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Kritik in Stade

TWolf spaltet die Gemüter: Morddrohungen gegen Schäfermeisterin

In Deutschland sind 209 Wolfsrudel nachgewiesen. (Archivbild)

In Deutschland sind 209 Wolfsrudel nachgewiesen. (Archivbild) Foto: Philipp Schulze/dpa

Sorgen, Ängste, Kritik - vier Experten und ihre Sicht auf den Wolf sorgen in Stade für eine emotionale Diskussion: „Die Städter haben gut reden“.

Von Franziska Felsch Mittwoch, 27.11.2024, 09:25 Uhr

Landkreis. Das Bild im Hintergrund vermittelt einen friedlichen Eindruck. Ein Wolf ist dort zu sehen, entspannt im Gras liegend, aufmerksam die Ohren spitzend, als wolle er dem Gespräch von Deichgraf Albert Boehlke, Schäfermeisterin Verena Jahnke, Wolfsberater Michael Ohlhoff und Nabu-Vertreter Rüdiger Ramm folgen. Ein schönes Tier, und sehr schlau, darin waren sich die vier Podiumsteilnehmer einig. So intelligent, dass er immer wieder Wege findet, um Weidetiere zu töten.

Als Ansgar Cudok von der Stader Gesellschaft für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, die zu der öffentlichen Podiumsdiskussion „Der Wolf in unserer Kulturlandschaft“ eingeladen hat, die provokante Frage an die Runde stellt, ob der Wolf Fluch oder Segen sei, antwortet die Schäfermeisterin aus Uelzen: „Nicht prinzipiell, aber im Moment ist er ein Fluch.“

„Ich kann nichts machen“, sagt Wolfsberater Michael Ohlhoff, der mit Rüdiger Ramm (links), Albert Boehlke und Verena Jahnke über die Zunahme der Wolfsangriffe diskutiert.

„Ich kann nichts machen“, sagt Wolfsberater Michael Ohlhoff, der mit Rüdiger Ramm (links), Albert Boehlke und Verena Jahnke über die Zunahme der Wolfsangriffe diskutiert. Foto: Franziska Felsch

Erst kürzlich verlor Jahnke 30 ihrer Schafe. Hohe Netze und Hunde bringen ihrer Meinung nach nichts. „Da springen die rüber, das lernen die schnell und die Hunde werden ausgetrickst“, sagt die Halterin von 1500 Mutterschafen aus bitterer Erfahrung.

Selbst die Anwesenheit von Menschen zeige keine Wirkung. „Wir schlafen draußen im Wohnwagen, holen abends die Pferde in den Stall, stellen Wärmebildkameras auf, tun alles, was möglich ist, aber offenbar reicht es nicht“, fügt Jahnke resigniert hinzu. Ein weiteres Dilemma sei der enorme Aufwand, der betrieben werden müsse, um Schadenersatz zu erhalten, erzählt die frustrierte Tierhalterin, die sich von den Politikern im Stich gelassen fühlt.

Nur fünf Prozent der Wölfe verursachen Probleme

Hohe Kosten für Einzäunungen und Herdenschutzhunde seien der Grund, warum viele Hobbyschäfer aufgeben, sagt Dr. Albert Boehlke, der für 165 Kilometer Deiche verantwortlich ist. Der Deichgraf aus Kehdingen/Oste erklärt, dass mehr als 300 Kilometer Zäune notwendig seien, wolle man damit die Wölfe davon abhalten, die grasenden Schafe zu reißen. Bis jetzt sorgten 8000 bis 10.000 Schafe für den notwendigen Deichschutz. „Ich hoffe, dass das so bleibt, aber wir auf dem Land werden alleingelassen“, sagt Boehlke.

Und auch Wolfsberater Michael Ohlhoff gibt zu, dass Politiker beratungsresistent seien. „Noch schlimmer als Wölfe“, sagt er scherzhaft, um dann aber ernsthaft zu erklären: „Es sind nur fünf Prozent, die Ärger machen.“ Die müssten entnommen werden, wie es in der Fachsprache heißt.

Wenn man auf diese „Drecksäcke“ schieße, wäre das auch so etwas wie eine Lehre, glaubt der Fachmann. „Es ist eine untragbare Situation“, äußert Ohlhoff sein Verständnis für die Tierhalter, aber durch die derzeitige Gesetzeslage gehöre der Wolf zu den streng geschützten Arten. „Wir können nicht jeden Wolf töten“, sagt der Experte, der sich aber auch für eine Reduzierung ausspricht.

Die Angst vor dem Wolf nimmt zu

Dass es nur wenige Problemwölfe gebe, wollen die meisten der 30 Zuschauer nicht glauben und führen Fälle an, in denen Rinder und Pferde gerissen wurden. „Und wie erkennt man einen Problemwolf?“, fragt sich nicht nur die Schäfermeisterin. Die Gefahr nehme zu, sind sich die Gäste einig. „Die Städter haben gut reden, die sind nicht betroffen, wir sind diejenigen, die zusätzliche Kosten und Arbeit haben, um unsere Nutztiere zu schützen“, fasst es ein Landwirt zusammen.

