zwar mit drei Hunden, die in Gehegen draußen schlafen, und einem Hund, der im Haus schläft.“

Rottweiler Rambo auf dem Weg in sein Gehege.

Rottweiler Rambo auf dem Weg in sein Gehege. Foto: Bisping

Bei diesem Hund handelt es sich um die kleine Alisha. Sie zählt schon 16 Lenze, ihr Halter ist verstorben. Zu ihrem Alter bringt sie medizinische Auffälligkeiten mit, ist inkontinent und bekommt Schmerzmittel. An diesem Morgen ist es draußen kühl, Julia Weber zieht der betagten Hundedame für die ersten Stunden ein Mäntelchen an. „Vielleicht erbarmt sich ja noch jemand und bereitet ihr einen schönen Lebensabend“, hofft sie.

Gegen die morgendliche Frische im Freien zieht Julia Weber der 16-jährigen Alisha ein Mäntelchen an.

Gegen die morgendliche Frische im Freien zieht Julia Weber der 16-jährigen Alisha ein Mäntelchen an. Foto: Bisping

Beinahe aus jedem Auslauf, hinter jeder Tür wird gebellt oder miaut. Die kleinen Mägen scheinen bis auf die Flure hinaus zu knurren. Die Tierpflegerin muss 14 Hunde und 28 Katzen versorgen, außerdem drei Hähne und einen Hamster. „Morgens muss es schnell gehen“, sagt sie, eilt ins Haus und in die Küche.

Jeder Griff sitzt: Julia Weber bereitet für alle Tiere das Frühstück vor.

Jeder Griff sitzt: Julia Weber bereitet für alle Tiere das Frühstück vor. Foto: Bisping

Zack, zack - mehrere große Näpfe fliegen auf die Arbeitsfläche. Flugs werden sie gefüllt, in einige kommt ein Medikament. „Das ist Futter für unsere Oldies in den Zwingern, die bekommen Schmerzmittel“, sagt Weber. Anschließend stapelt sie die Behälter und parkt sie auf der Arbeitsfläche.

Die Katzennäpfe sind dran. Ein paar füllt Julia Weber mit Nassfutter, circa 100 Gramm pro Katze. In die anderen kommt Trockenfutter für jene Stubentiger, die sich den Raum mit Artgenossen teilen. Weber schnappt sich den großen Stapel Näpfe und läuft los.

Nur für Erfahrene: die schwer vermittelbaren Traumhunde

Die Hunde sind zuerst dran. Unter ihnen sind Sonderfälle, so wie Loui: ein Bild von einem Schäferhund, allerdings mit HD, Hüftgelenksdysplasie, und einer speziellen Geschichte. „Der Halter lag tot in der Wohnung, ich musste den Hund mit einer Fangschlaufe rausholen“, erzählt Julia Weber.

Loui neigt zu einer großen Ressourcenverteidigung. Das bedeutet, er verteidigt sein Futter, sein Spielzeug und seine Besitzer. Und das macht den knapp zehn Jahre alten Schäferhund zu einem schwer vermittelbaren Tier: Er ist seit mehr als vier Jahren im Tierheim.

Schäferhund Loui ist seit vier Jahren im Tierheim, zu Julia Weber hat er viel Vertrauen.

Schäferhund Loui ist seit vier Jahren im Tierheim, zu Julia Weber hat er viel Vertrauen. Foto: Bisping

Zu den schwer Vermittelbaren gehört auch Staffordshire Terrier Milo - ein bildschönes, beeindruckendes Kraftpaket, das aus dem Stand gefühlt mindestens zwei Meter am Gehegezaun hochspringen kann. Jetzt stellt Milo das Springen ein und stürzt sich auf seinen Napf.

Einige Hunde bellen viel, sie wollen wohl Zuwendung - aber nicht ausschließlich. Die Tierexpertin erklärt, dass Hunde tagsüber in der Regel viele Stunden schlafen. Hier schaffen sie das kaum. „Sie sind permanent Reizen von außen ausgesetzt, den Geräuschen und Gerüchen anderer Tiere, vorbeifahrender Autos oder durch Besucher.“ Das sei stressig, sie kämen nicht zur Ruhe.

