TWenn es in der Schule schon beim Anziehen hapert
Lust auf Grundschule? Nach Einschätzung einer Nordholzer Grundschulleiterin fallen immer mehr Kinder durch Sprachprobleme, Unkonzentriertheit und extreme Schüchternheit auf. Foto: Marijan Murat/dpa
Ob Sprachkenntnisse oder grundlegende Fähigkeiten wie das Anziehen oder der Toilettengang: Immer mehr Grundschulkinder benötigen zusätzliche Unterstützung. Ein Ruf nach Hilfe.
Cuxhaven. Es ist leise auf den Fluren der Nordholzer Grundschule. In den Klassenräumen wird gelesen und gerechnet, musiziert und geschrieben. Außerdem gibt es da noch die „pädagogische Insel“ für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Denn die Herausforderungen für Schulen nehmen zu, bilanziert Sabine Peter.
Peter leitet die Nordholzer Grundschule, eine von vier Grundschulen in der Gemeinde Wurster Nordseeküste. Mit 320 Schülerinnen und Schulen ist sie eine der größten Grundschulen im Landkreis Cuxhaven.
Zum Kollegium gehören 28 Lehrkräfte, drei Förderschullehrer und eine Sozialpädagogin, die eine Schnittstelle zu Eltern bildet. Solche multiprofessionellen Teams sind aus Peters Sicht unerlässlich angesichts der vielfältigen Herausforderungen für inklusive Grundschulen.
Immer mehr Kinder ohne zureichende Sprachkenntnisse
„Die OECD-Studie und der Bildungsbericht 2022 zeigen, dass wir immer mehr Kinder mit unzureichenden Sprachkenntnissen in die Schule bekommen“, berichtet Peter. Eine Erkenntnis, die die Schulleiterin für ihre Schule bestätigen kann. Etwa 20 bis 25 Prozent der Nordholzer Schulanfänger hätten bei Eingangsgesprächen Sprachdefizite, etwa bei der Lautbildung.
„Das betrifft nicht nur Kinder aus sozial benachteiligten Familien oder Kinder mit Migrationshintergrund, sondern insgesamt Kinder, die aus der Corona-Pandemie heraus verschiedenste Bedarfe mitgebracht haben“, beobachtet Peter.
„Bei Einschulungsuntersuchungen stellen wir auch bei Muttersprachlern im Schnitt bei jedem vierten Kind fest, dass Sprachdefizite oder Sprachentwicklungsstörungen vorliegen, egal ob im medizinischen Bereich oder rein in der Sprachentwicklung.“
Motivationsprobleme, Ängste, extreme Schüchternheit
Neben Sprachdefiziten fallen der Schulleiterin zunehmend Motivationsprobleme, Ängste und extreme Schüchternheit auf. „Flüssiges Sprechen, Konzentration und Zuhören sind weitere Themen, die wir zu Beginn der Schulzeit verstärkt üben müssen.“
An den Schulen wiederum stehen laut Peter Förderstunden nicht so umfangreich zur Verfügung, dass der aktuelle Bedarf abgedeckt werden könne. Dabei sei es essenziell, sich an Schulen multiprofessionell aufzustellen, um den Anforderungen gerecht zu werden. „Denn Sprache ist der wesentliche Zugang zur Bildung.“
Peter geht es aber nicht nur darum, Probleme aufzuzeigen. Sie will Lösungen finden. Um Sprachbarrieren abzubauen, arbeitet die Schule seit Kurzem mit der gemeinnützigen Stiftung Fairchance zusammen.
Schule holt sich die Stiftung Fairchance an Bord
Die Stiftung möchte sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen mit Sprachförderprogrammen eine Perspektive geben, berichtet Peter. So hat Fairchance der Schule angeboten, Lehrkräfte und Mitarbeiter zu schulen und wissenschaftlich aufbereitetes Material, das mit der Uni Heidelberg erstellt wurde, zur Verfügung zu stellen.
„Das kostet uns nichts und wir finden uns in einem Konzept wieder, von dem wir überzeugt sind, dass es effektiv ankommt“, freut sich die Schulleiterin. Im Gegenzug soll die Schule das Programm mit mindestens vier Gruppen zu jeweils sieben Kindern umsetzen.

Rechnen steht längst nicht für alle Erstklässler als erstes auf dem Unterrichtsplan. Die Zahl der Kinder, die zunächst ihre Sprachfähigkeiten trainieren müssen, wächst. Foto: Soeren Stache/dpa
Sprachförderung im Ganztagsbetrieb mit externen Kräften
Peter will das Sprachförderangebot im Ganztagsschulbetrieb mit mehreren Schülergruppen realisieren. Weil die internen Kapazitäten dafür nicht ausreichen, setzt die Schulleiterin auf externe Partner wie das Lernzentrum „Mensch und Hund“. Das kostet wiederum Geld.