„Wir Menschen ziehen uns zurück, lassen unsere Kinder nicht mehr im Wald spielen“, äußert sich eine Mutter in Stade.

„Wir Menschen ziehen uns zurück, lassen unsere Kinder nicht mehr im Wald spielen“, äußert sich eine Mutter in Stade. Foto: Patrick Pleul/dpa

Morddrohungen und wüste Beschimpfungen musste sie ertragen, bestätigt Verena Jahnke, an deren Auto Unbekannte die Radkappen gelockert hatten.

„Wir Menschen ziehen uns zurück, lassen unsere Kinder nicht mehr im Wald spielen“, äußert sich eine Mutter aufgebracht zu der Aussage des Wolfsberaters, bisher sei noch kein Mensch angegriffen worden.

  • 209 Wolfsrudel leben in Deutschland

Die Zahl der in Deutschland nachgewiesenen Wolfsrudel ist auf 209 gestiegen. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Bonn hat die Zahlen für das Monitoring-Jahr 2023/24 veröffentlicht. Demnach hatte Brandenburg mit 58 die meisten Wolfsfamilien, gefolgt von Niedersachsen (48) und Sachsen (37). Im vorangegangenen Monitoring-Zeitraum 2022/23 hatte die bundesweite Zahl der Wolfsrudel noch 184 betragen.

40.000 Hinweise und Nachweise wurden für die aktuelle Statistik ausgewertet. (Archivbild)

40.000 Hinweise und Nachweise wurden für die aktuelle Statistik ausgewertet. (Archivbild) Foto: Umweltministerium Hessen/dpa

Für das aktuelle Monitoring-Jahr wurden mehr als 40.000 Hinweise und Nachweise aus den Bundesländern ausgewertet. Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) war an der Veröffentlichung beteiligt. Außer den 209 Wolfsfamilien wurden weitere 46 Wolfspaare sowie 19 sesshafte Einzelwölfe bestätigt.

Insgesamt wurden im Monitoring-Jahr, das vom 1. Mai 2023 bis zum 30. April 2024 dauerte, in den bestätigten Territorien 1.601 Wolfsindividuen nachgewiesen. Gezählt wurden 535 adulte Wölfe, 162 Jährlinge, also Tiere im zweiten Lebensjahr, sowie 781 Welpen. Im Zeitraum davor waren insgesamt 1.339 Tiere gezählt worden.

  • 13 Wölfe illegal getötet

Wie in den Vorjahren lebten viele Tiere auf dem Gebiet von Sachsen in nordwestlicher Richtung über Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern bis Niedersachsen. Wolfsterritorien wurden auch in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen nachgewiesen. In Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein gab es jeweils den ersten Nachweis einer Rudelbildung. Erstmals wurden auch im Saarland Vorkommen bestätigt.

193 Wölfe wurden tot gefunden. Davon starben 150 bei Verkehrsunfällen. „Insgesamt fünf Wölfe wurden im Rahmen von Managementmaßnahmen entnommen“, erklärte das BfN ohne weitere Angaben über Art und Ort der Entnahme. Im Monitoring-Jahr 2023/24 seien außerdem 13 Wölfe illegal getötet worden.

  • Ausbreitung in andere Regionen möglich

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) wies darauf hin, dass sich das Wachstum der Wolfspopulation verlangsame. „Das oft behauptete exponentielle, oder gar unkontrollierte Wachstum der Wolfspopulation in Deutschland gibt es nicht“, erklärte Nabu-Wolfsexpertin Marie Neuwald. Da viele weitere Regionen Deutschlands passend seien für Wölfe, aber noch nicht besiedelt, könne es nach und nach eine weitere Ausbreitung geben.

„Sobald es in einer Region einen Wolf gibt, ist es notwendig, Weidetiere zu schützen, denn auch ein Einzelwolf kann Schaden anrichten“, meinte Neuwald. Wichtig seien Elektrozäune um Herden oder Herdenschutzhunde. Wölfe abzuschießen, ist ihrer Meinung nach keine sinnvolle Maßnahme. „Wölfe lernen durch eine Bejagung nicht, Abstand zu Weidetieren zu halten.“

Nabu nicht grundsätzlich gegen Abschuss

„Der Nabu ist nicht grundsätzlich dagegen, Wölfe abzuschießen. Aber nicht so viele, dass die sich nicht mehr vernünftig vermehren können“, so Rüdiger Ramm, der sich der Meinung des Wolfsberaters anschließt, nur die sogenannten Problemwölfe zu töten. Der Rest halte sich an Wild und greife keine Nutztiere an, sagt der Naturschützer.

Was das zurzeit geltende Abschussrecht angehe, da seien die Politiker in der Pflicht, betont der Wolfsberater, der hofft, dass sich da etwas bewege, denn so könne es nicht weitergehen.

Moderator Ansgar Cudok.

Moderator Ansgar Cudok. Foto: Franziska Felsch

Ansgar Cudok vom Vorstand der Stader Gesellschaft will sich für einen weiteren Diskussionsabend einsetzen und dazu Politiker einladen. (mit dpa)

  • Zeitnah wird die Gesellschaft auf ihrer Homepage eine Sammlung von Links zu dem Thema zusammenstellen, abrufbar unter www.stader-gesellschaft.de.
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