Auch Paula, Kylie und Jessi, drei Hunde um die 13 Jahre alt, sind eigen. Sie wurden beschlagnahmt und bewohnen gemeinsam ein Gehege. „Ist etwas ungewohnt, fressen sie nicht, dann sind sie zu aufgeregt.“ Ein paar Minuten bleibt Julia Weber im Gehege. Manchmal funktioniere das, um sie zu beruhigen, sagt sie. Doch heute nicht, die Tiere verziehen sich scheu. Ein Blick auf die Uhr: Sie sammelt die Näpfe wieder ein, will es später noch mal versuchen.

Das in den 1970er Jahren gegründete Tierheim wird von der Stadt Stade betrieben. Im vergangenen Jahr wurden 220 Tiere aufgenommen. „Circa 90 Prozent verlassen uns innerhalb eines Jahres wieder“, sagt Weber. Sie werden vermittelt oder gehen an ihre Halter zurück. Andere bleiben, manche müssen eingeschläfert werden.

Seit 2010 leitet Julia Weber das Tierheim. Die 36-Jährige hatte nach ihrer Ausbildung zur Heim- und Pensionstierpflegerin mit 19 Jahren als Teilzeitkraft im Tierheim begonnen. Nicht mal zwei Jahre später hatte sie den Leitungsposten inne.

Ihre Handgriffe sind flink und routiniert

Webers Handgriffe sind routiniert, die Katzen in den Zimmern sind dran. Tür auf, Futter rein, Wasser auffrischen, kurz die Tiere begutachten, Fenster öffnen. Bei einigen Samtpfoten schaut sie genauer hin, zum Beispiel bei der grauen Katzenmutter und ihren sieben Wochen alten Kitten. Oder bei drei sehr scheuen Katzen, sie sind schon seit zwei Jahren da.

Sehr scheu: Bisher habe sich für diese Fundkatzen noch niemand interessiert, sagt Julia Weber.

Sehr scheu: Bisher habe sich für diese Fundkatzen noch niemand interessiert, sagt Julia Weber. Foto: Bisping

Die Leiterin mag ihre Arbeit. Zwei Teilzeitkräfte unterstützen sie. „Es ist ein erfüllender Job, vor allem, wenn man ein Tier vermittelt oder kleine, halb tote Fundkatzen aufpäppelt und durchkriegt.“

Weiter geht‘s zu den Stubentigern in den Käfigen. Es sind Quarantänefälle - entweder erst kurz da, frisch operiert oder sie müssen noch behandelt werden. Stewart, ein orangefarbener Kater, hat ein Zimmer für sich. Er leidet unter Augenrollen, einer schmerzhaften Krankheit, bei der sich die Lider samt Wimpern nach innen klappen und auf den Augäpfeln reiben. Kurze Ansprache, Medizin, Futter. Die nächsten Kandidaten sind dran.

Julia Weber flitzt ins Freie, wo ihr an einem Käfigzaun drei Hähne entgegensehen. Auch sie werden wohl zu Dauergästen. Hähne sind unbeliebt, niemand will sie nehmen.

Hat das Tierheim denn noch Platz für weitere Mitbewohner? Schnell vermittelbare Hunde könnten vielleicht noch unterkommen, antwortet Julia Weber. „Schwer vermittelbare bräuchten ein einzelnes Gehege - derzeit keine Chance.“ Auch neue Katzen einzeln unterzubringen sei momentan schwierig. „Wir sind nicht optimal belegt.“

Kurz vor acht sind alle Tiere versorgt. Jetzt folgt Büroarbeit, Mails checken, Telefonate. Gleich muss Julia Weber noch mal richtig anpacken - das Reinigen der Käfige und Tiergehege steht bevor.

Anmerkung für Interessierte: Tiere, die im Artikel erwähnt wurden, können inzwischen ein Zuhause gefunden haben.

Entzückend, aber etwas scheu ist die Katzenmutter mit ihren Kitten.

Entzückend, aber etwas scheu ist die Katzenmutter mit ihren Kitten. Foto: Bisping

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