TWie ein Sänger seinen eigenen Absturz auf der Bühne zum Thema macht

Der Hamburger Sänger Andreas Schmidt kommt am 14. März in die Seminarturnhalle nach Stade. Foto: Privat
Er geht mit seiner psychischen Erkrankung offen um und hat sich nach einem Schicksalsschlag neu erfunden. Für Andreas Schmidt sind die Songtexte von Udo Jürgens Spiegel seiner Seele - und in diesen will er das Publikum in Stade schauen lassen.
Stade. Es ist ein ungewohnter Anblick: ein Mann, Mitte fünfzig, mit einer runden Brille, kahlem Kopf und dem lebensfrohen Lächeln eines Kindes. Für die Probe auf der Bühne in der Seminarturnhalle hat sich der Hamburger Sänger Andreas Schmidt in einen bunten Pulli mit Ernie und Bert und legere dunkle Hose gekleidet. Zu seiner divenhaften Pose am Schluss des Udo-Jürgens Songs „Zehn nach elf“ - den Kopf nach hinten geworfen, der Arm dramatisch emporgehoben – passt aber eher ein Glitzerfummel, Diven-Make up und Federboa.
Andreas Schmidt schmunzelt. Ernie und Bert gehören zu seiner Kindheit und sind Ausdruck für Phantasie. „Phantasie gehört auf die Bühne“, sagt Schmidt. Aber er kann auch damit dienen: Glitzerfummel, Lippenstift, falsche Wimpern, jede Menge Klunker und eine blasslila Lockenperücke verwandeln den äußerlich eher unscheinbaren Mann seit zehn Jahren in die schillernde Daphne Woo.
Rolle der alten New Yorker Opernsängerin
In der Kultur- und Travestieszene kennt man Andreas Schmidts Kunstfigur eher, als den realen Sänger. Als Tante Woo schlüpft er in Theatern oder regelmäßig auf Kreuzfahrtschiffen der AIDA in die Rolle der alten New Yorker Opernsängerin, um lustig, frivol und nachdenklich das Älterwerden und das Leben im Allgemeinen zu betrachten. Bis vor einiger Zeit hatte sie auch Roman Who, einen ausgebildeten Opernsänger, als Partner an ihrer Seite. Ein gefeiertes Duo, dass der Travestiekunst mit ihrer Musik eine ganz neue Richtung gab.
Lieder von Udo Jürgens spielten im Programm des Duos immer schon eine Rolle. „Das Besondere an seinen Songs liegt in einer Kombination aus vielschichtiger Musikalität und tiefgründigen Texten. Darin finde ich mich mit meiner Biografie wieder“, beschreibt Schmidt seine Vorliebe für den großen Barden. Sein Programm wird dies mit Humor und Leichtigkeit beleuchten.
Doch dieser Humor, diese Leichtigkeit, sie sind mehr als nur ein Stilmittel - sie sind ein Fenster zu Andreas Schmidts Seele, zu seiner offenen Auseinandersetzung mit dem Leben, der Kunst und seiner eigenen bipolaren Erkrankung. Bei „Auf ein Wort mit Udo Jürgens“ geht es nicht nur darum, das Vermächtnis eines Großen zu ehren, sondern auch die intimen Geschichten zu teilen, die von psychischen Herausforderungen handeln - Geschichten, die genauso Teil von Schmidts Leben sind, wie die Bühne und die Lieder, die er singt.
Absturz als Leiter der Opernabteilung des Festspielhauses Baden-Baden
Andreas Schmidt macht keinen Hehl daraus, dass seine Erfahrungen mit einer bipolaren Störung ebenso prägend für sein Schaffen sind wie die melodischen Linien eines Udo Jürgens-Songs. Mit überraschender Offenheit erzählt er von seinem Absturz 2011 als Leiter der Opernabteilung des Festspielhauses Baden-Baden, dem plötzlichen Aus als Künstler, weil Manie und Depression ihn unfähig machten, vernünftig zu denken und zu arbeiten.
Seine Erkrankung wurde erst vier Jahre später diagnostiziert. Tante Woo war für den Künstler - der, um sich zu verstehen, auch Heilpraktiker wurde - eine Therapie. „Mit ihr kann ich einen künstlichen Manieschalter anknipsen, der mich auf der Bühne vor der realen Manie bewahrt.“ Unter dem Licht der Scheinwerfer findet er Balance und Anerkennung, was ihm hilft, sich nicht ständig zwischen den Extremen seiner Erkrankung verloren zu fühlen.
Aufmerksamkeit und Akzeptanz für psychisch erkrankte Künstler
„Auf ein Wort mit Udo“ ist also nicht nur eine liebevolle Reflexion an einen der großen Liedermacher unserer Zeit, sondern auch eine Botschaft: Wir dürfen über psychische Erkrankungen sprechen. Andreas Schmidt setzt sich für diesen Dialog mit ganzer Seele ein. Als Gründer des Vereins Künstlerhilfe e.V. nutzt er die Bühne und sein Talent, um nicht nur finanzielle Mittel zu generieren, sondern auch um Aufmerksamkeit und Akzeptanz für psychisch erkrankte Künstler in der Gesellschaft zu schaffen.
Der künstlerische Leiter der Seminarturnhalle, Peter Kühn, nickt zufrieden aus dem Zuschauerraum. Er weiß, die Proben sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Es ist die Kunst, das Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu berühren und vielleicht ein wenig zu heilen. Mit Musik, die aus der Tiefe kommt, echten Emotionen und einer Prise Humor - damit dieser Abend unvergesslich wird. Denn am Ende des Tages macht genau das eine außergewöhnliche Performance aus: die Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, authentisch zu bleiben und jeder einzelnen Note eine Seele zu geben.
Karten für „Auf ein Wort mit Udo“ am Donnerstag, 14. März, um 20 Uhr in der Seminarturnhalle in Stade kosten zwölf Euro.