Hier könnte der in Wurster Nordseeküste beheimatete Kinderhilfsfonds Elpida ins Spiel kommen, der die vier Wurster Grundschulen in Nordholz, Dorum, Midlum und Wremen bereits im Hinblick auf die Leseförderung unterstützt.
Das Thema Sprache ist aber nur eine Herausforderung für Peter und ihre drei Grundschulleiterkolleginnen in der Gemeinde. Auf einer Schulausschusssitzung wurden noch andere Schwierigkeiten deutlich.
„Wir haben auch damit zu kämpfen, dass wir Kinder wickeln müssen“
So benötigen mehr Kinder Unterstützung dabei, selbstständig zu werden. Das gilt etwa für das eigenständige An- und Umziehen. Keiner erwarte von den Kindern Rechen- oder Lesekenntnisse beim Eintritt in die Schule, stellt Peter klar. Die Schule müsse kindgerecht bleiben.
„Aber wir müssen schon davon ausgehen, dass Kinder allein auf die Toilette gehen oder sich selbst die Jacke, die Hose und die Schuhe anziehen können.“ Aktuell sieht das anders aus: „Wir haben auch damit zu kämpfen, dass wir Kinder wickeln müssen“, sagt Peter. Und damit meint sie nicht die Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf.
Hier sieht die Schulleiterin Handlungsbedarf. Für die Schulen bedeute das, die Zusammenarbeit mit den Kindergärten zu intensivieren. Doch wie bei der Sprachförderung stünden auch hierfür keine Ressourcen zur Verfügung.
Schulleiterin: Unterstützungsbedarf bei Familien wächst
Die Schulleiterin beobachtet auch, dass der Unterstützungsbedarf in den Familien wächst. Aus verschiedenen Gründen: „Weil sie manchmal Hürden zu Hilfesystemen sehen, weil sie häufig unter Zeitdruck stehen oder sehr viel Ausdauer brauchen, wenn sie einen Termin beim Kinderpsychologen wünschen.“
Eine an der Nordholzer Grundschule beschäftigte Sozialpädagogin unterstützt Familien genau dabei. Sie nimmt sich nachmittags Zeit, mit Familien ins Gespräch zu kommen und schaut, welche Möglichkeiten es im Rahmen des Teilhabepakets gibt, um Unterstützung für die Kinder zu erwirken, berichtet Peter. Aktuell fehlt die Mitarbeiterin aber elternzeitbedingt.
Nicht alle Schulen verfügen über eine Sozialpädagogen-Stelle. Obendrein wünschen sich Grundschulen und Kindertagesstätten in der Gemeinde Wurster Nordseeküste Unterstützung bei der Beratung von Eltern am Übergang von der Kita zur Schule.
„Ziel ist es, eine gute Prävention beim Übergang zur Grundschule hinzubekommen und mögliche Defizite oder Bedarfe sehr frühzeitig gemeinsam anzugehen“, sagt Peter.
Kommunalpolitiker unterstützen den Wunsch nach Sozialpädagogen
Ein Wunsch, den auch die Kommunalpolitiker der Gemeinde unterstützen. In einem Antrag der CDU-Ratsfraktion heißt es dazu: „Um unseren Kindern (…) trotz fehlender Fördergelder für spezielle Begleitprogramme (…) bestmöglich aufzustellen, bitten wir die Verwaltung (…) die Beschäftigung einer sozialpädagogischen Fachkraft zu prüfen. Diese Fachkraft soll keine Aufgaben innerhalb der Lehrstunden übernehmen, sondern koordinative Tätigkeiten über die vier Grundschulen der Gemeinde hinweg ausüben.“
Peter freut sich, dass das Anliegen bei der Gemeinde angekommen ist. Gleichzeitig befürchtet sie, dass eine Fachkraft nicht ausreichen wird. „Sachlogisch wäre für mich, dass jede Ganztagsschule eine sozialpädagogische Fachkraft hat.“
Multiprofessionelles Team für bestmögliche Förderung
Bestmögliche Förderung erreicht man nach Einschätzung der Schulleiterin nur durch ein multiprofessionelles Team. Mindestens aber würden Sozialpädagogenstellen für zwei Schnittstellen gebraucht.
Die erste betrifft den Übergang Kindergarten zur Grundschule, die zweite das Netzwerk zwischen Grundschule, weiterführender Schule und Jugendpflege. „Auch die Jugendlichen müssen mit ins Boot geholt werden“, appelliert Peter, „denn auch hier verzeichnen wir erhöhte Verhaltensauffälligkeiten, die sich etwa in Vandalismus und aggressivem Verhalten zeigen.“