TWie der Wolf die Landwirtschaft verändert: Experten sprechen Klartext

In Niedersachsen gibt es inzwischen nach Schätzungen des offiziellen Wolfsmonitoring über 500 Wölfe. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Seitdem die Wölfe wieder in Deutschland heimisch werden, trauen sich nur wenige Experten, die Folgen für die Landwirtschaft offen anzusprechen. Michael Ohlhoff ist einer davon. Sein klares Statement: Der Wolf wird die Landwirtschaft und die Natur für immer verändern.
Bützflethermoor. Teile der traditionellen Weidetierhaltung sind durch die Rückkehr des Wolfs in den Landkreis Stade gefährdet. Das ist eine der Botschaften beim Jahresabschlusstreffen des Stader Landvolks in Bützflethermoor. Der Berufsverband der Bauern hatte mit dem Wolfsberater und Jäger Michael Ohlhoff einen Experten für das Raubtier in Hartlef´s Gasthof eingeladen. Ohlhoff jagt seit Jahrzehnten, hat bei einem der europaweit renommiertesten Professoren studiert und ist im Auftrag des Landes Wolfsberater.
Klassische Formen der Tierzucht sind gefährdet
Der Wolf und der Landwirt - das ist eine schwierige Beziehung. Die Rückkehr des Raubtiers verändert die Natur und die Landwirtschaft grundsätzlich. So besitzt die Pferdehaltung gerade in Kehdingen eine lange Tradition. Die Pferde werden im Frühling und Sommer auf den Weiden gehalten, ziehen dort auch ihren Nachwuchs auf. Viele Züchter aus dem ganzen deutschsprachigen Raum nutzen die Kehdinger Weiden zu dem Zweck.
„Jetzt kann ich Ihnen nur raten, Nachtpferche einzurichten“, sagt Michael Ohlhoff auf entsprechende Fragen. Die Weide-Pferdehaltung steht damit in der jetzigen Form zur Disposition. Herdenschutzzäune helfen bei der Abwehr von Wolfsangriffen auf Weidetiere, aber sie bieten keine 100-prozentige Sicherheit. Aufstellen und Pflege seien aufwendig. Auch die Schafhaltung ist mindestens auf den Deichen massiv bedroht.
Überlebt die Schafhaltung die Rückkehr der Wölfe?
„Es gibt in Deutschland ohnehin nur noch 800 Berufsschäfer, von denen viele an die 70 Jahre alt sind und schon ohne den Wolf ausgesprochene Individualisten sein müssen“, so Michael Ohlhoff mit einem Hinweis auf den geringen Verdienst und den hohen Arbeitsaufwand dieser Berufsgruppe. In den USA gebe es viele Deiche, die würden aber weitgehend von Maschinen bearbeitet.

Michael Ohlhoff beantwortet die Fragen der Landwirte bei der Jahresabschlusstagung des Stader Landvolks. Foto: Wisser
Michael Ohlhoff ist als Experte unbequem. Er nimmt den Landwirten die Hoffnung, dass wolfsfreie Zonen an den Deichen oder die Jagd auf Wölfe zur Bestandsregulierung die Veränderung in Natur und Landwirtschaft stoppen oder rückgängig machen könnten. Wölfe seien intelligent und anpassungsfähig. „Sie sind gekommen, um zu bleiben“, sagt er.
Wegreiten zwecklos: Wölfe sind schneller als Pferde
Wölfe könnten in hoher Geschwindigkeit weite Strecken zurücklegen. Die Raubtiere sind 55 bis 70 Stundenkilometer schnell, können mit einem Satz fünf Meter weit springen und sie können eine schnelle Verfolgung 20 Minuten lang durchhalten. Wölfe sind damit schneller als Pferde.
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Die organisierten Jäger in der Region laden Michael Ohlhoff nicht mehr ein. Der passionierte Pferdezüchter aus Ahrenswohlde vermutet, dass viele Jäger die Rückkehr des Wolfs in die Region verheimlicht haben. „Wir brauchen die Daten“, sagt Ohlhoff. „Jedes Detail fügt sich in ein Gesamtbild.“ Ohlhoff geht davon aus, dass es deutlich mehr Wölfe gibt, als bekannt ist.
Zwei bis vier Wolfsrudel sind im Kreis zu Hause
Die aktuell bekannten Fakten stützen Ohlhoffs Theorie. Bis Ende September gab es offiziell keine Rudel oder Territorien im Landkreis Stade. Zehn Wochen später ist das Oldendorfer Rudel bestätigt, ein Wolfspaar in Wiegersen sicher und im Aschhorner Moor bei Drochtersen gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit ein weiteres Rudel. Das größte Fragezeichen gibt es beim vermuteten Rudel im Feerner Moor am Rüstjer Forstv. Hier gab es mehrere Sichtungen, aber noch keine Bestätigungen.
Eine ganze Serie von Angriffen auf Nutztiere hatte besonders im ländlichen Raum für große Verunsicherung gesorgt. Dass sich die Angriffe im Herbst häufen, ist wildbiologisch zu erklären. In dieser Zeit sind die im April oder Mai geborenen Wolfswelpen fast so groß wie die Elterntiere und der Nahrungsbedarf steigt. Zeitgleich ist der Wildtier-Nachwuchs so mobil geworden, dass die Jungtiere keine leichte Beute für den Wolf sind. Deshalb geraten die Nutztiere in dieser Zeit verstärkt ins Visier des Wolfs.
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Wolfsjagd nur mit klaren Regeln
Michael Ohlhoff geht davon aus, dass es in einigen Jahren unvermeidlich ist, dass die Wolfsbestände auch mit der Waffe reguliert werden. Er fordert deshalb auch eine verstärkte Ausbildung zur Wolfsjagd - „das ist die schwierigste Jagd überhaupt“ - und er nennt auch eindeutige Grenzen. Der Abschuss eines Leitrüden in der falschen Zeit führe dazu, dass das restliche Rudel völlig unkontrolliert viel größeren Schaden anrichten würde. Auch der Abschuss der „laktierenden Wölfen“ - Muttertiere mit jungem Nachwuchs - ist nach den Grundsätzen der Waidgerechtigkeit tabu. Elterntiere dürfen während der Aufzuchtzeit grundsätzlich nicht geschossen werden.