TWo Jugendliche auf Mörder treffen: So läuft es im Knast

Volkert Ruhe hat den Verein „Gefangene helfen Jugendlichen“ gegründet. Inzwischen bietet der Verein neben Besuchen in der JVA auch weitere Projekte wie pädagogisches Boxen, Deeskalations- und Anti-Gewalt-Trainings an. Foto: Verein Gefangene helfen Jugendlichen
Den harten Knastalltag will das preisgekrönte Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“ jungen Menschen zeigen, die schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Sie werden auf Probe eingesperrt und treffen Häftlinge zum Gespräch.
Fuhlsbüttel. Schlüsselrasseln. Rums! Die Türen sind zu. Und bleiben es auch, mindestens für die nächsten zehn Minuten. Mehrere Jugendliche sitzen probeweise hinter Gittern in „Santa Fu“, der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, einem Gefängnis für Schwerverbrecher.
Das mehrfach preisgekrönte Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“ setzt auf den Sensibilisierungseffekt. Für einen halben Tag sollen Jugendliche, die schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, den harten Knastalltag kennenlernen.
Sie sollen ein Gefühl dafür bekommen, wie es sich anfühlt, 23 Stunden täglich in einer Zelle eingesperrt zu sein und viele Jahre fern von Familie und Freunden hinter dicken Gefängnismauern einzusitzen. Gespräche mit Gefangenen sollen sie zum Umdenken anregen.
„Anfangs sind alle noch ganz cool“
„Anfangs sind alle noch ganz cool. Sie scherzen darüber, dass sie heute mal schauen, wie ein Mörder so aussieht.
Im Laufe des Tages werden die Jugendlichen aber stiller und stiller“, weiß Volkert Ruhe, der das Projekt vor fast 30 Jahren ins Leben gerufen hat. Zusammen mit seinen Mitstreitern will er verhindern, dass junge Menschen völlig auf die schiefe Bahn geraten.
„In der Regel arbeiten wir mit Jugendlichen, die bereits auffällig geworden sind, die möglicherweise auch schon Sozialstunden oder Jugendarrest hinter sich haben“, sagt Volkert Ruhe. Inzwischen bietet der Verein aber auch klassischen Präventionsunterricht für reguläre Schulklassen an. Hinzu kommen weitere Projekte, wie pädagogisches Boxen, Deeskalations- und Anti-Gewalt-Trainings.
Strafvollzug
Häftling geht in Santa Fu auf Mitgefangenen los
Die Jugendlichen werden gründlich gefilzt
Zehn Haftanstalten in Deutschland, und auch einige im benachbarten Ausland, machen mit. Darunter Einrichtungen in Hamburg, Bremen und auch Bremervörde.
Zu Beginn werden die Jugendlichen erst einmal gründlich gefilzt - fast wie Verbrecher, die neu ins Gefängnis kommen. „Alles, was sie dabeihaben, müssen sie abgeben - egal ob Kaugummi, Kleingeld, oder was man sonst so in den Taschen hat“, sagt Ruhe. Die jungen Leute müssen sämtliche Routinekontrollen des Wachpersonals wie Leibesvisitationen oder Türschleusungen über sich ergehen lassen. „Nur nackig machen müssen sie sich nicht.
Sie erfahren aber, dass sie als Insasse auch ihren Hodensack hochheben und ihre Pobacken auseinanderziehen müssten. Damit die Mitarbeiter sehen, dass sie dort nichts verstecken“, erklärt Ruhe. Da wird dem ein oder anderen schon einmal mulmig.
Zum ersten, aber meist nicht zum letzten Mal.
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Eltern sind einverstanden: Jugendliche werden eingesperrt
Dann bekommen die Jugendlichen die typische Erst-Ausrüstung für Gefangene zu sehen: Eine alte Baumwollunterhose, eine Jogginghose, ein T-Shirt und ein Stück Seife.
Weiter geht‘s in einem stillgelegten Zellentrakt: „Mit Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten sperren wir die Jugendlichen dann ein“, erklärt Volkert Ruhe.
Zehn Minuten lang sitzen die Jugendlichen einzeln in einer Zelle. „Sie haben viel Zeit, um ihre Sinnesorgane einzuschalten. Sie sollen sich fragen: Welche ungewohnten Geräusche sind hier? Wie wirkt das Ganze jetzt auf mich? Wie komme ich mit der Einsamkeit klar?“, sagt Ruhe. Immer mit dabei: Ein Organisator des Vereins und mehrere Betreuer, die die Jugendlichen bereits länger kennen. Aus gutem Grund.
Eine psychische Ausnahmesituation
„Häufig wird schon nach drei Minuten an die Tür geklopft und gefragt, ob die Zeit nicht längst um ist“, weiß Ruhe, der weiß, dass bereits eine Minute in einer Zelle sehr lang werden kann. In der Zelle, ohne Uhr oder Handy, verlieren die Jugendlichen schnell das Zeitgefühl. Das Eingesperrtsein - eine psychische Ausnahmesituation: „Einige bleiben ganz cool, andere können das Gefühl nur schwer ertragen“, sagt Ruhe.
