TWie das Nordseebad Wremen kurzzeitig zur Haschisch-Hochburg wurde

Mehrere Hundert Kilogramm Haschisch im Wert von rund einer Million Mark wurden 1979 zwischen Wremen und Cuxhaven gefunden. (Symbolbild) Foto: Thomas Banneyer/dpa
Wremen, ein idyllisches Nordseebad mit Kutterhafen und Leuchtturm, hat mehr zu bieten als Ruhe und Romantik - bisweilen auch kuriose Schlagzeilen.
Wremen. Wremen ist ein hübscher Ort an der Küste. Mit Kutterhafen, Restaurants, Cafés, Grünstrand und einem Leuchtturm, in dem sich Brautpaare das Jawort geben. Schlagzeilen um Haschisch oder eine atomwaffenfreie Zone wollen dazu auf den ersten Blick nicht passen. Doch auch das gehört zur Geschichte des 2000-Einwohner-Dorfes, erzählt Renate Grützner.
Renate Grützner weiß fast alles über die zurückliegenden sechs Jahrzehnte in Wremen – und darüber hinaus. Nach ihrem Ruhestand hat die frühere Wremer Kinderärztin das Ehrenamt der Ortsheimatpflegerin übernommen. Zehn Jahre sind das jetzt her. Davor war der unbezahlte Posten in der alten Wremer Schule viele Jahre lang verwaist.
Chronistenpflicht wird zur Sisyphus-Arbeit
Ein früherer Pastor hatte über Jahrzehnte all das aus und über Wremen zusammengetragen, was ihm wichtig erschien. Bis 1960. Die Lücke von 1961 bis 2014 nachzuarbeiten, sah für Grützner nach einer fast unmöglichen Fleißarbeit aus. Schließlich fasste sie doch Mut: „Die chronologische Aufarbeitung für die Jahre 1961 bis 1968 war bereits erledigt. Dass ich 1968 ansetzen konnte, hat es für mich schon mal übersichtlicher gemacht.“
Trotzdem war es eine Sisyphus-Arbeit. Unzählige Zeitungsartikel, hauptsächlich aus der „Nordsee-Zeitung“, hat Grützner für ihre Jahresberichte gelesen, sortiert und bewertet. Bei Wissenslücken halfen ihr Zeitzeugen weiter. Grützner hat zwar einen großen Teil der jüngeren Geschichte des Nordseebades als langjährige Wahl-Wremerin selbst erlebt, aber erst seit 1981. Geboren und aufgewachsen ist sie in Bremerhaven.
„Costa Cannabis“ oder die Sache mit dem Haschisch
Bei der Themenauswahl fragt die Ortsheimatpflegerin: Was war wesentlich? Was war typisch für die Zeit, worüber wir heute nur noch lächeln? Was hatte Folgen? Und was war besonders?
Beim Stichwort Skurriles fällt ihr auf Anhieb die Sache mit dem Haschisch ein.

Die Ausrisse zeigen vergangene Berichterstattung rund um Wremen. Foto: NZ
„Costa Cannabis“ hatte ein NZ-Journalist am 14. Juli 1979 eine Kolumne betitelt, die sich damit befasste, dass am 11. Juli mehrere Hundert Kilogramm Haschisch im Wert von rund einer Million Mark zwischen Wremen und Cuxhaven gefunden worden waren. Den ersten Sack mit rund 50 Kilogramm hatte ein Wremer Camper entdeckt.
Monatelange Haschisch-Funde an der Nordseeküste
In den Folgetagen gesellten sich zu den Urlaubern auch Menschen, die von der Nachricht über die Haschischfunde an die Küste gelockt worden waren, sowie Zoll- und Kriminalbeamte. Außer in Wremen war die Droge auch am Dorumer Tief, in Cappel-Neufeld, Cuxhaven sowie vor Wangerland und Wilhelmshaven angeschwemmt worden.
Es handelte sich um wasserdicht verschweißte Haschisch-Platten mit einem rötlichen Stoff aus dem Libanon, genannt „Roter Libanese“. Später stellt sich heraus, dass die Besatzung eines Frachters unter Panama-Flagge vor der niederländischen Küste mehrere hundert Kilogramm der Droge über Bord geworfen hatte.
Der Zoll lässt den Stoff in der Müllbeseitigungsanlage verbrennen. In den Folgemonaten werden immer wieder Haschischfunde an der Küste gemeldet. Erst im November 1979 verebbt die Haschisch-Flut.
Wremen soll zur „atomwaffenfreien Gemeinde“ erklärt werden
Ebenfalls skurril mutet aus heutiger Sicht die Schlagzeile um eine Wremer Friedensinitiative im Jahr 1984 an. Das Anliegen selbst hatte einen sehr ernsten Hintergrund: Vor dem Hintergrund des Wettrüstens während des Kalten Krieges wollten Bürger erreichen, dass die Gemeinde das Nordseebad Wremen zur „atomwaffenfreien Gemeinde“ erklärt.
Wörtlich hieß es in dem Antrag: „Wir sind dagegen, dass ein Inferno ausgelöst werden kann und so viel Sprengstoff in atomarer Form auf der Erde gelagert wird, wie der Sprengkraft von einer Million Hiroshima-Bomben entspricht.“

