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Künstliche Intelligenz

TWenn ChatGPT die Hausaufgaben macht: So gehen Lehrer der IGS Stade mit KI um

Als ChatGPT vor einem Jahr auf den Markt kam, entdeckten Schüler besonders schnell, welche Möglichkeiten das im Schulalltag bietet.

Als ChatGPT vor einem Jahr auf den Markt kam, entdeckten Schüler besonders schnell, welche Möglichkeiten das im Schulalltag bietet. Foto: Soeren Stache/dpa

Nach den Osterferien vor einem Jahr hätten es plötzlich alle Achtklässler gehabt, sagt Svenja Kreisel, Lehrerin an der IGS Stade. Die Rede ist von ChatGPT. Schüler und Lehrkräfte der IGS berichten, wie sie mit Künstlicher Intelligenz umgehen.

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Von Anping Richter
Montag, 08.04.2024, 09:50 Uhr

Stade. „Wie cool, ich muss nie wieder selber Hausaufgaben machen.“ Das dachten wohl einige, als vor einem Jahr mit ChatGPT die Künstliche Intelligenz in den Alltag einzog, sagt die Stader Gesamtschullehrerin Svenja Kreisel. Doch so einfach ist es nicht.

Es fällt auf, wenn jemand, der sonst 50 Fehler macht, plötzlich fehlerfreie Texte abgibt. Der Schüler Laurin Martens berichtet, dass sie sogar ausprobiert hätten, ChatGPT in jeden Satz einen Fehler einbauen zu lassen. Doch das klappte nicht.

Künstliche Intelligenz (KI) gibt es schon länger, aber erst mit Chat GPT gelang der Durchbruch in breiten Teilen der Bevölkerung und damit in den Schulen. Laut einer Studie von Infratest Dimap im Auftrag der Vodafone Stiftung, für die mehr als 1.500 Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren befragt wurden, nutzten ein Jahr nach der Einführung von ChatGPT bereits 74 Prozent KI-Anwendungen.

Nimmt KI den Schülern das Denken ab?

„Die ersten Chatbots haben mich nie richtig überzeugt“, berichtet Emil Steinemann, der an der IGS Stade gerade Abitur macht. Doch ChatGPT konnte Dinge, die er dem Chatroboter nie zugetraut hätte.

Es gehöre aber einiges dazu, das sinnvoll zu nutzen: „Für ChatGPT muss man eigentlich der Lehrer sein: Gute Fragen stellen, jedes kleine Detail vorgeben, strukturieren, ein Konzept und am besten auch eine Deutungshypothese vorgeben.“

Schulleiter Jörg Moser-Kollenda sagt, dass er sich wegen seiner informatikinteressierten Söhne schon recht früh mit ChatGPT beschäftigt habe. Viele sähen KI mit einer Mischung aus Faszination und Erschrecken, doch ihm sei nach einer Schulleiter-Fortbildung klar gewesen: „Das kommt.“

Die IGS hat seit 2019 eine Arbeitsgruppe Digitales Lernen. Dort habe sein Kollege Nils Burghardt sehr bald darauf gedrängt, eine extra KI-Arbeitsgruppe zu bilden.

Demokratie lebt davon, dass Menschen denken

„Ich bin der Schwarzmaler in unserer Runde“, sagt Burghardt. Er sieht die Nutzung von KI in der Schule kritisch und denkt, dass die Auswirkungen sogar die Demokratie gefährden könnten. Falschinformationen hätten extrem zugenommen.

Noch schlimmer findet er, dass er Schülern jetzt einen anspruchsvollen Text gebe und 20 Minuten später eine perfekte Zusammenfassung erhalte. Genau da liege das Problem: „Demokratie lebt davon, dass Menschen denken können. Die KI nimmt ihnen das Denken ab.“

Auf die Wissenschaft könne die Anwendung von KI enorme positive Einflüsse haben, räumt er ein: „Aber was bedeutet es für die Gesellschaft? Was ich im Alltag erlebe, ist, dass das meine Schüler schwächt.“

Ihre Aufmerksamkeitsspanne sei deutlich geringer geworden, ebenso die Kompetenz, Texte zu verstehen und zu verarbeiten, sagt Burghardt. Das habe mit der Digitalisierung angefangen. KI verstärke es.

Er sieht die Schule, aber auch Politik und Eltern, in der Verantwortung, die Kinder zu schützen und ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das den Schwerpunkt auf die Förderung von kritischem Denken legt.

Die KI-Arbeitsgruppe in der IGS Stade mit den Lehrern Nils Burghardt, Jörg Moser-Kollenda und Svenja Kreisel ist nicht in allen Punkten einer Meinung. Aber die Diskussion ist der IGS Stade wichtig.

Die KI-Arbeitsgruppe in der IGS Stade mit den Lehrern Nils Burghardt, Jörg Moser-Kollenda und Svenja Kreisel ist nicht in allen Punkten einer Meinung. Aber die Diskussion ist der IGS Stade wichtig. Foto: Anping Richter

Schule setzt auf Ehrlichkeit und KI-Schulung

Svenja Kreisel denkt, dass sie die Arbeit mit KI im Unterricht einbauen müssen, um Schüler für einen verantwortungsvollen Umgang zu schulen. Es sei auch wichtig, zu zeigen, was in ihrem Interesse liegt: „Am Ende wirst du blöd dastehen, wenn du es nicht selbst schaffst, die Erörterung zu schreiben.“

Sie hat ein Informationspapier KI-Praxis ausgearbeitet, das Beispiele und Umsetzungstipps bietet. Ob KI angewandt wurde, sei nicht in jedem Fall zu erkennen, sagt Kreisel. Die IGS setzt auf Ehrlichkeit: KI-unterstützte Texte sollen kenntlich gemacht werden. Beispiel: „Dieser Text wurde korrigiert von ChatGPT.“

Lerneffekte seien möglich, wenn Schüler genau guckten, was verändert wurde und warum. „Mit ChatGPT einen Dialog auf Englisch zu führen, funktioniert gut“, berichtet Laurin Martens. Auch Lehrkräfte können von verschiedenen KI-Programmen profitieren - zum Beispiel beim Korrigieren.

Was genau KI ist und welche Möglichkeiten, Beschränkungen, Chancen und Risiken sie bietet, hat Nils Burghardt im Informationspapier KI-Theorie zusammengestellt.

Jörg Moser-Kollenda sieht bei seinen Schülern keinen Kompetenzverfall. Eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne hätten sie schon, aber beim Aufsatztraining habe die KI-Nutzung geholfen: „Das ist auch in der Klassenarbeit sichtbar, wenn sie ohne digitale Hilfsmittel sind.“

Nils Burghardt widerspricht: „Das hätte genauso gut funktioniert, wenn du es mit den Schülern geübt hättest.“ Aber es hätte viel mehr Zeit gebraucht, sagt Moser-Kollenda.

Übrigens habe seine Klasse überzeugend argumentiert, dass Überwachung nicht notwendig sei. Er verzichte jetzt darauf. Es sei ohnehin notwendig, von der Abprüferei weg und hin zu mehr interaktivem, projektorientiertem Arbeiten zu kommen. Dem kann Nils Burghardt folgen: „Unser Schwerpunkt liegt nicht auf dem Abprüfen von Wissen, sondern auf dem Abprüfen von Denken.“

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