In fast 30 Jahren musste aber nur ein Junge frühzeitig aus der Zelle herausgeholt werden. „Das Eingesperrtsein war zu viel für ihn, er konnte diese Situation nicht ertragen“ - und dachte später intensiv über seine Situation nach.
„Wir wollen die Jugendlichen nicht erschrecken, wir wollen ihnen einfach die Realität vor Augen führen“, sagt Ruhe. Und die sei hart. Ganz anders, als es in den Songs jener Rapper klingt, die das Leben hinter Gefängnismauern verherrlichen. „Und auch Fernsehserien vermittelten ein völlig falsches Bild vom Gefängnisalltag“, weiß Ruhe und denkt etwa an „Orange is the new black“.
Offene Gespräche mit Gefangenen
Im Mittelpunkt der Gefängnisbesuche stehen die ausführlichen und offenen Gespräche mit Gefangenen. Mehrere Insassen mit langen oder lebenslangen Haftstrafen haben sich als Gesprächspartner bereiterklärt. Betrüger, Einbrecher, Dealer aber auch Mörder. Wer von ihnen welche Straftat begangen hat, sollen die Jugendlichen anfangs erraten.
Dieses „Spiel“ soll die jungen Leute eine simple Lektion lehren: Aussehen bestimmt nicht über den Menschen. „Keinem der Inhaftierten sieht man an, was sie auf dem Kerbholz haben“, betont Ruhe. Eines aber haben sie gemeinsam: „Sie alle haben mit kleinen Delikten angefangen - bis sich die Taten immer weiter steigerten.“
Die Inhaftierten schildern ihr Leben und erzählen, wie alles angefangen hat. Sie berichten von ihrer Zeit in der Haftanstalt, was einen dort alles erwartet, und warum es überhaupt nicht cool ist, im Knast zu sitzen. Und sie erzählen auch von ihren Taten - von Betrug, von Einbrüchen, von Banküberfall oder auch Mord.
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„Auch für sie bedeuten der Kontakt mit den Jugendlichen und das Erzählen ihrer Geschichte eine erneute Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit“, weiß Volkert Ruhe aus eigener Erfahrung. Er selbst wurde schon in seiner Jugend zum Einbrecher, saß später acht Jahre wegen Drogenschmuggels im großen Stil in „Santa Fu“.
Die Inhaftierten geben jungen Menschen Tipps, nicht die gleichen Fehler zu machen wie sie selbst, dem Ärger aus dem Weg zu gehen. Wie weit sie gehen und wie viel sie von sich preisgeben möchten, entscheiden die Gefangenen und auch die Jugendlichen für sich. „Doch die Insassen sind meist extrem offen.“
Besonders nachdenklich werden die Jugendlichen, wenn die Insassen von ihren Familien erzählen: „Den Jugendlichen ist meistens gar nicht bewusst, dass nicht nur sie bestraft werden, sondern ihr ganzes Umfeld mit bestraft wird“, so der Ex-Häftling.
Knast-Essen als Abschluss
Von den Insassen bekommen sie zu hören: „Es sind nicht nur die Mutter, der Vater oder die Geschwister des Opfers, deren Leben ihr versaut, es sind auch eure Verwandten“. Häufig verschwänden Menschen, die einem zuvor nahe standen, plötzlich aus dem Leben, wenn man hinter Gittern sitzt. Dann sei man ganz allein. Worte, die bei vielen nachwirken.
Zum Abschluss dürfen die Jugendlichen noch das Knast-Essen probieren, bevor sie wieder in die Freiheit entlassen werden.
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Es geht um Aufklärung auf Augenhöhe
Mit einem Besuch in „Hagenbecks Tierpark“ sei der Besuch im Gefängnis nicht zu verwechseln. „Es geht nicht darum, sich zu amüsieren“, betont Ruhe: „Sondern um Aufklärung auf Augenhöhe.“ Die Jungen sollen die Realität hinter Gittern kennenlernen.
Die Besuche in der JVA werden in Gruppen- und Einzelgesprächen intensiv vor- und nachbereitet: Auch wenn sich manche Jugendliche den Knastbesuch anfangs als „coole Freizeitunterhaltung“ vorstellten, seien sie anschließend „sehr ruhig und zurückgezogen“, schildert Ruhe.
Viele Jugendliche, sagt Ruhe, änderten aufgrund der Eindrücke, die sie hinter Gefängnismauern sammeln, ihren eingeschlagenen und bedenklichen Weg.

Auf dem Weg in den Knast: Im Hochsicherheitsgefängnis Santa Fu in Hamburg treffen Jugendliche regelmäßig auf Inhaftierte, die sie mit den weitreichenden Konsequenzen von Kriminalität und Knast konfrontierten. Foto: GHJ