Rund 1500 Bücher über Wremen und die Region zählt Ortsheimatpflegerin Renate Grützner. Foto: NZ
Der Antrag mündete laut NZ in eine „lebhafte und leidenschaftliche Debatte“. Am stellt der Wremer Rat mit einer knappen Mehrheit von sechs zu fünf Stimmen fest, dass die Beratung über den Antrag nicht zulässig ist, weil „Fragen zur Ausrüstung der Bundeswehr nicht zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises“ gehören und damit auch nicht zu den hoheitlichen Aufgaben der Gemeinde.
Eine Seilbahn nach Knechtsand und ein Flughafen bei Wremen
Es gab noch mehr kuriose Schlagzeilen, die Wremen am Rande oder im Kern berührten. Etwa die Idee des Baus einer Seilbahn nach Knechtsand (1971) und die Pläne für den Bau eines Flughafens zwischen Sievern und Wremen zur Entlastung und Ergänzung des Flughafens Luneort in Bremerhaven (1979).
Und dann ist da noch die Geschichte eines überaus erfolgreichen Fußballteams in Wremen, das nach dem Auslaufen des privaten Sponsorings eines Wremer Landarztes Mitte der 1980er-Jahre seine besten (bezahlten) Kicker verlor. Damit war der Abstieg – von der Bezirksoberliga in die 1. Kreisklasse – besiegelt.
Grützner hat aber auch Eigeninitiativen aus der Wremer Mitte in ihren Chroniken aufgenommen. So fehlte dem 1970 auf Initiative der Wremer SPD-Kommunalpolitikerin Helga Lutz gegründeten Spielkreis anfangs eine Heizung. „Daraufhin haben Väter im Dorf zur Schaufel gegriffen und Heizungsrohre von der neuen Schule in einen 85 Meter langen Graben verlegt.“
Die Rolle der Frau in der (Wremer) Kommunalpolitik
Auch die Rolle der Frau nimmt Grützner in den Blick. „Die Frauen mögen daheim regieren; aber in der Öffentlichkeit sind es bis heute vor allem Männer“, stellt sie mit kritischem Blick auf aktuell vier Herren und eine Frau im Wremer Ortsparlament fest. Sie selbst war mehr als 20 Jahre lang auf Orts- und Gemeindeebene politisch aktiv. Erst vor kurzem hat sie ihren Platz für einen jüngeren Nachfolger im Ortsrat geräumt.
Was den Anteil von Frauen in der (Kommunal-)Politik anbelangt, spricht die 75-Jährige von einem „Phänomen“ und spekuliert über mögliche Gründe: „Die Frauen dürfen mitreden und mitbestimmen, wagen diesen Schritt aber oft nicht.“ „Dabei ist sie sehr interessant“, setzt Grützner nach einer kurzen Pause lächelnd nach.
Anders als bei ihrem Politik-Ehrenamt denkt sie als Ortsheimatpflegerin noch lange nicht ans Aufhören. Aktuell arbeitet sie an der Fortschreibung der Wremer Chronik ab 2015. Den ersten von ihr verfassten Band (1961-1990) will sie noch einmal neu herausgeben, nachdem neue Berichte aus alter Zeit aufgetaucht sind.
Unfreiwillig selbst Teil der Wremer Ortsgeschichte geworden
Einmal ist Renate Grützner sogar selbst Teil der Ortsgeschichte geworden. „Als mein damaliger Mann und ich die Arztpraxis unseres Vorgängers gekauft haben, gehörte das Nachbargrundstück mit der Wremer Feuerwehr noch dazu.“ Die Grundstücke seien vor dem Bau der Feuerwehr nicht geteilt worden. „Wir haben die Feuerwehr dann aber gern wieder hergegeben.“
Das Ortsarchiv Wremen beherbergt echte Unikate, darunter auch diese Jahresschularbeit aus den 1960er-Jahren.
Grützner, die schon als Schülerin gern geschrieben hat, liebäugelte schon länger mit der Aufgabe. „Zuerst hab‘ ich gedacht, ich schreibe selbst Berichte – über die Entwicklung der Fischerei, der Bevölkerung, der Baugebiete, der Landwirtschaft.“ Dann fiel ihr Blick auf die Wremer Chroniken.
Neben ihren Ortsrecherchen und ihrer Mitarbeit an den „Wremer Herdfeuerabenden“ hütet Grützner auch die rund 1500 Werke umfassende Wremer Heimatbibliothek, die in der Alten Wremer Schule untergebracht ist. Jeden Donnerstag zwischen 15 und 17 Uhr ist sie vor Ort, freut sich über Anregungen, Gespräche und Menschen, die sich für die kleine Bücherei interessieren.